MARJAN FARSAD: White Tree

Manche Musiker lassen sich mehrere Jahre Zeit für ihre Alben, widmen sich zwischendurch immer wieder anderen Dingen, sammeln so Inspirationen, lassen den Ideen ihre Zeit, um heranzureifen, und zwingen auch den richtigen Moment für die Aufnahme nicht über Gewalt herbei. Wenn dann nach Jahren wieder ein Lebenszeichen bei den Fans ankommt, ist es oft, als hätte man den alten Faden, den man gerade wieder aufgreift, nie wirklich losgelassen.

Marjan Farsad verwendete auf ihrem ersten Album “Blue Flowers” teilweise Stücke, die sie schon Jahre zuvor geschrieben hatte und gab in ihren auf Farsi gesungenen melancholischen Folksongs, die oft persönliche Themen, bisweilen aber auch das Schicksal ihrer in der Diaspora lebenden Familie behandelten, gerade vielen Iranern und Exiliranern eine neue Stimme. Auch einige, die das filigrane Songwriting von Sängerinnen wie Marissa Nadler oder Sarah June mögen und nicht den Anspruch hatten, die Texte zu verstehen, fanden an ihrer Musik Gefallen. In einer weniger subkulturell segmentierten Welt wären dies sicher noch mehr gewesen.

Auf ihren zweiten Longplayer “White Tree”, dessen Titel den von Raureif bedeckten Bäumen ihrer früheren Heimat Montreal gewidmet ist und der am Ende einer schweren gesundheitlichen Krise fertiggestellt wurde, mussten ihre Fans fast sechs Jahre warten. Doch trotz der Ankündigung, das es diesmal um einiges elektronischer zugehen sollte, knüpfen die mit einem ganzen Arsenal akustischer und elektronischer Instrumente eingespielten Songs doch alle recht gut an die Stimmung und den Sound des Vorgängers an.

Auf einige Momente trifft das besonders zu: Das vom sanften Plätschern des Wassers eröffnete “Khiaban” hat mit seinem stimmungsvollen Muster aus Gitarre und Mandoline das osteuropäische Feeling, das man von früheren Songs her kennt, der mitreißende Gesang und die drängenden Streicher geben ihm eine anrührende Note. Dass ihre Songs trotz aller Wehmut immer auch euphorisch klingen können, zeigt sich einmal mehr in der tänzelnden Melancholie von “Emrooz O Farda”, dessen flinke Gitarrenpickings bald Unterstützung von einem leicht vertrackten, aber immer noch tanzbaren Takt bekommen. Trotz elektrifiziertem Saitenspiel und holziger Perkussion ist ihr mit “Parandeha” ein weiteres schönes Lullaby gelungen.

Diejenigen Songs, die das bekannte Bild erweitern, fügen sich perfekt ein: Das zwischen Latino- und Jahrmarktstimmung verschieden eingefärbte “Abrisham” ebenso wie “Sokoote Barfi”, eine romantische Klavierballade von einigem Tiefgang und mit leicht jazzigem Einschlag, oder “Derakhte Sepid”, in dessen Sanftheit sich ein treibender (oder eher getriebener?) Rocksong versteckt. Auch die beiden auf Englisch gesungenen Stücke – das bittersüße “Italian Wine” und “Crystals” mit seinem kabarettauglichen Banjo – wirken nicht aufgesetzt und zeigen den bisher Unbefugten einen kleinen Einblick in die Texte der Songschreiberin. Auch wenn Interpretation eine heikle Sache ist, kommt man dadurch vielleicht auch dem gespaltenen Selbstporträt, das das Cover ziert, etwas näher.

Wie schon auf “Blue Flowers” verknüpft die Sängerin mit ihrer Band ganz unterschiedliche Stile, die sich wie von Zauberhand zu etwas neuem von ganz eigener Art verknüpfen. Das macht “White Tree” auch zu einer Wunderkammer, die man immer wieder neu als Entdecker betreten kann. Der eigentliche rote Faden ist die emotionale Ernsthaftigkeit, die in jedem Detail spürbar ist. Das Album erschien zunächst digital im Eigenrelease. (U.S.)