Von Anfang an waren die Epicurean Escapism-Festivals und die dazugehörigen Veröffentlichungen nie rein musikalisch ausgerichtet und auch wenn das Adjektiv schon lange sehr inflationär verwendet wird, kann man durchaus von einem multimedialen Ansatz sprechen, in dem Musik, Film und Bild gleichwertige Rollen spielen.
Die in den vergangenen Jahren extrem aktiven Sutcliffe Jügend, deren Output mittlerweile zwischen Power Electronics und experimentelleren Tracks changiert, liefern mit „Amuse-Bouche“ einen harschen, von einem Beat durchzogenen Track ab. Mein Favorit ist Alfarmanias „I Blodets Glöd“: Eine Stimme rezitiert, während es im Hintergrund rumpelt und kracht. Nach etwa vier Minuten setzen Vocals ein, die an frühe GO erinnern. Diese fast zwölf Minuten sind eine Tour de Force. Das Death Industrial-Stück hat einen ziemlichen LoFi-Charakter und hebt sich mit seinem schmutzigen Klang von oftmals zu glatt und klinisch klingenden Tracks des Genres ab. Dazu passt dann auch die von Schädeln durchzogene Collage im Booklet. Last Dominion Lost haben in den vergangenen Jahren gezeigt, wie man einen zeitgemäßen und gleichzeitig an der ersten Generation orientierten Industrial spielen kann. „To the Master, a Long Goodnight“ ist eine rituelle Hommage an den verstorbenen John Murphy, der hier an Perkussion und Elektronik zu hören ist.
Hatte Nikolas Schreck auf seinem zusammen mit dem ehemaligen Bandkollegen James Collord eingespielten Kingdom of Heaven-Album an das (unveröffentlichte) erste Radio Werewolf-Album angeknüpft, so erinnert „Lord Sutekh’s Dream“ (auf den ägyptischen Gott Set verweisend, den Schreck und seine Frau Zeena vor ihrer Konversion zum Buddhismus im Temple of Set huldigten) mit seinen elektronischen Spinettklängen passgenweise an „The Fiery Summons“. Budrus aus Litauen vermischen auf „Duobė“ flächig-sakrale Elektronik mit markerschütterndem Gebrüll. Gerechtigkeits Ligas „23/7“ kombiniert Perkussion, Samples und Noisespuren, aus denen sich ein ruppiges, leicht rituelles Stück entwickelt. Das wie üblich von Martin Bladh gestaltete Artwork, das Skin Areas „Sighs of Warning“ illustriert, fokussiert sich (erneut) auf den Menschen und seinen Körper und dem, was ihm durch Krankheit („our flesh surrounds us with its own decisions“, wusste schon Philip Larkin) oder den Mitmenschen angetan wird. Auf dem zehnminütigen Stück verschwindet Bladhs Stimme fast inmitten des analogen Gebrutzels.
Lassen sich die auf der CD vertretenen Künstler durchaus als solche charakterisieren, die die Beschäftigung mit dem Batailleschen Heterogenen nicht meiden und deren Thematisierung der Schattenseiten des Homo sapiens durchaus ambivalent ist bzw. sein kann, so ist Dave Phillips, dessen Werk die 180-minütige DVD gewidmet ist, leicht anders zu verorten, auch wenn es durchaus musikalische und inszenatorische Überschneidungen gibt. Aber seinem Ansatz der Konfrontation des Menschen mit den Schattenseiten des „Fortschritts, den verschiedenen Formen der Ausbeutung der Natur und den Konsequenzen von Machtpolitik unter High-Tech-Bedingungen“ (wie Uwe Schneider im begleitenden Essay schreibt) wohnt zumindest auf den ersten Blick wenig(er) Ambivalenz inne, vielleicht könnte man sagen, dass er didaktischer ist (wenn man das Wort deskriptiv und nicht pejorativ versteht), wobei Uwe Schneider zu Recht darauf hinweist, dass Phillips indirekt arbeite, Raum zur Reflexion geben möchte.
Auf Phillips’ Website finden sich u.a. Beschreibungen seiner Arbeit als „ritual protest music“ oder „sonic activism“. Insgesamt drei Stunden kann man Dave Phillips‘ Auftritte , seine Videoarbeiten sowie Collaborationen mit anderen Künstlern erleben. Das mit „Video Action“ betitelte Stück, auf dem sich die Visuals befinden, die Phillips bei Auftritten verwendet, lässt sich fast als (s)ein Manifest verstehen. Die Aneinanderreihung von all dem, was der Mensch inzwischen (auch) dank des Fortschritts machen bzw. anrichten kann (Atombomben werfen, die Umwelt verschmutzen, Tiere töten etc.) wird mit Slogans gegengewschnitten: „our technology has exceeded our humanity“. Auf die Frage „are you lonely“ folgn Bilder von Hühnern in Legebatterien. Philipps Wunsch nach „less waste, greed, avarice and selfishness” ist sicher ein letztlich utopischer, konnte man doch gerade noch lesen, dass im reichsten Land der Erde die Hälfte der produzierten Lebensmittel vernichtet werden.
An anderer Stelle heißt es „Waste is obscene“. In der Tat. Verglichen mit den Bildern von gequälten Tieren, die die Videoarbeiten dominieren (auf “Threnody” sieht man, wie in Südkorea wegen der grassierenden Maul-und-Klauen-Seuche Schweine lebendig begraben werden), scheint bei den Auftritten der Körper im Mittelpunkt zu stehen: Beim Geschlechtsakt (“Hole/holy”), als des Sehens Beraubter (“130731″), als Schrei(ender) (“Screamscape”). Verglichen damit hat die Zusammenarbiet mit gx jupitter-larsen bei “?10″ fast schon etwas Poetisches. (JM)
Label: The Epicurean / Silken Tofu