Was ist eigentlich Psychedelic Folk? Die Kenner werden die Nase rümpfen, und wenn sie auf dem neuesten Stand der Dinge sind, dürfen sie, schon um sich um eine allzu schulmeisterliche Definition zu drücken, auf die Monografie „Seasons They Change“ von Jeanette Leech verweisen, die in Kürze erscheinen wird, und bei entsprechender Zeit und Muse auch bei Black Online gewürdigt werden soll. Das Lästern über diverse Folk-Präfixe und ihre allzu vollmundige Verwendung hat ja auch in diesem Magazin eine gewisse Tradition. Anlässlich der gerade beim vermeintlichen Indie-Riesen Rough Trade erschienenen „Psych Folk 10“-Compilation sollte man vielleicht noch einmal rekapitulieren, wovon man spricht.
Im Small Talk bzw. in der Selbstrubrizierung in gängigen Netzportalen reicht meistens schon ein fehlender Schrammelfaktor und das Vermeiden betulich-nostalgischer Stimmungen, um Folkmusik mit dem Attribut „psychedelisch“ zu versehen. Und bei Erzeugnissen neueren Datums muss die Assoziation möglich sein, dass solche Musik auch schon irgendwie in der Zeit um 1970 funktioniert hätte, das Stichwort lautet „hippiesk“. Bei der Frage, wie melancholisch der oftmals traumwandlerisch anmutende Psych Folk sein darf, scheiden sich die Geister, was vielleicht daran liegt, dass sich unter seinen Anhängern auch manch abtrünniger Darkfolker findet. Für die meisten gilt psychedelische Musik wohl eher nicht als „schöne Kunst der Kopfhängerei“ (U. Horstmann), ihr Fokus liegt schon eher auf ekstatischen Glücksmomenten ohne allzu wehmütige Töne – was Vertreter wie BIRCH BOOK dann zu interessanten Grenzfällen macht. Soweit zur Klischeekiste, etwas konkreter wird es, wenn man auf das häufige Integrieren von Instrumenten und Spielweisen sogenannter Weltmusik in das westliche Rahmeninstrumentarium verweist, auf Zithar, Oud oder auf die Kompositionsweisen indischer Klassik. Auf entrückt anmutenden Gesang, den repetitiven Aufbau und die dröhnende Sogwirkung der oftmals langen Stücke, deren Texte und visuelle Begleiterscheinungen häufig um spirituelle Themen kreisen. Und am Ende sollte einem klar sein, dass es bei solchen Fachsimpeleien nicht um Normativismus gehen darf, sondern um den Versuch, inflationäres Termdropping zu vermeiden.
Zur Mitte der Nullerjahre war Folk jedweder Art eine zeitlang mal wieder richtig in – zumindest in urbanen, bohèmehaften Kreisen, denn mich würde es stark wundern, wenn in meinem 300seelen-Geburtsort irgendwer Notiz genommen hätte selbst von einer Vorzeigefigur wie Devendra Banhart. Was immer man vom Folk als Modephänomen halten wollte, kommerzielle Zugpferde Marke CocoNewsom ebneten sicher auch „kleineren“ Künstlern und Labels nachhaltig manche Wege. Dass die Kulturindustrie sich nach zwei, drei Jahren anderen Gebieten zuwenden würde, war abzusehen, und der Bruch vom Hype zum Schnee von gestern lässt sich ganz passend an einem recht uncharmanten Alela Diane- und Marissa Nadler-Verriss aufzeigen, der vor zwei Jahren in einem bekannten Magazin für Popkultur erschien, in welchem er ein/zwei Jahre zuvor kaum denkbar gewesen wäre. Dort verwies der Verfasser – nicht ohne Ausnahmen zu benennen – in einem polemischen Rundumschlag auf die Spießigkeit weiter Teile der Folkcommunity und markierte so in wohl unfreiwillig symbolischer Handlung das Ende einer medialen Kleinstepoche (Exkurs: Der Vorwurf des „nur Netten“ bei beiden Sängerinnen ist natürlich legitim, wenngleich Nadlers vordergründige Bravheit von einer leisen, eigenbrötlerischen, mitunter spukhaften Exzentrik ist, die man allerdings mögen muss, um sie recht zu erkennen). Mittlerweile, nach dem Abebben des Booms, fallen verstärkt epigonale Erzeugnisse ins Auge, auf der anderen Seite behaupten manche Taktiker, eigentlich niemals Folk gemacht zu haben und berufen sich auf ein recht enges Genreverständnis. Der übliche Lauf der Dinge eben, den man nicht aufhalten kann und wohl auch nicht sollte. Im Ganzen ist Folk heute schlicht Teil eines musikalischen Gesamtspektrums und aus diesem nicht mehr wegzudenken, und somit wirkt die Folkausgabe der Rough Trade-Reihe (deren Nummerierung auf die Jahreszahl verweist) nicht nur als Appetitmacher auf aktuelle Alben, sondern auch wie ein kleiner rückblickender Kanon zur Erinnerung an ein gar nicht mal so unergiebiges Revival.
