HÜMA UTKU: Gnosis

Hüma Utku zählt zu den Musikerinnen, die ihre Arbeiten langsam und fast ein wenig unscheibar anklingen lassen. Ähnlich wie auf der letztjährigen EP “Seb-i Yelda”, die noch unter ihrem Projektnamen R.A.N. alias Roads At Night erschienen ist, beginnt auch ihr neues Album gemächlich im Stil dunkel verhallter, fast gehauchter Ambientmusik mit kleinen hellen Obertönen und dezenten Beatansätzen – ein Stil, mit dem manche Kollegen ganze Musikerkarrieren bestreiten. Das in der ruhigen Gangart des Openers “Vulnerary” wenig Beschaulichkeit zu finden ist, sich im Gegenteil einiges an Aufruhr unter der Oberfläche tut und die im Titel anklingende Verwundbarkeit anklingen lässt, lässt vielleicht schon ahnen, dass sich im Verlauf von “Gnosis” noch einiges ereignen wird.

Dem lapidaren Titel entsprechend ist das Album, das die in Istanbul geborene Berliner Musikerin mit Feldaufnahmen von verschiedenen Reisen und jeder Menge Elektronik produziert hat, tatsächlich dem gewidmet, was mit dem altgriechischen Begriff ursprünglich gemeint war: eine Erkenntnis, die durch unmittelbare intuitive Erfahrung erworben wurde – “not science but Gnosis from direct experience in sunlight”, wie es der griechische Okkult-Musiker Othon Mataragas einmal in einen Songtext packte und wie es längst auf vielen Körperteilen seiner Fans tätowiert ist. Die Geschichte einer solchen Erfahrung soll hier also im Medium Musik erzählt werden.

Schon weil man sich eine solche Erfahrung kaum anders als von unerwarteten Wendungen gespickt vorstellen kann, ist die Musik auf “Gnosis” von einer sehr wechselhaften Dramatik. Vom ambienten Opener leiten kleine abgerundete Erschütterungen über in “Black Water Red”. Dort werden sie bald von noisig-rituellen Rhythmen abgelöst, die den Schauplatz martialisch einfärben, auch wenn sie zunächst wie Getrommel auf einer Kunststoffplatte klingen. Stürmisch tosende und rasselnde Details schaffen eine kraftvolle, aber niemals heroische Atmosphäre, doch den Höhepunkt bildet eine nie völlig klar vernehmbare und doch ungemein hypnotische Gesangsspur, die wie der Missing Link zwischen Sprechgesang und Carl Orff’schen Chören anmutet. Retardierende Momente wie weiträumig kreisende Ambientflächen, hintergründige Vocals, kosmisches Glühen und tastende Perkussion halten die Musik in Bewegung. Plötzliche Epiphanien in Form von immer wieder an überraschenden Stellen hereinbrechenden Rhythmen aus gesampletem Material, das wuchtig oder skellettiert durch den Raum tanzt und dabei eindringlichen Klangegesang umkreist, prägen die folgenden Tracks, die mit Titeln wie “Truth From The Deepest Source”, “All The Universe Conspires”, “A Gift From The Dark Ages”, und “All-one” auf den spirituellen Grundtenor des Narrativs verweisen.

“Gnosis” ist nicht nur ein athmosphärisch ungemein reichhaltiges Album, das nie zu dezidiert mit dem Zaunpfahl winkt, es schlägt ganz selbstverständlich auch die Brücke zwischen stylischem Club-Industrial Marke Restive Plegonna oder Margenrot, mystischem Loki-Ambient und einer düster-technoiden Musik, wie sie auf dem persischen Zabte Sote-Label erscheint. Da Musikszenen gemeinhin die hohe Kunst der Beschränktheit pflegen, wird dieses Grenzgängertum Utku nur bedingt etwas bringen, doch aufgrund ihrer markanten eigenen Handschrift, ist dies ganz sicher zu verschmerzen. (U.S.)

Label: Karlrecords