H.P. Lovecraft ist mit seinen Kreationen, insbesondere mit seinem Oktopoden Cthulhu, aus der Popkultur nicht mehr wegzudenken. Dass die Rezeption dieses „literarischen Kopernikus“ (Fritz Leiber) heutzutage dann leider auch über Plüschtiere abläuft, ist bedauerlich („Wenn heute Lovecrafts Wesen oder Erfindungen zitiert werden, dann hat das in den seltensten Fällen etwas mit seinen Themen zu tun“, wurde schon vor ein paar Jahren bemerkt), denn Lovecrafts „kosmischer“ Horror, den der verstorbene Joel Lane als „ontologischen“ bezeichnete, situiert den Menschen adäquat in seiner ganzen Insignifikanz in einem indifferenten oder feindlichen Kosmos. In einer Zeit, in der Spiritualität in allerlei Formen – ob als privatmythologische Bricolage aus Homöopathie, Diäten etc. oder aber als leidlich systematisierte Form von Aberglauben an eine „low-budget-divinity“ (Thomas Ligotti) – wieder vermehrt auftritt, ist Lovecraft mehr als aktuell.
Gleichzeitig gibt es aber inzwischen kaum noch einen Artikel über den Einsiedler aus Providence, in dem nicht in der einen oder anderen Art und Weise Lovecrafts weniger angenehme Seiten thematisiert werden. Da versuchen die Faschisten von Counter Currents Lovecraft für sich zu vereinnahmen, da gibt es die im Vorfeld der Necronomicon stattfindenden Kontroversen um den Umgang mit Lovecrafts Rassismus, da behauptet eine Vortragende während eben dieser Veranstaltung, fast das gesamte Werk Lovecrafts sei “worthless drivel”, da wird die ihn abbildende Preisbüste bei den World Fantasy Awards ersetzt. Viele Apologten wie Gegner neigen augenblicklich zu etwas starren Schwarz/Weiß-Malereien.
Lovecrafts Rassismus kann und darf man nicht leugnen: Es gibt widerliche Äußerungen aus seinen zahlreichen (etwa 100 000) Briefen, unschöne Ergüsse wie das 1912 geschriebene Gedicht über seine nicht weißen Mitbürger und Kurzgeschichten, in denen solche Gedanken virulent werden (am berüchtigsten sind Passagen aus “The Horror At Red Hook”). Gleichzeitig hat Lovecraft am Ende seines recht kurzen Lebens – er starb mit 46 Jahren an Krebs – auch Korrekturen seiner Haltungen vorgenommen: “I can better understand the inert blindness & defiant ignorance of the reactionaries from having been one of them. I know how smugly ignorant I was. . . The only consolation lay in the reflection that I had matured a bit since ’24. It’s hard to have done all one’s growing up since 33—but that’s a damn sight better than not growing up at all.”, schrieb er 1937 in einem Brief an Catherine L. Moore.
Auch in Lovecrafts 1920 geschriebener Kurzgeschichte „The Picture In The House“ finden sich Passagen, die sich als Furcht vor Degeneration lesen lassen: In einem Buch findet der Erzähler ein Bild von “negroes with white skins and Caucasian features”. Die Kurzgeschichte spielt für den Cthulhumythos (der Begriff, der sich in der Nachfolge von August Derleth als Terminus für die nur bedingt kohärente Pseudomythologie eingebürgert hat) nur insofern eine Rolle, als “The Picture In The House” das erste Prosawerk Lovecrafts ist, das das (fiktive) Miskatonicvalley und die (ebenfalls fiktive) Stadt Arkham erwähnt. Ansonsten findet sich in dieser Geschichte nicht die kosmische Perspektive, die das spätere Werk dominieren sollte.
Die Eingangszeilen haben durchaus programmatischen Charakter: „Searchers after horror haunt strange, far places. For them are the catacombs of Ptolemais, and the carven mausolea of the nightmare countries. They climb to the moonlit towers of ruined Rhine castles, and falter down black cobwebbed steps beneath the scattered stones of forgotten cities in Asia. The haunted wood and the desolate mountain are their shrines, and they linger around the sinister monoliths on uninhabited islands. But the true epicure of the terrible, to whom a new thrill of unutterable ghastliness is the chief end and justification of existence, esteem most of all the ancient, lonely farmhouses of backwoods New England; for there the dark elements of strength, solitude, grotesqueness, and ignorance combine to form the perfection of the hideous“. Was der (namenlose) Protagonist dann in diesen Regionen Neuenglands und im titelgebenden Haus erlebt, lässt an Backwoods Horror avant la lettre denken: Der (zu) jung aussehende Bewohner des Hauses scheint von einem Buch inspiriert worden zu sein, sich dem Kannibalismus (als Jungbrunnen) zuzuwenden und der immer verunsichertere Protagonist bzw. sein Geisteszustand werden nur durch einen Deus ex machina-Moment (ein Blitz zerstört das Haus) gerettet.
Cadabra Records veröffentlichen seit einigen Jahren aufwändig gestaltetes Vinyl mit musikalisch untermalten Lesungen aus dem Bereich Weird Fiction (Smith, Chambers, Lovecraft etc.). Andrew Lemans, Mitgründer der Lovecraft Historical Society, Vortrag wird untermalt von Fabio Frizzi, der u.a. eine Reihe von Fulcifilmen orchestriert hat. Sein – verglichen mit anderen Cadabraveröffentlichungen – opulenter Score fängt an mit leicht melancholischen Gitarren-, Streicher- und Pianopassagen, die dann an Dramatik zunehmen, ein Glockenspiel setzt ein. Im Großen und Ganzen wird aber eher eine leicht kontemplative Trauerstimmung erzeugt, bis das Stück dann am Ende dramatisch ausklingt. (MG)
Label: Cadabra Records