Alexander Hacke, der heute den meisten als Bassist und Gitarrist der Einstürzenden Neubauten bekannt ist, hat sich schon in sehr jungen Jahren mit Synthie, Drum Machine und einfachen Aufnahmegeräten ausgetobt und solo im Jugendzimmer eine ganze Stange an vordergründig einfach gestrickten New Wave-Songs aufgenommen. Inspiration soll anfangs von der Musik aus Scifi- und Horrorfilmen gekommen sein, später von Bands wie Throbbing Gristle, Suicide und Chrome.
Bei Labels wie Eisengrau, dem Cassetten Combinat und wenig später beim Hamburger Supermax erschienen in den frühen 80ern Tapes und eine Maxi-Single unter Namen wie Sentimentale Jugend, Borsig, Borsig Werke oder Alexander von Borsig. Alexanders Vater war damals bei dem als Dampflokhersteller bekannt gewordenen Tegeler Werk beschäftigt und brachte ihm Unmengen an Firmenaufklebern mit, die ihr Zuhause dann schnell an den Orten der Berliner Subkultur fanden, und so kam der junge Musiker zu seinem vielfach variierten Pseudonym.
Mauerstadtmusik hat nun eine Compilation mit allen verfügbaren Aufnahmen der frühen Zeit auf Doppel-LP herausgebracht. In seinem oft fragmentarisch anmutenden Lofi-Charakter entspricht ein großer Teil des Materials dem ungemein frischen Analogsound der Punk’n'Wave-Ära, und doch beeindruckt der Ideenreichtum der um keine schrägen Exkurse verlegenen Musik ebenso wie der der gemurmelten, genölten und geschmetterten Texte, die vor Ironie und Unbekümmertheit strotzen.
Einer Art Trademark-Sound entsprechen wohl am ehesten die beiden Opener “Accent” und “Das Leben ist Schön”, der Titelsong des gleichnamigen Tapes (für die Veröffentlichungs-Geschichte der einzelnen Tracks bitte an Discogs wenden). Eingängiger und zugleich in seiner Low Fidelity dreckiger Minimalsynth mit einem oft eiernden Gesang, der die elektrisierende Hypnotik der Handclap-Takte und der summenden Synthies nicht antastet: “Das Leben ist schön, die Luft ist rein, und so soll es immer sein”, lautet der zentrale Slogan, und wer wollte da widersprechen?
Viele weitere Tracks sind Variationen dieses Schemas. Dazu würde ich z. B. “Napalm” zählen mit seinen ätzenden Synthies und den zum Titel passenden Schmerzensschreien, ebenso das hektisch-trunkene “Tote Kammer” mit beängstigenden (Tier?)-Stimmen im Hintergrund. Eine Spur weiter entfernt ist der basslastige Postpunk von “Kombinat Dub”. In eine ganz andere Richtung gehen die mit etwas Fantasie an früher Krupps erinnernde “Bauarbeiterhymne” oder das noch mehr an Industrial und Noise erinnernde Brummen in dem Stück “Maschinen”. Am gegenüberliegenden Ende finden sich vereinzelt akustische Stücke mit Violine wie die herzige Mozart-Hommage “Kleine Nachtmusik” oder mit akustischen Gitarren wie “If you want to have a brother” – vielleicht besteht hier die größte Nähe zur Kultband Sprung aus den Wolken, in deren Line-up Hacke eine Zeitlang auftauchte.
Wenn man ein paar Stücke aufgrund ihrer Eigen- und Einzigartigkeit besonders hervorheben will, dann wären das z.B. “10.5.”, das textlich eine verquere murder ballad ist und in den beiden hier vertretenen Versionen, besonders in der “Eisengrau-Variation”, dem punkigen Rock’n'Roll von Suicide recht nahe kommt. Auch die ethnolastige Melodie und die Stimmsamples in “Japan, Japan”, das in seinem verspielten Exotismus sehr gut auf bessere NDW-Sampler gepasst hätte, aber leider nicht die verdiente Aufmerksamkeit bekommen hat. Ebenfalls nah am Japan-Thema ist das in seiner kühnen Ironie dystopische “Hiroshima” das die historische Katastrophe mit einem eiernden Walzertakt aus dem Fundus der Jahrmarktsmusik kontrastiert und ihre Grausamkeit so noch mehr hervorhebt. “Tu mir weh” mit seiner surrrealen Mixtur aus Noisebrummen und hektisch hervorgestoßenem Geschrei zählt ebenso dazu wie einige der eher hörspielartigen Tracks gegen Ende der Sammlung.
Bei einem Kompendium wie diesem darf natürlich auch ein Bonustrack nicht fehlen, und der besteht in einer ambient eingeleiteten neuen Version von “Hiroshima” dessen Gesang vermutlich von damals stammt und in ein halllastiges Szenario eingebettet ist, bei dem dankenswerterweise nicht allzu künstlich auf kultig und “dilettantisch” gemacht wurde.
Wer Hacke in erster Linie in seiner Rolle bei den Neubauten kennt, von Crime & The City Solution und seinen Arbeiten mit Partnern Danielle de Piechotta, aber weniger von Aufnahmen mit Acts wie P1/E, findet auf dieser Sammlung manch überraschendes Zeitzeugnis seiner musikalischen Biografie, vielleicht sogar einer ganzen Ära. Mit etwas Sinn für den Charme alter Demo-Aufnahmen entdeckt man hier aber auch einige Gassenhauer, in deren verquere Hypnotik man sich für längere Zeit verlieren und verlieben kann.
Label: Mauerstadtmusik