Eine der schönsten Gewissheiten für Krautrock-Fans ist die Tatsache, dass Embryo, das offene Kollektiv um den Schlagzeuger und Multiinstrumentalisten Christian Burchard, auch nach über vierzig Jahren noch exisiert, in Würde gereift ist und immer noch regelmäßig Konzerte gibt. Für alle, die sich gerade erst retrospektiv in derartige Musik einarbeiten, sei ergänzt, dass der genannte Genrebegriff stilistisch ein weites Feld abdeckt und eher noch den räumlich-zeitlichen Rahmen setzt, statt Ordnung in die experimentelle, improvisierte Rockmusik der 70er zu bringen. Die Münchner Embryo brachten in die deutsche Szene ein Element ein, dass sich – um nur ein Beispiel zu nennen – auch bei den mittleren Beatles fand, genauer gesagt machten sie damit ernst: Sie kombinierten ihren Stil, der ohnehin schon im Begriff war, sich von den Strukturen der Populärmusik zu verabschieden, mit verschiedenen Einflüssen außerwestlicher, primär “orientalischer” Musik. Damit gehören sie auch zu den Unrvätern dessen, was heute Weltmusik genannt wird, wenngleich dieser Begriff ursprünglich einmal etwas anderes bedeutete.
Für viele gelten die späten Siebziger als ihre große Zeit, u.a. weil eines ihrer gelungensten Werke in diese Zeitspanne fällt, nämlich ihr Film “Vagabunden Karawane”, der ihre achtmonatige Reise von Europa bis nach Indien dokumentiert. Relativ unorganisiert, aber mit entspanntem Optimismus im Gepäck, zog die Band im Tourbus von Stadt zu Stadt, organisierte ad hoc kleine und größere Konzerte, sammelte Instrumente und Spieltechniken und ließ all das von Regisseur Werner Prenzl und seiner Crew dokumentieren. Auch in Europa waren Embryo stets an Zusammenarbeiten an den verschiedensten Orten interessiert, und wenige Jahre vor der großen Reise kam es zu einer Reihe von Jam Sessions mit dem intalienischen Saxophonisten Massimo Urbani. Ein Teil dieser Sessions, v.a. eine wilde Nacht in einer Undiner Kirche, wurden mitgeschnitten, doch es sollte bis 2013 dauern, bis diese Aufnahmen für eine Veröffentlichung aufbereitet wurden. Diese erschien vor wenigen Tagen beim Vinyllabel Sound of Cobra.
Schon in den ersten Sekunden dringt mit den wilden Glocken und dem entgrenzten Schlagzeug die vitale Begeisterungsfähigkeit aus den Boxen, mit der die Band damals zu Werke gegangen sein muss. Aber auch eine mysthische Grundstimmung, auf die bereits der Titel – “Zeit des Betens” – referiert, ist unüberhörbar. Überwiegend im angeregten Tempo bieten die trancehaften Rhythmen, der erdige Bass und der italienische Sprechgesang eines entrückt wirkenden MC eine Orgie an angejazztem Spacerock, der in seiner repetitiven Ausrichtung auch auf Doppel-LP keinen Eindruck von Überlänge erweckt hätte, solange man nur eine Grundaufgeschlossenheit für derartige Musik mitbringt. Doch es soll sowieso anders kommen – mag der Groove auch leitmotivisch alle Passagen zusammenhalten, bekommen sämtliche Instrumente immer wieder die Gelegeheit, für Minuten im Zentrum des Geschehens zu stehen und die unterschiedlichsten Register jazziger, funkiger und bluesrockiger Standards zu ziehen und vor allem flexibel und kreativ damit umzugehen. Urbanis Saxophon, dessen weltentrückte Melodien bisweilen auch den Orientalismus der Band in Erinnerung rufen, hat an einigen Stellen den Charakter eines besonderen Bonus, für den sich die anderen Instrumente mit Außnahme des schwülen Rhodespiano auch gerne einmal zurücknehmen.
Für gestandene Embryo-Fans ist “Message From Era Ora” fraglos ein Grund zum Feiern, doch zum Einstieg in die Diskografie eignet sich das Vinyl ebenso. Ich schätze mal, das der typische Embryo-Hörer eher auf Plattenspieler als auf iPod schwört, sprich bereit ist, Plattem zu kaufen. Deshalb sollte man sich beeilen, wenn man eine der fünfhundert Scheiben ergattern will.
Label: Sound of Cobra