SANGRE DE MUERDAGO / NOVEMTHREE: Braided Paths

Folkmusik kann die unterschiedlichsten Assoziationen hervorrufen oder, wie man heute sagen würde, in die verschiedensten Richtungen „getagt“ sein. Sie kann die kämpferische Haltung eines Protestsongs einnehmen oder wie ein wehmütiges Echo aus einer verklärten Zeit anmuten. Sie kann als verspielte Hippiemusik daherkommen, oder bieder und zugeknöpft, und dann gibt es noch die freien, experimentierfreundigen Varianten mit offenen Grenzen zu Improv und Noise. Es gibt seit den 70ern eine Tradition, die Prog- und Psychedelic-Assoziationen hervorruft und zugleich eine Art bessere Mittelaltermusik abgibt. Als deutschen Klassiker dieser Richtung kann man das Debüt der späteren Progressivband Hölderlin nennen, in deren Fußstapfen man Bands wie Quellental, Lisa o Piu oder die auf diesem Splitalbum vertretenen Sangre de Muerdago und Novemthree findet.

Pablo, Kopf des galizischen Quintetts Sangre de Muerdago, hat seine Wurzeln im Crustcore, was man aber in den schöngeistigen Kopfhängerballaden, die gewiss von volkstümlichen Märchen und Sagen der iberischen Halbinsel handeln, kaum heraushört. Schon die Flötenklänge und die gemütsreichen Streicher lassen Archetypisches anklingen, das durch die hellen, hippiesken Saitenanschläge keine allzu nostalgische Manifestation erhält. Das Galizische, das die ausdrucksstarken Gesangsmelodien mit Inhalt füllt und sich auch für unkundige Ohren merklich vom Spanischen unterscheidet, mag in dem Kontext ungewohnt klingen, und hätte sicher auch mit etwas weniger Pathos seine Wirkung gezeigt.

Novemthree aus dem Nordwesten der Vereinigten Staaten wissen ihre naturverbundenen Klänge in einem recht breiten Stilspektrum zu verorten, welches sie selbst – vermutlich der Stimmung wegen, wenn auch sicher etwas ironisch – als Blues bezeichnen. Innerhalb der Stücke kann sich die Gestalt schon mal von gelösten, besinnlichen Klimpern auf Gitarre oder Piano in kraftvollen, fast martialischen Darkfolk wandeln, mit Bodhran, Geschrammel und hymnischem Chorgesang. Eine solch druckvolle Gesangsart scheint dem Sänger eher zu liegen als das melancholische-betuliche Gegenprogramm, da in den ruhigeren Passagen allzu deutlich wird, dass an ihm kein B’ee verloren gegangen ist.

Folkfreunde, eine gewisse Leidensfähigkeit für Pathos vorausgesetzt, können sich bei „Braided Paths“ davon überzeugen, wie international solche Musik heute ist, wer zudem auf naive Folk Art steht, findet in dem schön gestalteten Klappcover einen zusätzlichen Anreiz.

A. Kaudaht

Label: Avant! Records/Boue/Música Máxica/Sick Man Getting Sick