Unter den Autoren, die in der jüngeren Vergangenheit originelle Beiträge zur unheimlichen Literatur beigesteuert haben, sticht der in Birmingham lebende Brite Joel Lane aus verschiedenen Gründen hervor. Sein Output ist weder auf ein Genre noch auf eine Gattung festgelegt: So lassen sich seine bisher veröffentlichten zwei Romane From Blue to Black und The Blue Mask tendenziell eher dem Mainstream zuordnen, seine vier Sammlungen mit Kurzgeschichten (The Earth Wire wurde 1994 mit dem British Fantasy Award ausgezeichnet) gehören dagegen zur unheimlichen Literatur; außerdem hat er noch mehrere Lyrikbände veröffentlicht. Im folgenden Interview sprach ich mit Joel Lane u.a. über Motive und Themen seiner Arbeiten und künftige Projekte. In all seinen Äußerungen zeigt sich Lane als ein äußerst belesener und reflektierter Autor.
Du arbeitest als Journalist, und schreibst auch Lyrik, Kurzgeschichten und Romane. Ich habe mich gefragt, inwiefern der Schreibprozess sich in den jeweiligen Fällen unterscheidet. Die Geschichten in deiner jüngsten Sammlung Where Furnaces Burn wurden über einen Zeitraum von 13 Jahren geschrieben und veröffentlicht. War es von Anfang an klar, dass du einen Zyklus von Geschichten schreiben würdest, die miteinander verknüpft waren – sowohl thematisch als auch durch den Protagonisten?
Ja, wobei ich einige Jahre gebraucht habe, hauptsächlich Geschichten für diese Serie zu schreiben. Der Gedanke war, Elemente des Roman noir und des Subgenres des okkulten Detektivs zu verbinden. Dadurch hatte ich eine Grundlage, die komplex genug war, um eine ziemlich unterschiedliche Gruppe Geschichten zu schreiben: Es gibt sowohl Geister, mythische Geschöpfe, seltsame Kulte, heilige Relikte und monströse Kreaturen als auch Diebe, Gangster und Killer. Ich wollte Platz für viel thematische und stimmungsmäßige Abwechslung lassen, aber dass ein kumulativer Effekt da war. Es war nicht, als ob man einen Roman schreibt, da mir immer ein, zwei Ideen zur gleichen Zeit kamen und nicht in chronologischer Reihenfolge. Einige der Geschichten sind sehr dunkel, andere etwas bejahender.
Ich glaube, eine der ersten Geschichten, die ich von dir gelesen habe, war die Titelgeschichte von The Lost District. Gehe ich recht in der Annhame, dass ein wiederkehrendes Thema deiner Geschichten das des Verlusts und Verlierens ist?
Wahrscheinlich schon. Da gehören zwei Aspekte zu: persönlicher Verlust und die Idee breiterer sozialer und kultureller Verluste. Der Titel von “The Lost District” ist ein Spiel mit den “verlorenen Städten” der Pulpliteratur. Insofern deutet er darauf hin, dass der Distrikt einer ist, wo seltsame Einflüsse am Werk sind. Persönlicher Verlust ist ein wichtiges literarisches Thema und eines, zu dem ich ziemlich häufig zurückkehre, aber es kann etwas monoton werden, wenn du das meinst. Die Herausforderung liegt darin, zu verstehen, wie Menschen weitermachen, wie sie überleben – emotional ebenso wie physisch. Das Leben ist ein Kampf und am Ende verliert man alles. Das steht fest und es macht keinen Sinn es nur zu sagen, man muss zeigen, was es aus den Menschen herausholt.
Am Ende deiner Geschichte “Stiff As Toys“ verwendest du das Wortspiel “Man’s laughter. Manslaughter“. Ist das für dich eine adäquate Zusammenfassung der menschlichen Natur und Verfassung?
Oh nein. Das ist speziell ein Kommentar zu männlicher Gewalt. Und es ist ein unmissverständlicher Kommentar, weil der Erzähler versucht hat auf dramatische Weise eine Aussage zu treffen. Du hast sicher bemerkt, dass er einen bitteren Zug hat. Aber es gibt Geschichten in Where Furnaces Burn, die eine weniger extreme Ansicht der menschlichen Natur zeigen, wie z.B. “Incry” und “Point of Departure”.Ein Teil des Reizes ein Buch aus Episoden zu schreiben, liegt darin, dass man zeigen kann, dass sich die Perspektive einer Person komplex ist und sich mit der Zeit ändern kann.
William Blake hat einst über London geschrieben, dass die Stadt “a Human awful wonder of God!” sei. Wenn man bedenkt, dass in vielen deiner Geschichten eine Stadt als Setting dient und dass die dort geschehenden Dinge oftmals weit davon entfernt sind, angenehm zu sein, würdest du sagen, dass du dem Stadtleben eine gewisse Ambivalenz entgegenbringst? Wie ist es “im Moloch aufzuwachen” (um den Titel einer deiner Geschichten zu zitieren)?
