Familien, die mehrere Generationen von Kreativen hervorbringen, sind keine Seltenheit. Das Schöne bei den Howdens ist, dass Vater Keith und Sohn Matt nicht nur seit Jahren im künstlerischen Dialog sind; beide beackern zudem Gebiete, die sich gut zusammenbringen lassen, sobald ein gemeinsames Thema gefunden ist. Und davon scheint es eine Menge zu geben. Keith Howden ist Autor und Maler, Matt wiederum singt, komponiert und spielt Violine. Der Vater steuerte von Beginn an Texte und Bilder zu Matts Aufnahmen bei, der wiederum vertonte vor zwei Jahren einen kompletten Gedichtband des Vaters. Mit “Barley Top” wurde ein zweites Projekt dieser Art fertig gestellt, das nun als Buch und CD vorliegt. Versteckt in einer unscheinbaren Verszeile findet sich ganz beiläufig auch der Titel von Matts erstem Sieben-Album.
“Barley Top” ist die lyrisch aufbereitete Geschichte eines Ortes, eines alten Bauernhofes im nordenglischen County Lancashire, der auch in frühen Jahren immer schon etwas abgewetzt ausgesehen haben muss. Der in den Gedichten zum Leben erweckte Zeitraum konzentriert sich auf die dreißiger Jahre des 20. Jh., und doch ist es ein Schauplatz, der auch in einem Roman des viktorianischen Zeitalters vorkommen könnte, ein Szenario zwischen Realismus und in die Jahre gekommener Romantik, wie nur Engländer es zustande bringen. Die Farm wurde von Vorfahren der Howdens aufgebaut und Keith verbrachte dort als Jugendlicher viel Zeit. Barley Top ist nicht der einzige Schauplatz der autobiographisch geprägten Lyrik, und doch symbolischer Fixpunkt, in dem sämtliche Erinnerungsstränge zusammenlaufen. Ohnehin sind es nicht nur äußere Ereignisse, die an dem Ort stattfinden, viel wichtiger noch erscheinen Eindrücke, Ideen und Reflexionen des jungen Dichter-Ich, die untrennbar mit dem Schauplatz verknüpft sind. Keith’ Schreibweise ist modern ohne betont artifiziell zu sein, im Ton unverblümt, illusionslos, bisweilen drastisch, stets begegnet man Wörtern wie “dry”, “barren”, “vanished” und “broken”. Doch das Beschwören der Erinnerung ist frei von jedem Lamento, und selbst dann, wenn der Verklärung Raum gewährt wird, geschieht dies auf die nur angedeutete, immer noch nüchterne Art bodenständiger Arbeiterlyrik. Ob Kunstgriff oder sein natürlicher Stil, die Unverquastheit macht gelegentliche Perspektivwechsel umso eindrucksvoller. In “For the Rector of Stiffkey”, das Stoff für ein ganzes Buch hätte, gelingt ihm ein imposanter Gegenzoom – aus dem lyrischen Nachruf auf einen Dorfpfarrer, der beim Predigen in einem Raubtierkäfig sein skurriles irdisches Ende fand, wird zunächst ein schlüpfig-ketzerischer Protestsong und zum Schluss ein drastisches Panorama der politischen Ereignisse zu Beginn des zweiten Weltkriegs.
Auch als Rezitator kann Howden sr. auf seine Kunst der Zurücknahme bauen. Vom recht unvermittelten Einstieg bis zum opulenten Schlussteil wird der Hörer von einer Stimme geleitet, die ebenso lebenserfahren wie genügsam anmutet, und trotz Verzicht auf Überschwang nie monoton wirkt. Ähnlichkeit mit Matts Vocals in weniger melodischen Sieben-Momenten sucht man natürlich und findet sie, ich musste aber gelegentlich auch an die Spoken Words-Stücke von Karl Blake denken, der schon als Jungspund wie ein viktorianischer Sage klang. Matt Howdens größte Stärke an der Violine ist das Balancehalten zwischen repetitiver Dynamik und einem verträumten, beinahe impressionistischen Verweilen – Momente, in denen die Musik die Zeitachse links liegen lässt und sich mehr und mehr im Raum ausbreitet. Ebenso ausgewogen das Verhältnis zwischen “romantischer” Gefühlsbetontheit und kraftvoller Passagen, die sein Spiel so kompatibel für Folkrock machen. Jeder Fan erkennt Matt bereits nach wenigen Tönen. Seine Musik zu “Barley Top” ist allem voran ein guter Hintergrundscore, nicht übermarkant, aber doch stark genug, dass es mehr als eine bloße Beigabe ist. Meist schlägt sich die Musik wie eine sanfte Hülle um die Verse, die wohl zuerst aufgenommen wurden, und bleibt dabei eher nüchtern zurückhaltend, nur in manchen Momenten wie in “Eden” gibt es Ansätze zu einem etwas exaltierteren Spiel. In besonders akzentuierten Momenten scheint sich das Verhältnis umzukehren und die Musik gibt den Ton vor, über die Keith seine Texte spricht.
Was Buch und CD unter anderem eint, ist ein besonderes Moment des Nachhaltigen, denn “Barley Top” ist bei weitem nicht so kompakt, wie es die Eingängigkeit von Wort und Ton suggeriert. Erst mit der Zeit entfalten spontane Brüche, Wechsel in Thema und Stimme sowie weitere Instrumente (Bratsche, Klaier, Orgel) ihre besondere Wirkung, die weit mehr sind als Schmuck und Auflockerung. Das Werk erscheint als Buch/eBook und CD sowie als Download und wird hoffentlich noch die eine oder andere Fortsetzung finden. (U.S.)
Label: Redroom