HEROIN IN TAHITI: Death Surf

Exotismus funktioniert am besten, wenn er eine deutliche ironische Brechung erfährt. Nicht in der Form, dass es zu einer rein negativen Persiflage gerinnt, die nur dazu dienen soll, die hinter eskapistischer Tropensehnsucht versteckte Resignation und Sozialverweigerung in all ihrer konsumorientierten Trivialität bloßzulegen – das gab es immer, hat die Exotik-Industrie nie an der Kitschproduktion gehindert und ist sowieso allzu oft an der Schwierigkeit gescheitert, die Grenze zwischen Kritik und Miesmacherei zu erkennen. Eher die “Jetzt erstrecht”-Variante, die sich der Klischeehaftigkeit und teilweise Billigkeit ihrer Lieblingsmotive bewusst ist und das ganze mit viel Camp-Attitüde dennoch goutiert. Ein Problem ist allerdings, dass Ironie heutzutage generell ziemlich abgelutscht ist und nahezu alles bereits seine postmoderne Dekonstruktion im Zeichen des “nicht so ganz ernst gemeinten” erfahren hat. Das Resultat muss schon eine ganz eigene Note aufweisen, um zu überzeugen. Wenn Diana Rogerson und Andrew Liles Maori-Tänze nicht nur durch die steife viktorianische Brille fokussieren sondern auch noch dadaistisch einfärben, gelingt das ganz gut. Wenn im teuflisch libertären Unpop-Millieu Tiki-Kult mit Antihipster-Gestus verbunden wird ebenso. Ein weiteres Beispiel, das hierzulande noch als Geheimtipp gehandelt wird, nennt sich Heroin in Tahiti. Unter diesem Namen fabrizieren die beiden Römer Valerio Mattioli und Francesco De Figuereido Surfrock für die postnukleare Wüste, lassen Hula Hula-Fantasien und die Auswirkungen französischer Atomtests zu einer zusammenhängenden doomigen Parallelwelt verschwimmen.

Vom Label wird vor allem Ennio Morricones frühe Filmmusik als Haupteinfluss auf die Band angegeben, was ich mal eher auf den Gestus, die musikalische Unerschrockenheit und das Interesse an früheren Dekaden der Popgeschichte beziehe – eher jedenfalls als auf den Stil des Duos. Ich überblicke das Morricone-Werk nicht vollends, kenne neben den folklastigen Westernscores die Easy Tempo-Untermalung einiger Giallofilme und den grandiosen Freejazz-Score des Ausnahmethrillers “Cold Eyes of Fear”. Eventuell hat der Meister auch Surfiges gemacht, aber mich würde das wundern, denn seine Schaffensphase begann, als die letzten Ausläufer des ursprünglichen Rock’n'Roll durch neue Strömungen abgelöst respektive weiterentwickelt wurden. Was sich beim eröffnenden Titelstück langsam aber stetig aus dem abgründigen Drone (das selbst glatt von Bohren stammen könnte) herausschält, erinnert eher an die Zombieversion eines Link Wray-Stücks, dessen Twangs sich zunächst noch etwas verhalten gegen die verrauschte Schwere behaupten, kurz darauf jedeoch zusammen mit einem ungewöhnlichen Downer-Groove ganz klar die Richtung zu erkennen geben. Shoegazer Surfrock? Nun aber mal genug der Phrasen, zumal hier null Indieattitüde vorhanden ist und verkopfte My Bloody Valentine-Gymnasiasten sicher immer noch einen Kulturschock bekämen aufgrund des gar nicht langweiligen Vitalismus der Musik. Aber ich muss gestehen, dass der Ausklang des Stücks, der alles in Rauchschwaden auflöst, nicht die einzige Stelle war, bei der mir dieser Begriff auf den Schirm kam.

Reverb- und Tremolo-Effekte und massig Hall sind neben dem Downtempo und den allgegenwärtigen Twangs die wichtigsten Roten Fäden, die sich durch das ganze rein instrumental gehaltene Album ziehen, und die einzelnen Songs, die alle ihre ganz eigenen cineastischen Assoziationen heraufbeschwören, zusammen halten. “Spaghetti Wasteland” könnte einen sozialkritischen Thriller auf der Höhe der Zeit untermalen, der eine Menge an Zitaten aus klassischen italienischen Polizeifilmen verbrät. Oder aus Klassikern des Neorealismus. Es gibt eine Tumblr-Seite zu dem Song, die einige Ideen zur Visualisierung in petto hat. “Sartana” mit seiner einleitenden Totenglocke hätte zu einem imaginären Horrorgenre gepasst, das seine Stoffe aus sinistren modernen Südseemythen zieht, die sich die Popkultur hat entgehen lassen, vielleicht nur, weil der Pazifik stets als rein positive Projektionsfläche ausgebucht war. Vielleicht hätte Mario Bava ja so einen Film gedreht. “Campomorto” ist wieder tageslichttauglicher, diesseitiger, aber nicht weniger spannend. Mit seinen klappernden Stakkatos und seinem infernalischen Dröhnen vielleicht das experimentellste Stück des Albums. “Ex Giants on Dope” mit seinen einschneidenden Gitarrensoli ist Sci Fi pur. Jack Arnold in Maunakea?

Eine der Stärken von “Death Surf” ist, dass man das Verhältnis von Hommage und Ironie, von Fun und ernsthaftem Statement nie genau bestimmen kann. Dass entspricht dann auch der musikalischen Wirkung, die sowohl irritiert als auch Spaß macht. Die wegretouschierten Gesichter der Südseeschönheiten auf dem Cover lassen die Traurigen Tropen jedenfalls nicht als Touri-Idyll erscheinen, und doch nehmen die offensichtlichen Brüche dem Szenario nichts von seinem Reiz. Alles ist abgedroschen und falsch, also feiern wir es, ohne uns etwas vorzumachen. Nach “Death Surf” werd’ ich sogar mal wieder einen Daiquiri trinken.

A. Kaudaht

Label: Boring Machines