Überall, wo man lebt, gibt es Probleme, und ich nehme nicht an, dass das Leben in der Kleinstadt oder auf dem Dorf idylisch ist. Die Phrase “im Moloch aufwachen” stammt aus Allen Ginsbergs großem Gedicht “Howl” und Ginsberg benutzt Moloch als ein Symbol der Ausbeutung und des Maschinenzeitalers: “Moloch whose name is the Mind!” Deswegen ist es nicht nur ein Aufwachen in der Stadt, es ist ein Aufwachen in der Hässlichkeit, die der Kapitalismus und die Mechanisierung der Menschen sind. Man würde die gleiche Hässlichkeit auf dem Land finden, nur in einer anderen Form: industrielle Viehzucht usw. Ich bin ein ziemlicher Stadtmensch, aber versuche nicht die urbane Erfahrung zu idealisieren. Es gibt offensichtlich eine Kehrseite.
Auch wenn man vorsichtig damit sein sollte, Autor und Erzähler zu verwechseln und auch wenn man nichts über deinen politischen Aktivismus weiß, weisen die Geschichten in The Lost District oder Where Furnaces Burn mehr als deutlich darauf hin, dass die Tories bei den nächstem Wahlen deine Stimme sicher nicht bekommen werden. In deiner Gedichtsammlung The Autumn Myth gibt es eine Reihe Gedichte, die politisch sind, z.B. “Safe Passage“, um nur eines zu nennen. Du hast in einem Interview gesagt, dass es immer eine “Mischung aus äußeren und inneren Realitäten” gab. War es vom Anfang deiner Kariere klar, dass du dich (im weitesten Sinne) mit politischen Themen auseinandersetzen würdest? Denkst du, dass das politische Klima in den letzten paar Jahren schlechter geworden ist?
Ich bin mir nicht sicher, was du mit “Kariere” meinst, aber davon abgesehen ja. Frühe Geschichten wie “The Foggy, Foggy Dew” haben politische Themen angesprochen, wenn auch auf ziemlich idealistische Weise. Für mich hat Politik damit zu tun, in welcher Beziehung das Individuum mit der Gemeinschaft zusammenhängt, wie die Gesellschaft geordnet ist, wie die Machtverhältnisse sind und ist somit besonders für Horror- und spekulative Literatur geeignet. Was sich in den letzten Jahren geändert hat, ist, dass die eher linke und reformerische große Partei im Vereinigten Königreich sich einer rechten Agenda verschrieben hat, wodurch eine Riesenlücke in der politischen Führung entstanden ist. Das hat mich dazu gebracht, mich stärker bei der revolutionären Linken zu engagieren und das hat dazu geführt, dass mein Schreiben einen klareren politischen Schwerpunkt hat. Die Lektionen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise sind klar: Das kapitalistische System liegt in Trümmern und, wie der Economist zugegen hat, hat Marx Recht bekommen – entweder arbeitet man damit und beginnt eine Alternative aufzubauen oder man gewühnt sich daran in den Trümmern einer Gesellschaft zu leben. Viel Zorn und Bitterkeit, die momentan verbreitet sind, kommen von Menschen, die erkennen, dass das System versagt hat, die aber nicht mit der Notwendigkeit von etwas anderem zurande kommen. Sie denken, es ist der “Sündenfall” und nicht der Zusammenbruch eines Wirtschaftssystems, das erst dreihundert Jahre alt ist. Oder sie denken, dass ein Haufen Technolgie die Gesellschaft umfassend ändern kann, wenn sich tatsächlich alles rückwärts entwickelt. Die Menschen verhungern in den Straßen, das kann man mit Twitter nicht ändern.
Ich denke, du hast mehr im Bereich der unheimlichen Literatur gelesen als ich, aber ich habe den Eindruck, dass man Autoren, die versuchen, sich mit sozialen Realitäten auseinanderzusetzen, mit der Lupe suchen muss. War das auch ein Grund dafür die Anthologie Never Again zu veröffentlichen?
