Wenn sich in den letzten Jahren in der Rezeption von Musik wie Power Electronics etwas geändert hat, dann insofern, dass es immer mehr Projekte gibt, die – ob wegen ihrer Musik oder aufgrund von Kriterien wie Labelzugehörigkeit sei dahingestellt – auch außerhalb einschlägiger Szenen gehört werden, auf hippen Labels herauskommen, auf arty Events spielen, bei Pitchfork und im Wire besprochen werden u.s.w. Whitehouse waren in der Hinsicht schon Grenzgänger, als Power Noise noch weitgehend eine Sache der subkulturellen Nischen war, und das lässt sich nicht einzig damit erklären, dass sie aus einer Zeit in den frühen 80ern stammten, als Post Industrial noch keine festgefahrene Szene bildete.
Neben allen Zufälligkeiten, die auf solche Entwicklungen einwirken, scheint dies auch ein bisschen daher zu rühren, dass Whitehouse spätestens seit ihrer zweiten Werkphase, die in etwa zeitgleich zur Herausbildung der Post Industrial-Community im heutigen Sinne begann, mit vielen Genrestandarts nichts am Hut hatten. Aller Radikalität auch textlicher Art zum Trotz hatten Whitehouse wenig Interesse am dezidiert Konzeptuellen, nie standen ganze Alben im Zeichen einer Idee, mag diese noch so mehrdeutig, gebrochen oder überaffirmativ konzipiert sein.
Stattdessen setzten Philipp Best und William Bennett auf vage Schwerpunkte, auf ein eher allgemein gehaltenes thematisches Referenzsystem und die Kraft einer (über-)markanten Attitüde, die stets einen Hang zur Selbstentblößung enthüllte und durch Bests touretteartiges Zetern immer auch einen Touch von Satire hatte. Deshalb, aber auch weil sie statt weltbewegender Themen den kleinen Hässlichkeiten des Lebens ihre Aufmerksamkeit schenkten, fehlte ihr auch das Lehrerhafte, das PE in seiner ganz eigenen abgklärten Kühlheit meist auch ohne einfache Slogans anhaftet. Whitehouse’ in Abscheu getränkte Feier des Hässlichen war auch immer eine ambivalente (kathartische?) Feier des Lebens, und eine quasi posthume Compilation „The Sound Of Being Alive“ zu nennen, passt somit ganz gut.
Von der Auswahl her ist „The Sound Of Being Alive“ eine Art Best-of ihrer Alben ab „Mummy and Daddy“, d.h. es geht hier – gewagt ausgedrückt – um die klanglich eher schönen Whitehouse der zweiten Werkhälfte zu Ungunsten der ohrenschindenden Hochfrequenzen der 80er Jahre. Das einleitende „Wriggel Like A Fucking Eel“ vom „Bird Seed“-Album repräsentiert dies mit seinem heftigen, aber durchaus fein ziselierten Dröhnen und den akzentuierenden Beatansätzen, zugleich ist Bests auf diesem Sound schwimmende Hasstirade ein perfektes Beispiel für die textliche Natur später Whitehouse-Tracks – langweilige Klischees wie die Markenfetische und Sexfantasien eines einsamen Halbgaren, dem ich „American Psycho“ empfohlen hätte, werden abgekanzelt, denn was fehlt ist wohl das Besinnen auf die eigene glitschige Kreatürlichkeit, doch im punkigen Gezeter taucht immer auch die Frage auf, wer da eigentlich spricht, und ob die Stimme nicht vielleicht doch sich selbst meint.
Gleich darauf das sattere, kernigere „Cruise (Force The Truth)“, bei dem musikalisch nicht viel passiert und das doch (schon bevor die in schriller Hysterie herausgepressten Vocals einsetzen) extrem nach vorn prescht, und das sich auch als punkiges, die Sleaford Mods vorwegnehmendes Protestlied gegen die Banalisierung und Jasagerei in der Konsum- und Leistungsgesellschaft verstehen lässt, bis auf die Tatsache, dass das direkt adressierte Opfer durch einen Fragenkatalog über gängige Identitäts-Schablonen eher verhöhnt als zum Ausbruch aus der Mühle des Alltags motiviert wird.
Stücke von Whitehouse sind reichhaltig genug, um auch mit einer Auswahl vom zwölf Tracks Stoff für ein kleines Buch abzugeben, ich nenne hier nur die wichtigsten Beiträge, die dem Fan natürlich durchweg bekannt sind: Da wären vergleichsweise ohrenfreundliche Tracks wie „Princess Disease“ oder das rezitative „Kiling Hurts Gives you the Secret“, das mit Pauken und nur gelegentlichen Schreien die übliche Aggressivität nur andeutet, ähnlich wie „Cut Hands Has The Solution“, das nicht nur namensgebend für Bennetts späteres Projekt sein sollte, sondern auch ganz neue Dimensionen psychologischer „Feinfühligkeit“ auslotet. Neben solch relativ erholsamen Momenten sind selbstredend Kracher wie das herrlich holprige und den Höhepunkt an misanthropischer Hysterie bildende „A Cunt Like You“ vertreten, ferner das zwiespältige Coming of age-Stück „Why You Never Became a Dancer“ – im selbstgerechten Ton des wütenden Shouters entsteht die gleiche ambivalente Spannung wie im Opener, weshalb sich der Kreis am Ende nicht besser schließen könnte.
Ob mit dieser Best-of im Allgemeinen ebenfalls ein Abschlusszeichen gesetzt werden soll, die alte Größe in Erinnerung gerufen oder aus ihr noch einmal Kapital geschlagen werden soll, sei dahin gestellt – vermutlich von all dem etwas. Ich empfehle diese (von Noel Summerville neu gemasterte) Auswahl allen jüngeren Zeitgenossen, die gerade auf den Geschmack kommen und allen, die schon mal ein Geschenk für den nächsten Valentinstag in der Tasche haben wollen. (U.S.)
Label: Susan Lawly