Ich kann nicht umhin, mir die Wüstenfeuer, die dem neuen NOVELLER-Album den Namen geben, als nur schemenhaftes Glühen am nächtlichen Horizont vorzustellen, aller naiven Farbenpracht des Covers zum Trotz. Höchstwahrscheinlich lassen die klangvollen Variationen auf der elektrischen Gitarre, in ihrer Entrücktheit und Intensität an hypnotische Dämmerzustände erinnernd, am ehesten derart nächtliche Assoziationen zu.
Noveller ist das Gitarrendrone-Projekt einer gewissen Sarah Lipstate aus Brooklyn – ja richtig, dass es sich bei dem Instrumental-Projekt um das Werk einer Frau handelt, sollte man vielleicht noch einmal besonders betonen, und wie der Kollege von einem amerikanischen Portal zum Aufhänger einer ganzen Rezension machen. Lipstate ist Kurzfilmerin, Grafikerin und natürlich Musikerin, bearbeitet seit Jahren in unterschiedlichsten Konstellationen die Saiten, wirkte u.a. in Glenn Brancas berühmtem Gitarrenorchester, spielte mit Leuten wie THE JESUS LIZARD, Carla Bozulich und Aidan Baker, ist Teil der Band ONE UMBRELLA. Das gut dreißigminütige „Desert Fires“ ist ihr drittes Soloalbum, das sehr gut ohne konstruierten Genderbonus auskommt. Geheimnisvoll wie die Farb- und Schattenspiele im dazugehörigen Video gibt der Opener „Almost Alright“ einen angemessenen Einstieg in die vielschichtigen Klangteppiche Novellers, deren Hauptkunstgriff das Kontrastieren und gleichzeitige Verschmelzen von klingender Harmonik und subliminaler Verzerrtheit darstellt. Das raue Rumoren der verzerrt bearbeiteten Saiten, das die vorausgegangenen Aufnahmen viel mehr dominierte, ist zunächst nur vage im Hintergrund zu hören, erst beim darauffolgenden „Same“ erreicht es auch hier vorübergehend eine geradezu bedrohliche Dimension, dröhnt und brodelt gegen die tagträumerische Klangfarbenpracht des wellenförmig auf- und abebbenden Saitenspiels an, das die Oberfläche so anheimelnd erscheinen lässt.
Im Großen und Ganzen setzt Noveller auf “Desert Fires” allerdings auf eine eher subtile Dramatik. An vielen Stellen sind die Klänge verwaschen, impressionistisch – nicht selten da, wo die Saiten dezent mit einem Bogen bearbeitet werden. In anderen Momenten kristallisieren sich Glockenklänge aus einer geloopten Fläche, die nach Harmonium klingt („Kites Calm Desert Fires“), ein weiteres Mal entfalten sich asiatisch anmutende Melodien aus einem rauen Fundament („Toothnest“, das ihrem Kollegen Chris Habib gewidmet ist). Und auch an den dichtesten Stellen, die beinahe die Metapher „Gitarrenwand“ rechtfertigen, bewahrt sich eine verspielt schwebende Leichtigkeit, die den traumwandlerischen Charakter der Musik aufrecht erhält.
Das Verwachsene und Verschwommene der Musik findet sich im Selbstverständnis der Künstlerin wieder: Ähnlich Lili Refrain bekennt sie sich zur physischen Beziehung zu ihrem Instrument, das sie als ihre Muse begreift. Doch während die italienische Kollegin sich zur rasanten Erkundung der Anderswelt anschickt, pflegt Noveller das souveräne Verweilen in besonderen Augenblicken und gibt uns Gelegenheit, das nebeneinander vielzähliger Klangfacetten zu erfahren. (U.S.)