COIL: Musick To Play In The Dark²

Ein gutes Jahr nachdem Dais Records „Musick To Play In The Dark“ wiederveröffentlicht haben, wird nun ein weiteres zentrales Album des imposanten Coil’schen Spätwerks wieder verfügbar gemacht. Die in „England’s Hidden Reverse“ nachzulesende Einschätzung David Keenans, der zweite Teil der „Musick To Play In The Dark“-Serie „feels like an afterthought“ geht m. E. total an der Sache vorbei, denn natürlich verweist der Titel auf die Verwandtschaft mit dem Vorgänger und natürlich beziehen sich die Stücke – zumindest partiell – aufeinander (dazu später mehr), aber das ist nicht redundant oder derivativ zu verstehen. In der Rezension des ersten Teils konnte man hier lesen: „Im Jahr 2000 veröffentlichten Coil einen zweiten Teil, auf dem Ideen des Vorgängers wieder aufgegriffen wurden ohne auch nur einen Moment abgegriffen zu klingen“. Man möchte sich auch dem Rezensenten auf brainwashed anschließen, der beim Erscheinen des Albums im Jahr 2000 hoffte, es handele sich um eine „neverending series“.

Eingeleitet wurde die Spätphase, in der Coil sich von ihrem solaren Fokus lösten, um die dann von ihnen als „moon musick“ bezeichnete Musik zu spielen, durch die vier „Equinox/Solstice“-EPs, auf denen endlich wieder John Balances Stimme/Texte in den Fokus rückten. Im Gegendsatz zum ersten Teil war Drew Mc Dowall nicht mehr dabei, der bzgl. der Aufnahmen zum Vorgänger schon bemerkte, dass die Zusammenarbeit dabei weniger kollaborativ als in den Jahren zuvor gewesen sei. Eingespielt wurde das Album vondem Trio  Balance, Christopherson und Thighpaulsandra.

„Something“, das das Album eröffnet, ist ein Stück, das man über Kopfhörer hören muss: Balances Stimme wechselt zwischen rechts und links, durchdringt den Kopf des Hörers, dann setzt wehender Wind ein, dunkle Drones kommen dazu, gegen Ende hört man Balances verfremdete Stimme, die kaum verstehebar „I know why the birdcage sings/It’s wrapped its song/Around everything“ intoniert. Bei diesem Stück hat man den Eindruck, man befinde sich auf einer winddurchzogenen Ebene und schaue hinauf zum Mond. Um auf anfangs angesprochene Verweise und Anknüpfungspunkte zurückzukommen: „Tiny Golden Books“ sieht Coil wieder ganz klar im Tangerine Dream-Modus. War das apokalyptisch betitelte „Red Birds Will Fly Out Of The East And Destroy Paris In A Night“ vom Vorgänger, das „Rubycon“ zitierte, aber weitgehend instrumental, so präsentiert der vokoderte Balance hier eine Vision, als er und Marc Almond unter dem Einfluss von MDMA eine Kreatur sahen, die ein Buch aufschlug. Auf Ray Bradbury anspielend, heißt es: „Dark they were, with golden eyes/Brought golden books from darkened skies/Every word from every world within was written down/They read it all aloud to us with silver tongues of fire“. Dagegen knüpft das von Klavier dominierte „Ether“ an „Red Queen“ an. Hier gibt es wieder die für Coil/Balance so typischen Wortspiele („It’s either ether or the other“), die Thematisierung des „responsible abuse of pleasure“ („I breathe out ether, a glass of ether“), die Anspielungen auf Frater Perdurabo („Betty May and Raoul Loveday“) und schließlich die Feststellung: „I’m going upstairs now/To turn my mind off “. Später sollte Sleazy den von Captain Beefheart entlehnten und von Balance zitierten Slogan „Please God Fuck My Mind For Good“ auf „The New Backwards“ als „Careful What You Wish For“ bezeichnen. An anderer Stelle bemerkte er: „As with any Halcyon Days, over indulgence in the pleasures they offer can be dangerous.“ Auch auf dem sich dem Trip Hop annähernden „Paranoid Inlay“ thematisiert Balance seine Schwierigkeit, vom Alkohol loszukommen, auf das Serenity Prayer der Anonymen Alkoholiker anspielend: „Serenity is a problem/When you get this close to Heaven/But you really want to see/The wonders of the underworld “, um dann gegen Ende zu fragen: „What do I need to give up?/Crystalline ladders, shiny things, mirror-balls“. Auf dem Interludium „An Emergency“ singt Rose McDowall von Harmoniumdrones begleitet: „But I now find you here/In the darkness we share “ und man wird erinnert an das Stück „Rosa Decidua“ auf der „Autumn Equinox-EP“, auf dem Balance an Rose gerichtet sang/sprach: „Whichever stars we walk among/We both seek out the darkest red“. Eines der ergreifendsten Stücke auf dem Album ist das sehr reduzierte, primär auf einem Loop basierende „Where Are You?“, auf dem wieder das digitale Knistern eingesetzt wird und ab und zu Rose McDowalls gesamplete Vocals aus „An Emergency“ auftauchen und Balance fragt: „Is the cage you love the home you also hate?” Mit den schon 1988 geschriebenen Worten „I’ll wrap my last kiss in a bandage“ endet das Stück und als Hörer kann man (auch ohne die Kenntnis, was einige Jahre später passieren sollte) kaum unberührt davon bleiben. Das letzte, ebenfalls sehr reduzierte Stück „Batwings (A Limnal Hymn)“ lässt vor dem Wehen von Wind und minimalistischer Synthuntermalung Balance eine von  Sir Thomas Brownes “Musæum Clausum” übernommene Liste mit Seltsamkeiten aufzählen. Nach etwa sieben Minuten fängt Balance an in einer Sprache zu singen, von der Sleazy sagte, nur John kenne sie. Das Stück bekommt hier einen liturgisch-sakralen Charakter und beendet das Album angemessen.

Was lässt sich nach all den Jahre sagen? Um (zirkulär) auf den Anfang zurückzukommen: Der zweite Teil der Serie ist in der Tat weniger nachträglicher Gedanke als eine das Zyklische, Zirkuläre betonende Veröffentlichung. Wie hieß es schon im Coil-Manifest aus dem Jahre 1983 in einer Selbstbeschreibung: „A spell. A spiral. A serpents SHt round a female cycle. A whirlwind. A double helix”. Wenn man dieses Album wieder (und wieder) hört, dann kann man am Ende – „Tiny Golden Books“ zitierend – nur lapidar feststellen: „All space became a choir“. (MG)

Label: Dais Records