Als vor gut drei Jahren mit “Trans-Millenia Music” eine umfangreiche Compilation der Werke Pauline Anna Stroms herauskam, lag schon etwas von einem Comeback in der Luft. Rvng Intl. holte damit eine Auswahl ihrer Tracks aus der Versenkung, die in den 80ern unter dem Namen Trans-Millenia Consort nicht nur neue Standards ambienter, elektronischer Kompositionen setzten, sondern auch eine ganz eigene wirkmächtige Mythologie entstehen ließen.
Archaische Settings aus der frühen Geschichte unseres Planeten überblendeten sich mit Szenen aus frühen Zivilisationen und vagen Bildern ferner Heterotopien auf noch ferneren Planeten und verschwammen in der Musik zu einem einzigen Ort. In den retrofuturistischen Synthiesounds zwischen Sci Fi und New Age, den matialischen Pauken, den tremolierenden Pianoparts und den immer wieder in Flöten, Handdrums und einigem mehr auftauchenden Folkzitaten wurde ein fasziniertes, freundliches und doch nie idealisierendes Bild dieser Welten entworfen. Einen “unmissverständlich positive[n] Zug ins Freie, Gelöste, sowie eine Andeutung von Unendlichkeit, die sich in [...] der anheimelnden, leicht bedrogt wirkenden Ambientmusik niederschlägt”, wurde damals in einer Besprechung hervorgehoben.
Schon kurz nach der Anthologie begann die Künstlerin, die in den zurückliegenden dreißig Jahren anderen Aktivitäten, u.a. als spirituelle Heilerin nachgegangen ist, erneut mit ihren Synthies zu experimentieren, kombinierte ihr vorhandenes analoges Equipment durch digitale Gerätschaften und machte Aufnahmen. Strom hatte, wie sie selbst sagte, einen starken persönlichen Bezug zu ihrem Instrumentarium, das sie als eigenständigen, am Kompositionsprozess aktiv und willentlich beteiligten Kollaborateur betrachtete – eine Haltung, die vielen Musikern aus Egogründen und fehlendem Selbstvertrauen einzunehmen schwerfällt. Dass die neuen Aufnahmen dem zum Trotz und angesichts ihrer langen kreativen Pause deutlich an den Stil ihres Frühwerks anknüpfen, wird ihrer starken Persönlichkeit zu verdanken sein.
Schon in den ersten Minuten offenbart sich ein großer Facettenreichtum, und aus den Ideen, die in den ersten Tracks stecken, hätten manche vielleicht ein ganzes Album gemacht. Verspielte Synthies mit leicht asiatischem Einschlag eröffnen das Album im Opener “Tropical Convergence”, bei denen man kaum sagen kan, ob sie heiter oder doch ein bisschen melancholisch klingen. Nur eine durchgehend wahrnehmbare Freundlichkeit, die das ganze Album über aufrecht erhalten bleibt, fällt sofort ins Auge. In diesem Stimmungsgefüge setzt man an zu einer Reise durch viele Zeiten und Orte, und schnell wird deutlich, dass “trans” immer noch ein wichtiges Präfix in Stroms Kosmos ist. In “Marking Time”, das auf deutsch bezeichnenderweise “auf der Stelle treten” heißt, kommt Drame und Schrillheit in die hallastigen Synthies und Choreffekte. “I Still Hope” bringt wieder Ruhe ins Bild, wie mit einer subjektiven Kamera wird das imaginäre Auge durch eine exotische Winterlandschaft geführt, und alles ist durchdrungen von sanfter Melancholie.
Ein Kaleidoskop an Stimmungsnuancen, das sich Song für Song mehr entfaltet, ist ohnehin ein Aspekt, der besonders zur Vielgestaltigkeit des Albums beiträgt. “Equatorial Sunrise” lebt von gelöster, heiterer Rhythmik – die darunter liegenden Klangflächen mit den erneut asiatisch angehauchten Melodien, die ihr “Japanese Impression”-Album in Erinnerung rufen, geben diesen eine weitere, anheimelnde Note hinzu. In “The Pulsation” wiederum gestaltet sich die tribale Perkussion als hypnotisch an der Grenze zur Ekstatik. “The Eighteen Beautiful Memories” mit seinem den ganzen Raum ausfüllenden Schwebeambient dagegen ist pures Glücksgefühl. Auch Spannung hat seinen Platz in “Angel Tears in Sunlight”, etwa im mysteriösen “Temple Gardens at Midnight” – hier bringt eine Pianospur trostreiche Ruhe in eine verhuschte, hastig suchende Klangfolge. Dass der Song sich nicht im Negativen verlieren wird, war von der ersten Note an klar, denn so etwas gibt es in Stroms Werk nicht. Oder in “Small Reptiles on the Forest Floor”, dessen Schaben und Rumpeln sicher von Stroms Leguanen – ihren Dinosauriern – inspiriert ist.
Die ganze Fülle des Albums konzentriert sich noch einmal im abschließenden “Tropical Rainforest”, das wie ein Doku-Hörspiel zahllose Geräusche einer Urwaldfauna nebst Wind und Wetter aufbietet. Dezente Synthies fügen sich organisch ein, und am Ende plätschert ein sanftes Rinnsal an einer Felswand herunter, begleitet vom Kosmischen Wind. Pauline Anna Strom verstarb vor einigen Monaten an den Folgen eines Sturzes, weshalb “Angel Tears in Sunlight” so etwas wie ihr musikalisches Vermächtnis ist, und man darf, kann, muss dankbar sein, dass was auch immer ihr noch die Gelegenheit zu diesem Comeback gegeben hat. Der Fragmentcharakter, der ihr Werk dadurch zwangsläufig bekommt, sollte Hörer und andere Künstler inspirieren. Ein Teil der Einnahmen gehen an The International Iguana Foundation, einer Organisation zum Schutz und zur Erforschung von leguanen in ihrer natürlichen Umgebung. (U.S.)