“Wir sind die, die vorsichtig an eure Tür klopfen, und wir grüßen euch freundlich” – sagt eine klare Frauenstimme gleich zu Beginn des vor einigen Wochen unter dem Titel “Unterhaltungen mit Larven und Überresten” erschienen Albums von Läuten der Seele, und schon ist man mittendrin in diesem seltsamen Raum zwischen Ankunft und Abschied, zwischen Larven, die sich regen, und Überresten, die noch flüstern. Dann winken einem dieselben Stimmen am Ende aus der Ferne zu, als wären sie längst hinausgetreten und hätten nur kurz hereingeschaut.
Das Album, das der hinter dem Projekt stehende Christian Schoppik, bekannt auch von seinem Stammprojekt Brannten Schnüre, diesmal zusammen mit Jota Solo, bekannt von Nový Svět und vielen weiteren Abenteuern, aufgenommen hat, besteht aus vierzehn meist kurzen Stücken, die wohl primär aus Feldaufnahmen, Instrumentalsamples und Jotas selbst im Flüsterton markanter Stimme zusammengesetzt sind. Die Musik bewegt sich im weiten Feld zwischen kollageartigen Szenarien, bisweilen fragmentiertem Gesang und plötzlichen Brüchen, Verschiebungen, Richtungswechseln. Kinderstimmen, Vögel, Wind, summende und fiepende Sounds und Musikzitate, die von alten Platten gesamplet scheinen, reichen sich die Klinke in die Hand und lassen die Musik wie ein surreales Hörspiel anmuten, das nie richtig greifbar wird, aber dennoch – vielleicht durch eine organisch wirkende Grundstruktur – wie von Gespensterhand zusammengehalten wird.
Das eröffnende “Anklopfen”, passend betitelt, beginnt mit besagter Frauenstimme und kippt alsbald mittels dissonanter werdender Hintergrundgeräusche ins Unheimliche, vielleicht auch, weil das anklopfende Wir unklar bleibt. Das die zweite Seite eröffnende “Hinaustreten” nimmt den Faden später wieder auf: “Wir sind die, die schon lange zur Tür hinausgegangen sind und wir winken euch aus der Ferne zu” – nun weht Wind durch leere Schalen und Schneckenhäuser, ein Sommer wird erinnert, doch alles entpuppt sich als Traum und endet in offenen Mündern voller Sand und Erde.
Dazwischen und drumherum entfalten sich die eigentlichen Unterhaltungen. “Wir Zwei Allein” und “Das Alles Dass” verbinden barock anmutenden Mezzosopran, Kinderstimmen, Walzerfragmente, Akustikgitarre und allerlei hoch piepende Sounddetails mit Jotas grummelndem Wiener Hochdeutsch. “Du bist alles, was ich brauch” und “Du bist die Luft und das Immergrün” heißt es schwebend über summenden, fiependen und tempomanipulierten Geräuschen. “Keinen Mund” stapelt exotische Flöten, brummende Dröhnung und heiteres Vogelzwitschern zu einem reizvollen Durcheinander, das Jotas Geständnis (“Ich will dich küssen”) trägt. “Schiffbruch” steigert sich ins Bedrohliche, mit fernem Klagen und allen Anzeichen wachsender Furcht.
“Komplette Fragmente” setzt dem Thema Vergänglichkeit, das sich wie ein roter Faden (nicht nur) durch diesen Track zieht, eine leise Pointe voran: “Alles wie immer” – die ständige Veränderung wird zur einzigen Konstante, Gitarren, Violinen und vielleicht Klarinetten hüllen die Zeilen “das Leben ist vergangen als hätte ich nie gelebt” in eine anrührende Hülle. “Letzte Lichter” lenkt die versteckte Kamera, anfangs noch unter Kratzen und Rauschen, auf die dunkel werdende Nachbarschaft vor dem Fenster, während “Grüne Fassaden” hektisches Geraschel und Zeitraffereffekte in eine besinnliche Melodie münden lässt und Stadtflucht beschwört: Hamburg, Berlin, Betonwüsten hinter einer vital scheinenden Fassade – wir ziehen davon. Das zwischen Fremdscham und ehrlicher Trauer changierende “Schein und Haben”, das mich vielleicht durch Zufall an Nový Světs “Got it!” von der “Fin.Finito.Infinito”-Reissue denken ließ, schunkelt gebrochen zwischen Streichern, Möwenschreien und Glockenspiel.
Im kurzen, schwindelerregenden “Sal” krächzt und keift sich Jota, wie man ihn von früher her kennt, auf Spanisch die verwundete Seele aus dem Leib, “Augen Auf!” kontrastiert heitere Kinderstimmen mit melancholischem Brummen und Sätzen wie “die Felle, sie schwimmen dir davon”. “Ondas” tastet sich mit fragmentierter Stimme, klimpernden Geräuschen und einer gedämpften Trompete voran, die sich in eine Duduk oder Nej zu verwandeln scheint. Das chorartige “Ein Englisches Lied” bäumt sich noch einmal (melo)dramatisch auf und setzt, begleitet von einem strömenden Akkordeon und motorischen Brummen den Schlusspunkt.
Margot Benetti beschreibt das Album in den Liner Notes als eine Art Live-Übertragung aus einem Riss in einer Mauer – aus jenen schmalen Spalten, in denen eine andere, höchst feinsinnig fabrizierte Wirklichkeit steckt. Die Musik fühlt sich tatsächlich so an: als würde man in winzige, verborgene Zwischenbereiche hineinhören, in denen sich etwas regt, das längst vergangen oder noch nicht ganz entstanden ist. Überreste eben und Larven.
“Unterhaltungen mit Larven und Überresten” ist vom leisen Anklopfen ein intensives, trotz seiner anrührend-organischen Klanggestalt oft beunruhigendes Werk, das aus Fragmenten eine eigene, geschlossene Welt baut. Wer die früheren Läuten der Seele-Veröffentlichungen kennt, findet hier durch Jota Solos Stimme eine neue Direktheit und eine andere Art emotionaler Tiefe, ohne dass der typisch “angefolkte” Schleier aus Stimmungen, Geräuschen und instrumentellen Details verloren geht.
Label: World of Echo