Seit William Bennett Whitehouse auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt hat und mit seinem Projekt Cut Hands sein Interesse an Afrika – das latent schon seit Ende der 90er bei dem in Edinburgh ansässigen Bennett da war und auf den letzten Veröffentlichungen von Whitehouse (durch Artwork, Titel und Einsatz von Perkussion) immer virulenter wurde – (weitgehend) instrumental auslebt, scheint das ehemalige Enfant terrible auf gewisse Weise salonfähig geworden zu sein, sein Schmuddelimage zumindest partiell verloren zu haben. Cut Hands teilen die Bühne inzwischen mit so unterschiedlichen Künstlern wie Andy Stott, Demdike Stare oder Phil Niblock und Bennetts und (die sich für die visuelle Gestaltung Cut Hands verantwortlich zeigende) Mimsy DeBlois’ Installation Extra Linguistic Sequencing, die von seinem Interesse an Worten und NLP zeugt, wurde in der Tate Modern aufgeführt. Das inzwischen zweite Album „Black Mamba“ zeigt, dass Cut Hands sich von dem (ursprünglich als Genrebegriff gewählten) Afro Noise zumindest partiell entfernt und auch ein großes Interesse an atmosphärischen Stücken haben, von denen einige für Soundtracks verwendet worden sind.
Es wird oft gesagt, dass erst das zweite Album die Richtung eines Musikers anzeigt und den Beweis einer gewissen Dauerhaftigkeit erbringt. Ich denke, „Black Mamba“ hat endgültig gezeigt, dass Cut Hands nicht nur ein „Projekt“ ist. Welche Konstanten und Veränderungen betrachtest du als die wichtigsten, wenn du die Anfänge von Cut Hands mit dem neuen Album vergleichst?
Danke! Du kannst dir sicher vorstellen, wie schwierig es ist, Komponenten herauszufiltern, die für dich einen besonderen Wert haben. Es war immer meine Art, jedes Stück Musik nach jeweils anderen Regeln zu gestalten. Oft zerstöre ich meine Notizen oder sogar die verwendete Technologie, um sicher zu gehen, dass der kreative Prozess nicht der Versuchung erliegt, das gleiche einfach zu wiederholen – im Inneren von Cut Hands gibt es eine Dunkelheit und es gibt Rhythmen, darüber hinaus ist wirklich alles möglich.
Einige Rezensenten haben hervorgehoben, dass “Black Mamba“ weniger rau ist als sein Vorgänger. Würdest du sagen, dass der Noiseaspekt (in) deiner Musik nach und nach abnimmt und verschwindet?
Aggressiver Lärm und raue Sounds haben das Potenzial für einen starken emotionalen Ausdruck und sind etwas, das ich immer verwendet habe und vielleicht immer verwenden werde – für mich kann die Veränderung der Dynamik den Lärm noch kraftvoller und unterhaltsamer machen. Natürlich muss es nicht ständig irgendwem in die Fresse gehen, ich bin immer noch dabei, verschiedene Wege zu entwickeln, das umzusetzen.
Drei der Stücke auf „Black Mamba“ wurden für Soundtracks verwendet. Waren das spezielle Auftragsarbeiten, und ist das eine Richtung, die du weiter verfolgen willst?
Ja, ich denke es sind nun schon vier oder fünf der Songs, die verwendet wurden (“54 Needles” kommt auch noch in “Bub & Friendz” vor, der beim diesjährigen TriBeCa Festival uraufgeführt wird). Die Stücke waren zwar Auftragsarbeiten, aber es gab keine musikalischen Vorgaben, die über vage Assoziationen hinausgingen, somit sind sie schon integrale Cut Hands-Stücke.
Snoop Dogg (oder seine Reinkarnation Snoop Lion) ist kein Künstler, den man sofort mit dem assoziiert, was du in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hast. Was bedeutet ein Künstler wie Snoop für dich? Würdest du sagen, dass die Idee der Transformation von Dogg zu Lion dich reizt?
Die Death Row- und Dre-Produktionen der frühen 90er (zu denen auch Snoop Doggs beste Arbeiten zählen) hatten mich damals stark beeinflusst; in dem Film spürt man Snoops gute Absichten und seinen Respekt während seiner Zeit in Jamaica, trotz der späteren Ansprüche auf kommerzielle Verwertung, die abzusehen waren; das Potential einer persönlichen Transformation ist generell etwas, wozu ich immer einen starken Bezug hatte.
Wie kam es zu deinem Interesse an der Droge “Krokodil” und ihren verheerenden (Neben-)Wirkungen?
Eines der Stücke war ein Auftrag für den Film ‘Krokodil Tears’, der sich speziell mit diesem Thema befasst. Ich war sehr bewegt von den schockierenden Bildern derer, die an den Nebenwirkungen der Droge leiden, und der Gegenüberstellung mit dem unglaublich schönen Panorama der sibirischen Wildnis.