Die Sammlung enthält einundzwanzig Songs aus den letzten zwei Jahren, meist von Künstlern, die selbst über Rough Trade vertrieben werden – man muss nicht auf alle Stücke eingehen, aber einige besonders repräsentative Perlen sollten pflichtbewusst hervorgehoben werden. Den eröffnenden Part übernimmt gleich eine der renommiertesten Hauptfiguren amerikanischer Folklore: JACK ROSE, dessen früher Tod vor einigen Monaten eine große Lücke hinterließ, ebenso wie den berechtigten Verweis vieler Kollegen auf die Unsterblichkeit seiner Musik. Sein „Moon In The Gutter“ vom „Luck in the Vally“-Album ist ein so simples wie rauschhaftes Zusammenspiel auf Banjo und hypnotischer Steelgitarre, das keiner Worte bedarf. Wer an der Bedeutung von Country Blues und Rootsmusik im traditionellen Americana Folk interessiert ist, bekommt hier ein repräsentatives Beispiel geboten. Eine von Modefolkern oft unterschätzte graue Eminenz ist GREG WEEKS aus Philadelphia, der sich seit Jahren als Musiker, Produzent und Verleger verdient gemacht hat. Sein wohl beliebtestes Projekt ESPERS ist mit „I Can’t See Clear“ vom leider etwas untergegangenen Album „III“ vertreten, einem fast poppigen Song mit kräftigen Gitarren, heller und weniger „subterranian“ als frühere Werke. Die Engländer von THE OWL SERVICE wären für diese Compilation sicher zu romantisch-pittoresk, hätten sie einen Song ihres bisher erfolgreichsten Albums „A Garland of Songs“ beigesteuert. „Ladies Don’t Go A-Thieving“ wirkt verspielter, aber zugleich trockener und unverkitschter, und macht auf das neue Album „A View From A Hill“ gespannt. Zum Pflichtprogramm zählt Laura Naurikonnen alias LAU NAU mit ihrem kindlich-verzückten Gesang, bei dem man nie so richtig weiß, ob er sich des Finnischen oder einer Fantasiesprache bedient. Das zwei Jahre alte „Pacific Siren“ von ZAK RILES ist einer der Höhepunkte der Sammlung: Das gelassene Gitarrenpicking und die westernartige Stimmung sind hier weniger psychedelisch als sein rockigeres (und bekannteres) Bandprojekt GRAILS, deren „Stray Dogs“ aus der fantastischen „Black Tar Prophecies“-Reihe sich hier nahtlos eingefügt hätte.
Einigen Blacklesern wird natürlich auch die starke Präsenz der erweiterten CURRENT 93-Familie auffallen, hier vertreten durch das Zusammenspiel von Sopran und Schlagwerk bei TREMBLING BELLS, von Falsett und Acidriffs bei HUSH ARBORS und von krachigem Soundwall und chorartigem Gesang bei SIX ORGANS OF ADMITTANCE – gerade die beiden letztgenannten Gruppen verkörpern meines Erachtens in Reinkultur, was man heute unter Psych Folk versteht, v.a. diejenigen Six Organs-Scheiben, die Ben Chasny auf Drag City herausbringt, zählen zum Eingängigsten des Genres, ohne im geringsten nach trendigem Hype zu riechen. Alex Neilsons Trembling Bells-Projekt wiederum demonstriert, dass ein Revival des klassischen PENTANGLE- und FAIRPORT CONVENTION-Sounds keineswegs wie ein reines Fanprojekt klingen muss. Doch all das ist wie gesagt nur eine repräsentative Auswahl, Steven R. Smith von den dronigen ULAAN KHOL und der diesmal Blues- und Ragtime-inspirierte ALASDAIR ROBERTS bleiben ebenso im Ohr, andere würden vielleicht SLEEPY SUN, WOODS oder KATH BLOOM hervorheben.
Um es kurz zu machen, „Psych Folk 10“ fasst nicht willkürlich ein paar hippe Bands mit Akustikgitarre unter einem Schlagwort zusammen, um ein paar Jahre nach „Golden Apples Of The Sun“ noch ein bisschen Kohle zu scheffeln. Da die CD irgendwie auch Vertriebsschau ist, erübrigt sich das Lamento, warum etwa NICK CASTRO, die FAUN FABLES und welche Lieblingsband auch immer nicht mit von der Partie sind, wobei der Labelfaktor und der recht allgemein gehaltene Titel sicher nicht ganz so gut zusammen passen. Natürlich wären auch ein paar mehr Finnen und der eine oder andere Totengräber aus Benelux wünschenswert gewesen. Vielleicht dann bei einer späteren Fortsetzung. (U.S.)