Eigentlich waren die Hälfte der Geschichten in Never Again Neudrucke – wir wollten einen Korpus zusammentragen, der schon existierte. Weil unheimliche Literatur mit Zeit und Gemeinschaften zu tun hat, ist soziale Realität darin tief verwurzelt und es gibt da ziemlich viel sozial ausgerichtete Arbeiten, ob man jetzt über Fritz Leiber, Shirley Jackson, Harlan Ellison, M. John Harrison, Ramsey Campbell, Lisa Tuttle, Dennis Etchison, Graham Joyce, Thomas Ligotti, Joe R. Lansdale ode einige der neueren Autoren, die wir in Never Again drinhatten, spricht. Man kann von unheimlicher Literatur keinen Sozialrealismus erwarten, aber man kann kühne Metaphern, Unbehagen und Ironie erwarten und ich habe den Eindruck, dass das Genre eine reiche Quelle sozialer Kommentare ist. Robert Aickman ist ein herausforderndes Beispiel, weil er brillant, aber auch ziemlich rechts ist und manchmal spendet man dem Schreiben Beifall, während man sich der Botschaft widersetzt. Bei Never Again wollten wir neue und schon existierende Sachen kombinieren, um zu zeigen, wie die unheimlichen und spekulativen Genres sich mit wichtigen sozialen Themen auseinandersetzen. Zwangsläufig wurden wir dafür kritisiert, zu politisch oder nicht politisch genug zu sein – aber es war die literarische Agenda, mit der wir am meisten beschäftigt waren. Allyson Bird und ich waren uns absolut bewusst, dass ein Buch mit Geschichten nicht das gleiche macht, wie ein Stand auf der Straße oder eine Demonstration. Wir wollten, dass das Resultat ein starkes Buch ist.
In deiner Novelle The Witnesses Are Gone spielen Filme eine große Rolle. Bist du stark vom Kino beeinflusst worden und könntest du dir vortsellen eines Tages ein Drehbuch zu schreiben?
Im Allgemeinen gefallen mir Horrorfilme nicht so sehr, wie ich mir das wünschen würde. Sie scheinen meistens ziemlich offensichtlich, sogar infantil. Diejenigen, die mir richtig gefallen haben, sind u.a. Carnival of Souls, Der Mieter, The Brood, Wenn die Gondeln Trauer tragen, Bis das Blut gefriert, The Blair Witch Project… Einige kulturell sichere Filme wie The Monster Club und Plague of the Zombies sind auch effektiv, aber die interessantesten Horrorfilme sind diejenigen, wo man wirklich nicht weiß, was geschieht und man nicht auf Genrekonventionen verlassen kann, die einem Hinweise geben könnten. Diese Art Kino wollte ich in der Novelle hervorrufen – und die Ähnlichkeit zwischen Kino- und Traumbildlichkeit. Ich habe eine recht visuelle Vorstellungskraft, und was die Figuren in meinen Geschichten sehen ist oft wichtiger als alles andere. Aber ich bin nicht sicher, ob das Kino dafür verantwortlich ist. Ich kann nicht ausschließen, dass ich unter den richtigen Bedingungen ein Drehbuch schreibe, aber momentan steht das nicht auf meiner Agenda.
Was kannst du uns zur Rezeption deiner Arbeit sagen? Sind diejenigen, die deine Lyrik lesen, mit deinen unheimlichen Geschichten vertraut? Unterscheiden sich die Reaktionen zu deinen Arbeiten sehr?
Es gibt ein paar Überschneidungen, aber hauptsächlich ist es so, dass meine Romane, Kurzgeschichten und Lyrik ein unterschiedliches Publikum haben. Vielleicht habe ich mich dahingehend etwas überfordert. Ich habe jedoch in allen Bereichen nette und ermutigende Kommentare bekommen, insofern denke ich, dass mein Versuch mich zwischen Genre- und Mainstreamtexten zu bewegen, nicht komplett fehlgeleitet gewesen ist. Wenn es etwas gibt, das mich aufregt, dann, wenn meine Arbeit (und insbesondere meine Lyrik) als “wirklichkeitsnaher Realismus” beschrieben wird, wenn sie das einfach nicht ist. Manche Rezensionen vermitteln einem den Eindruck, dass wir alle in einer Welt von Dr Seuss voller malvenfarbiger Kissen und kleiner knuddliger Sachen leben, einer liebenswerten Welt, und dass jeder, der die Existenz von Hässlichekit und Schwierigkeit einräumt, offensichtlich gestört ist. Was Al Alvarez das “Prinzip der Vornehmheit” gennant hat, lebt in der englischen Lyrik fort.
Bislang haben sich deine Romane nicht mit dem Übernatürlichen beschäftigt. Denkst du wie Lovecraft und Ligotti, dass die kurze Form für unheimliche Geschichten angemessener ist? Wo ich das gefragt habe, wurde kürzlich erwähnt, dass du an einem “übernatürlichen Horrorroman, der in Black Country angesiedelt” ist. Kannst dazu ein paar Worte sagen?