Der erste Track enthält Material, das ursprünglich für deine Installation bei der Tate Modern verwendet wurde. Lyrics spielten eine immer wichtigere Rolle in den letzten Veröffentlichungen von Whitehouse, wohingegen Cut Hands primär instrumental ist. Wie betrachtest du die Beziehung zwischen Klang und Worten im allgemeinen und bei Cut Hands im besonderen?
Ja, es wird mehr von diesen Extralinguistic Sequencing-Tracks geben. Im Kern, denke ich, bin ich vor allem ein Experte für schmutzige Wörter, und sobald der Lärm in der Musik nachlässt, gibt es auch weniger Worte: Dies war einer der Gründe, zu jedem Song auf „Black Mamba” einen speziellen Text im Booklet hinzuzufügen, denn Sprache ist nach wie vor sehr wichtig.
Wie fühlte es sich an, mit ”Extralinguistic Sequencing“ ein Teil der Kunstwelt zu sein – zumindest eine Zeitlang?
Ohne dass eine bewusste Strategie dahinter stecken würde, mache ich zurzeit überall so viel in der Mainstream-Kunstwelt, dass es sich fast wie ein vertrautes Heim anfühlt.
Ich erinnere mich daran, dass bei deinem Auftritt in Köln ein paar Leute irritiert und beunruhigt waren wegen des Films, der im Hintergrund lief. Wurde dir (dort oder sonstwo) jemals vorgeworfen, solche Bilder nur wegen des billigen Effekts zu verwenden, oder als jemand aus dem Westen indigene Kultur(en) zu missbrauchen (ich frage das, weil ich mich auch an einen Leserbrief im Wire erinnere, bei dem es um ähnliches ging)?
Die Sache ist, dass dies keine “Mondo”-Filme sind! Die Bilder waren entweder Aufnahmen aus dem Kongo von Jean Rouch oder Maya Derens Film „The Divine Horsemen“, bei dem Vaudou-Rituale und Karnevalsszenen aus Haiti gezeigt werden; Reaktionen dieser Art sind nicht selten, und ich bin froh, dass das passiert, denn jeder, der so etwas empfindet, wenn er andere Menschen sieht, die feiern und etwas bedeutsames erleben, sollten sich ernsthaft ihrem eigenen gewissen zuwenden und sich fragen, was der wirkliche Grund ihrer Beunruhigung ist. Es ist keine Exploitation, es ist ein wichtiger Teil meiner Inspiration, der ich huldige, und der außerdem von großer Schönheit ist.
Das gleiche gilt für den Chefredakteur des Wire, der es in seinem vorschnellen Versuch, mit grundlos an den Karren zu fahren, scheinbar ohne eine Spur von Ironie fertigbrachte, gleichzeitig einem westlichen Publikum gegenüber klaren Diebstahl von echter afrikanischer Musik zu rechtfertigen. Nur weil du den Begriff “ethnografisch” verwendest, macht das die Aneignung nicht weniger sträflich.
Soweit ich weiß bist du selbst bisher noch nicht in Afrika gewesen. Denkst du, dass die geografische Entfernung und das Fehlen direkter Erfahrung eine Hauptquelle deiner Kreativität sind? Immerhin erfordert es eine stärkere Stimulation der Fantasie…
Ja, das stimmt. Kreativität entsteht aus der Einbildungskraft, Stimulation ist wichtig, um ihren Funken zu zünden – und selbst in einem leeren, fensterlosen Raum würde das stattfinden und könnte großartige Dinge hervorbringen.
Hast du dennoch vor, irgendwann einmal dorthin zu reisen, und welche Orte und Dinge würdest du dir in dem Fall gerne ansehen?
Die Sonnenuntergänge, die wilden Tiere, die Klänge des Lebens, die Gerüche, es muss sicher alles unvorstellbar sein. Es ist ein Traum, der hoffentlich eines Tages in Erfüllung gehen wird.
Was denkst du sind die wertvollsten Dinge, die jeder von der afrikanischen Musik und Ästhetik lernen und adaptieren kann?
Das beste Buch, das ich jemals über dieses Thema gelesen habe, ist das wundervolle „African Rhythm And African Sensibility“; eines der Kapitel ist im Kern ein philosophischer Monolog des Meistertrommlers Alhaji Ibrahim Abdulai; um überhaupt anzufangen, sich einen Begriff von afrikanischer Musik zu machen, muss man eine Menge an festgefahrenen Vorannahmen aufgeben über unsere Musik und was sie für uns leistet und repräsentiert – dieser Prozess selbst ins eine Art von Verwandlung und enorm bereichernd.
