So fragwürdig es auch scheinen mag, ein Album mit einem einzigen Wort zu charakterisieren, kann ich mich doch im Fall von Weyes Bloods neuer LP diesem Reiz nicht entziehen, und der entsprechende Begriff ist noch dazu heikel: nostalgisch. Heikel deshalb, weil dem Wort gerne das Klischee der Rührseligkeit, des weltfernen und eher schädlichen Schwelgens im Verlorenen angehängt wird. Dies sicher zu Unrecht, denn es gibt durchaus gehaltvolle Formen emotionaler Aufarbeitung des Vergangenen. Das vorliegende Album macht dies gerade vor.
Auf „The Innocents“ kommt Natalie Mering, die Frau hinter der Weyes Blood-Persona, ohne trivialen Schmalz aus und schwimmt auf durchaus originelle Weise auf der nicht mehr ganz frischen Vintage-Welle. Ziemlich souverän channelt die Musikerin verschiedene Stile der 60er und 70er, die sich in beatlastigem Rock oder in blumigem Akustikfolk manifestieren können und sich bei aller Eingängigkeit stets einen gewissen Minimalismus und eine nur halb angeschliffene Oberfläche bewahren. Wer ihr Projekt schon etwas länger verfolgt, weiß um ihren experimentellen Ansatz und ihre Vorliebe für abstraktere Strukturen, und an manchen Stellen ihres introvertierten Vorgängeralbums konnte man ihre Nähe zu Noise und Improv in den dunkel-entrückten Hammondorgel-Soundscapes erahnen. Auch in der wesentlich songfokussierteren Gegenwart kommt ihr diese Prägung zugute, denn einige Songs erfahren nicht nur durch die latente DIY-Gestalt(ung), sondern auch durch spielerische Tremolo- und Rewind-Effekte, durch kleine Atonalitäten eine deutliche Brechung und sind mehr als ein hippieskes Pop-Idyll. Das Pathos ihres schwermütigen Gesangs in Alt, den ein unfreundlicherer Zeitgenosse vielleicht mit Jennifer Rush vergleichen würde, gerät schon deshalb nie zur Schmonzette.
Herbstlich anmutende Wehmut findet sich dennoch allerorten, und die komplementäre Reflexion über Vergangenes kommt in den meisten der Songtexte zum Ausdruck. Das deutet ja der Titel schon an, denn wie oft redet jemand über Unschuld als etwas Gegenwärtiges oder gar Beständiges? Fast nie! Wie kurze ausschnitthafte Episoden aus einem Jahr in der Vergangenheit muten die Stücke an, als die lyrische Persona auf kaum wiederholbare Weise Glück und Bedeutsamkeit erfahren hat, resümiert aus einem erfahreneren, gereifteren Blick, der die Sehnsucht nach der vergangenen „Unschuld“ aber kaum verschleiert. Vielleicht mag das etwas altklug wirken, wenn man bedenkt, dass Mering immer noch unter dreißig ist. Doch bekanntlich hält sich jede Altersgruppe für erfahren und misst sich an der jeweils jüngeren, ernsthaft jedenfalls klingen die hier anklingenden Meditationen durchaus. Heimeliges Schrammeln wie in „Summer“ und an Ukulelen erinnernde Gitarrenparts in „Land of Broken Dreams“ täuschen dann auch ebenso wenig wie die gehauchten Samplechöre darüber hinweg, dass die schweren Klavierakorde in „Some Winter“ die Stimmung des Albums am deutlchesten wiedergeben.
Mering entwirft ein gediegenes und zugleich immer noch düster-verwunschenes Setting, man mag sich die angedeutete Geschichte in einem Park wie dem in „Don’t Look Now“ vorstellen. Dass all dies auf eine Art Pop hinausläuft, hat auch etwas bedauerliches, denkt man an die entrückten Klänge auf „The Outside Room“. Aber vielleicht gehorchen junge, verhuschte Sängerinnen (siehe Nadler, Newsom, June, Danilova und viele mehr) ja einem mysteriösen Naturgesetz, wenn sie sich nach der zweiten oder spätestens dritten Platte aus der leichtscheuen Nische in die Welt der Indie-Labels und der (zumindest potentiellen) Spextauglichkeit begeben.
A. Kaudaht
Label: Mexican Summer