Eigentlich hat sich mein erster Roman mit dem Übernatürlichen beschäftigt, es war nur nicht der Hauptfokus. Es gab ein Geistergeschichtenelement, aber man konnte da auch drüber weglesen und das würde das Buch nicht für einen verderben. Ich denke, im Bereich der unheimlichen Literatur gibt es mehr großartige Kurzgesdchichten und Novellen als Romane. Es ist ziemlich schwierig, einen wirklich effektiven übernatürlichen Horrorroman zu schreiben – einer, wo das Übernatürliche ein zentrales Thema ist und nicht nur ein Teil des Plots. Die Kurzgeschichte scheint die natürlichste Form für unheimliche Literatur zu sein, denn diesen Schritt in eine visionäre Landschaft kann man schwer aufrechterhalten. Die meisten Horroromane objektivieren das Übernatürliche auf wenig originelle Weise, damit es Teil der Ausstattung des Romanschreibens ist – es wird wie alles andere. Aber der Punkt ist eben, dass es ganz anders als alles andere ist. Was meinen geplanten übernatürlichen Roman anbelangt, so gab es da für eine Weile Pläne, aber ich habe nie richtig angefangen und ich habe die Kurzgeschichte “The Messenger” geschrieben. Ich muss einfach lernen nicht über Pläne als Arbeiten, die im Entstehen begriffen sind, zu reden. Aber ich hoffe, eines Tages einen übernatürlichen Horrorroman zu schreiben.
Du hast gerade etwas zu der Anthologie The Grimscribe’s Puppets beigesteuert. Du hast einmal gesagt: “In Hochform ist Ligotti ein echter Humanist.” Welchen Ansatz hast du gewählt, um Ligotti die Ehre zu erweisen?
Es ist besser, wenn ich nicht versuche meine Geschichte zu erklären, bevor die Leute sie sehen, aber sie handelt von jemandem, der mit einer chronischen Krankheit kämpft – das schien ein Ligotti-Thema. Was ich mit diesem Kommentar gemeint habe, ist dass Ligotti sich sowohl mit Verrat, Ausbeutung und Machtmissbrauch beschäftigt als auch mit menschlichem Leid angesichts von Krankheit und Wahnsinn. Es ist, was Marcuse als “negativen Humanismus” bezeichnet, die Identifizierung des Menschlichen in denen, die ihrer Macht und Anerkennung beraubt sind und nicht die Verherrlichung des menschlichen Ehrgeizes. Eine Sache, die ich an Ligotti bewundere, ist seine absolute Bescheidenheit, seine Weigerung vorzugeben, dass literarisches Talent ihn zu einem höheren Wesen macht. Er hat ein schwieriges Leben gehabt und das hat ihn intolerant gegenüber Arroganz gemacht.
Lovecraft hat Supernatural Horror in Literature geschrieben. Du hast erwähnt, dass du dich für einige Zeit vom Schreiben fiktionaler Texte zurückziehen wirst, um dich auf deine nicht-fiktionalen Arbeiten zu konzentrieren und um über unheimliche Literatur zu schreiben. Denkst du, dass ein großes Wissen hinsichtlich der Geschichte der unheimlichen Literatur zu haben und diese zu reflektieren und sich darauf zu stützen, das eigene Schreiben verbessern kann?
Ich würde sicher nicht behaupten, dass ich ein großes Wissen über unheimliche Literatur habe, aber ich ich innerhalb der letzten 40 Jahre einiges gelesen. Und das kann das eigene Schreiben verbessern, und wenn es auch nur hilft zu sehen, wie untershciedlich und reich das Genre ist. Ich habe genug davon, wenn Autoren dafür gefeiert werden, das Rad neu zu erfinden. Es ist leichter etwas zu versuchen und originell zu sein, wenn man eine Vorstellung davon hat, was vorher losgewesen ist. Uns es hilft einem zu sehen, wovon das Genre wirklich handelt, was die wiederkehrenden Themen sind. Das Kino definiert nicht das Genre, das Schreiben tut es.
Vor einigen Jahren war angekündigt, dass du an einem dritten Roman, Midnight Blue, arbeiten würdest. Wird der Roman noch erscheinen? Gibt es noch etwas, das du hinzufügen magst? Zukunftspläne?
Der Roman ist vor mehr als zwei Jahren fertiggeworden, aber ich suche noch immer einen Verlag dafür. Es ist kein Genreroman, insofern versuche ich literarische Verlage davon zu überzeugen, ihn zu veröffentlichen und diese Welt hat sich in den vergangenen paar Jahren radikal verändert. Ich werde dich wissen lassen, was passiert. Was andere Projekte anbelangt, so arbeite ich an einem Buch mit Geistergeschichten, einem Buch mit “Slipstream”-Geschichten, einem Krimi über Alkoholismus, einem nichtfiktionalen Werk über Horrorliteratur und das 20. Jahrhundert und an einem Buch mit politischer Lyrik. Das sollte mich das nächste Jahrzehnt über beschäftigen. Ich habe auch vor Winterschlaf zu machen, aber die Gesetzeslage ist erschreckend komplex.
M.G.