Ich glaube, aus einem europäischen bzw. westlichen Blickwinkel ist kein Kontinent so sehr mit Stereotypen beladen wie Afrika. Das Klischee der Warlords und Elendsviertel steht dem Klischee der archaischen Masken und malerischen Landschaften gegenüber. Während einige das Fehlen von Wolkenkratzern in Afrika beklagen und den Leuten nach unseren Standards helfen wollen, sprechen andere von einem unüberbrückbaren Unterschied zwischen ihren und unseren Kulturen. Ich fürchte, dass dabei oft vergessen wird, zuerst die Afrikaner zu fragen, wie sie sich sehen. Wie denkst du darüber?
Ich bin ganz deiner Meinung. Ich habe kein Problem mit der Romantisierung, das ist alles natürlich und passiert überall. Was die Leute weltweit fühlen, wenn sie an London, New York, Paris, Berlin, Bangkok, Tokyo denken, das alles sind im Kern stark romantisierte Bilder, im Guten wie im schlechten; woran Afrika leidet, das ist Europas materialistische Herablassung, die Schuldkomplexe, die paternalistischen Helfersyndrome, kapitalistische Aggression, die Missionierung u.s.w. – als ob es nicht genug wäre, schon einmal durch die Kolonisierung gestraft gewesen zu sein.
Du hattest mal in einem Interview gesagt, dass du dich wenig für religiöse Glaubenssysteme interessierst, ich glaube primär wegen des Gruppenaspektes. Würdest du sagen, dass die Musik von Cut Hands dennoch so etwas wie eine spirituelle Dimension für den Hörer/Tänzer entwickeln kann?
Ich zögere, das Wort “spirituell” zu benutzen, weil es für gewöhnlich stark mit der Sprache der Religion assoziiert wird; dennoch, die Erfahrungen, die oft durch Religion und andere soziale Phänomene hervorgerufen werden, können u.a. auch durch Musik erlebbar werden. Elemente dessen werden in dem Buch, das ich erwähnte, angedeutet, und tatsächlich auch in Maya Derens Begleitbuch zu “The Divine Horsemen”, sie machte in Haiti ihre Erfahrungen aus erster Hand – Keith Johnston erforscht dies in seinen Theaterexperimenten mit Masken in “Improv”.
Wenn du Elemente von Kultpraktiken des Voudou, Santeria etc. in Cut Hands integrierst, bewahrst du dir ein Bewusstsein für die Weltsicht dahinter, oder betrachtest du deine musikalischen Referenzen eher als eine Dekontextualisierung “okkulter” Sounds?
Viele Leute verstehen nicht, wie offen Voudou und Santeria sind, vor allem im Vergleich mit unseren vorschriftsmäßigen monolithischen Religionen – sie ermutigen zum Mitmachen und zum freien künstlerischen Ausdruck innerhalb ihrer Traditionen, sie sind freundlich; die Traditionen annehmen ist teilnehmen ist feiern, es ist alles die gleiche Sache.
Ebenso wie du in der Kirche nicht lachen oder jemanden küssen oder laut sprechen kannst, weil wir es gewohnt sind, auf Zehenspitzen um die Religion herumzuschleichen, um nicht zu stören, ist es leicht, all dies in anderen synkretistischen Traditionen zu vergessen. Es ist einfach nicht das Gleiche.
Die DJ Bennetti-Sets sind immer noch Teil deines Veranstaltungskalenders. Während des Italo Disco-Hype warst du gerade stark in die Noise-Szene involviert, wann und wie bist du dieser Art Musik begegnet, und was ist für dich das besondere daran?
Witzigerweise – und das liegt daran, dass ich alt genug bin – geschah es genau zur richtigen Zeit. Ich zog 1984/85 nach Barcelona, um dort zu leben und wurde dort süchtig danach, da man dort Italo die ganze Zeit in Clubs und im Radio zu hören bekam! Wahrscheinlich sogar noch öfter, als wenn man in Italien leben würde.
Du sagtest einmal, dass das Hauptproblem heutiger Musik in ihrem Hang zum Konformismus liegt und ihrem sklavischen Befolgen von Regeln. Gibt es da Ausnahmen, bestimmte Arten von Musik, die du noch mit Interesse verfolgst?
So viel neue Musik, wie ich mit Interesse verfolgen kann und entgegen meiner Kommentare gibt es heute tatsächlich eine Menge gutes Zeug; bei der überwältigenden Auswahl, die uns heute zur Verfügung steht, ist mir klar geworden, dass du deine musikalische Umgebung einfach etwas besser kuratieren musst und ein bisschen härter arbeiten musst, um Dinge zu finden; die Ergebnis ist es wert.
Um etwas Leichterem überzugehen…Du hast gerade alle „Uncle William”-Episoden gesammelt. Denkst du, du wirst noch mal neue schreiben?
Die Welt hat wahrscheinlich schon mehr als genug Uncle William…
(M.G. & U.S.)
Zeichnungen: Mimsy DeBlois, Konzertfoto: Jimmy Mould