SEAMUS CATER AND VILJAM NYBACKA: The Anecdotes

In früheren Epochen wurden interessante Geschichten nicht selten in Liedform weitergegeben, viele davon waren fiktive oder reale Biografien. Das Duo Seamus Cater und Viljam Nybacka steht – unabhängig davon, ob und wie stark man ihre Musik nun mit Folk in Verbindung bringt – in dieser Tradition, und auf ihrer ersten größeren Zusammenarbeit gilt ihr vorrangiges Interesse herausragenden (Künstler-)Personen des 19. und 20. Jahrhunderts. Cater und Nybacka greifen bei dieser Hommage auf die Gattung der Anekdote zurück, nach der ihr Debüt, eine elegant gestaltete LP, dann auch benannt ist.

Die beiden Musiker, deren Wege sich vor ein paar Jahren in Amsterdam kreuzten, sind allerdings keineswegs Debütanten. Cater entstammt einer Familie von englischen Folkmusikern, was recht früh zu seiner musikalischen Weichenstellung führte, Urgesteine wie Ewan MacColl und und andere Folk-Innovatoren des 20. Jh. zählen zu seinen Idolen, doch stets war er auch an zeitgenössischer Pop- und Experimentalmusik interessiert und vermischte die unterschiedlichen Einflüsse zu interessanten Hybriden. Heraus ragt ein vor zwei Jahren zusammen mit Woody Sullender aufgenommenes Album, auf dem ungewöhnliche, experimentierfreudige Stücke mit Harmonica und Banjo enthalten sind. Nybacka dagegen stammt aus Finnland und ist von Haus aus E-Gitarrist und Bassist und machte sich mit diversen Jazz-, Mathrock- und Folkprojekten einen Namen.

Die Anekdotensammlung beginnt mit einer Hommage an den niederländischen Konzeptkünstler Bas Jan Ader, der bereits im Werk James Blackshaws eine Rolle spielte – der in den Jahren um 1970 berühmte Ader, der recht jung bei einem Bootsfahrt in Atlantik verschollen ist, hinterließ vor allem eine Reihe faszinierender Kurzfilme und Fotografien. Ganz langsam tastet sich die Musik aus der Stille heraus, schafft ein Fundament für eine zurückhaltende Ansprache, die eindrucksvoll Menschen beschreibt, die an einander vorbei schauen. Cater hat Talent für unprätentiöses und zugleich emotional intensives Songwriting und die passende Stimme dazu. Nybacka weiß den fast rezitativen Gesang mit diversen Stimmungsmachern zu untermalen, ein jazziger Downbeat und punktuell eingesetzte Becken zählen dazu. Das Tempo des Stückes scheint direkt Thema zu sein, ständig scheint sich der Song gegen die eigene Langsamkeit aufzubäumen, fällt wieder in sich zurück und erreicht doch im Versuch Momente der Größe.

“Muybridge Last Stand”, eine Hommage an den berühmten Fotografen, ist musikalisch wesentlich stringenter, hat mit Walzertakt und Drehorgelsound eine zirkushafte Leichtigkeit, und doch zugleich auch eine traumwandlerische Seite, die sich bald als melancholisch entpuppt. Auch hier vermag der reduzierte Gesang eine Eindringlichkeit zu erzeugen, an der so manche großen Gesten gescheitert wären. Eine Krönung erfährt der Song durch das intensive Trompetenspiel von Eiríkur Orri Ólafsson (múm) – nicht der einzige bekannte Gast übrigens, denn Shahzad Ismaily, der bereits mit Bonnie ‘Prince’ Billy und Yoko Ono arbeitete, spielt bei einigen Stücken Bass und kümmerte sich um die Aufnahme.

Figuren wie Prokofiew, L.S. Lowry und Alexis Laponte sind Themen der anderen Stücke, oder aber ein Piano, das sich in der Ichform selbst porträtiert und über die allzu traditionell eingestellten Virtuosen ablästert, die sich auf ihm versuchten – in einem hypnotischen Dronestück, dessen zurückgenommener und warmer Gesang fast etwas an Matt Howden erinnert. Bei den meisten Songs gibt eine nach Harfe klingende Ukulele den Ton an, vielleicht am berührendsten in “The Softest Horns“ mit seiner wehmütigen Melodie, die dem Instrument die Konnotation des Ironischen und Komischen vollends nimmt. Ein altes, verstimmt klingendes Harmonium kommt zu Wort, ebenso wie eine Spieluhr, Concertina, Piano und A Capella-Gesang. Verbindet die meisten Stücke eine Hörspielartige Machart, so repräsentiert der fast spukhafte Walfängersong “Greenand Bound” die Ästhetik des Schönen im Folk und ist mit seiner fantastischen Melodie einer der Höhepunkte des Albums.

Trotz der experimentierfreudigen Herangehensweise und der verspielten Komposition bleibt am Ende keineswegs der Eindruck den Chaotischen zurück und die verschiedenen Komponenten verschmilzen nach wiederholtem Hören zu einem harmonischen Gesamtbild. Ob es bei dieser einmaligen Zusammenarbeit bleiben wird, steht wohl noch in den Sternen, aber auch ohne eine Fortsetzung sollte man die weiteren Aktivitäten der beiden Protagonisten mit Interesse verfolgen.

Label: Anecdotal Records