R.A.N.: Seb-i Yelda

Die ersten Minuten von “Seb-i Yelda” könnten der Auftakt zu einer Ambientplatte, zu einem subtilen Noisetrack oder zu einem düsteren elektronischen Hörspiel sein: kühles, furchteinflösendes Rauschen in verschiedenen Tonlagen, diverse, nur für kurze Zeit repetitive Taktfolgen, tiefes Stimmengemurmel und spannendes Beckenrauschen sowie eine klangliche Dichte, die zunimmt und doch nie auf einen Höhepunkt zusteuert – all dies und weitere, schwer auszumachende Details prägen den gleichnamigen Opener der neuen EP von R.A.N., und am Ende des Tracks ist immer noch unklar, in was für einen Strudel man da gezogen wurde.

“Seb-i Yelda” heißt auf deutsch “Die längste Nacht” und geht auf einen Text des Dichters Bosnian Sabit Efendi zurück. Für Hüma Utku, die Frau hinter R.A.N. alias Roads at Night, die in Istanbul aufwuchs und – schon damals, aber auch seit sie in Berlin lebt – einige Länder des Nahen Ostens bereist hat, ist der Titel ein Symbol für die schon lange anhaltende Zeit der Zerstörung und Unruhe, in der sich diese Region befindet, vergleichbar unserer eigenen zur Zeit der Weltkriege.

Wut, Angst, Trauer, aber auch Hoffnung und Durchhaltevermögen will die Künstlerin in ihre vier neuen, mit Elektronik und traditionellen Instrumenten produzierten Tracks packen, und tatsächlich ist das Werk trotz durchgehender Dunkelheit sehr wechselhaft geraten. “Ay” mit seiner anrührenden Tonfolge auf dem Klavier klingt wie eine Mondsonate, doch im Hintergrund brodelt und lodert es, und ständig rechnet man mit einem eruptiven Ausbruch, der sich aber erst auf der zweiten Seite, in “Sabah” ereignet. Flammenprasseln, Handtrommeln, rhythmische Detonationen und das durchdringende Summen eines Blasinstruments wirbeln durcheinander, kollidieren geradezu, etwas Heftiges erwacht.

“Kul”, das mit stark verfremdeten Stimmen (vielleicht einem gesampleten Gebetsruf?) beginnt, zieht die Hörer in eine dröhnende Tiefe hinab, geradezu auf einen offenen Schluss. Der ist nicht nur dem Thema angemessen, sondern auch ein perfekter Cliffhanger, denn in ein paar Monaten soll der an “Seb-i Yelda” anknüpfende Longplayer bei der gleichen Adresse erscheinen. (U.S.)

Label: Karlrecords