Wenn das neue Torba-Album ein Pendant in der Welt der haptisch erfahrbaren Artefakte hat, dann ist es die Ruine – ein Phänomen, welches das Künstlerkollektiv Alterazione Video jüngst am Beispiel unvollendeter Architektur und Infrastruktur untersuchte, an verschiedenen Konstruktionen, die aus Geldmangel, wegen technischer Probleme, politischer Planänderungen und ähnlicher Gründe Fragment bleiben mussten. In der dazu entstandenen Studie wurden sie als die bedeutendsten Kunstwerke des heutigen Italiens bezeichnet.
“Musique Inconcrète”, erneut eine Reihe an feinsinnigen Cut-Up-Kollagen, wurde stark von diesen Überlegungen getriggert und setzt sich aus eher spontan zusammengesetzten Komponenten zusammen, denen man ihre Fragmentiertheit anmerkt. Benannt hat Torba das Resultat allerdings nicht nach dem Unvollendeten, sondern nach dem “Inkonkreten”, was eine ganze Reihe weiterer Bedeutungsnuancen eröffnet.
Im Vergleich zur One Track-CD “Musica Convenzionale”, dem ersten Teil der losen Reihe “Le Musiche”, erst recht aber zu früheren Veröffentlichungen, sind die sieben Tracks des neuen Longplayers noch ein ganzes Stück dezenter, andeutungshafter und ungreifbarer: Mikrosequenzen, deren Soundmaterial diffus an Zikaden, Straßenlärm, Sinustöne, Wind und Wasser und zwitschernde Vögel, aber auch an jazziges Basspiel erinnert, eine Viel-, wenn nicht Unzahl an per Telefon aufgezeichnetem Material, dazu Songzitate und immer wieder dezente Manipulation – all das liegt übereinander, greift ineinander und verschmilzt doch nur soweit miteinander, dass das Konstrukt einer Einheit verwehrt bleibt. Alles verbindet sich gerade so stark, dass die Konturen einzelner Klänge undeutlich und eben unkonkret werden.
Man kann darin freilich eine Kritik an den Ideen der Musique Concrète, oder zumindest das Aufzeigen einer Kehrseite und eines blinden Flecks sehen, betonten die Pioniere dieser Musik doch besonders das Material in seiner wie selbstverständlich angenommenen Abgegrenztheit. Die einzig deutliche Grenze, die Torba hier zieht, ist die des immer wieder überraschenden Schlusspunktes einer Sequenz oder einer Tonspur, womit er an einige seine früheren Tape-Veröffentlichungen anknüpft. Torba ist nach wie vor ein Gelände mit vielen abrupt endenden Sackgassen. Mehr noch als in den opulenteren Stücken wird dies in den zwei minimalistischen “Intermezzi” deutlich, in denen der (teils verfremdete und im Tempo hochgeschraubte) Auftakt einer berühmten Klaviersonate durch ein Szenario verhuschter Sounds getrieben wird. Daran, dass das Motiv immer wieder nach drei Tönen de nova da capo geht, mag man sich gar nicht gewöhnen, und soll es vielleicht auch nicht.
In dieser Spannung, in der die einzige klare Kontur die Evidenz des Unfertigen ist, liegt die Signifikanz und natürlich die größte Herausforderung von “Musique Inconcrète”. Hat man sich daran gewöhnt, erkennt man viel Schönheit in dem Gebräu aus Verkehrslärm, Stimmengewirr und verschwommener Jahrmarktsmusik. (U.S.)
Label: Fragment Factory