Es sind der Ort und das Material, die unsere Arbeit bestimmen und formen: Ein Interview mit Ab Uno

Das weitgereiste Duo Ab Uno wurde Mitte des vorigen Jahrzehnts von den Klangkünstlern Eugenio Petrarca und Roberto Di Ciaccio in Rom gegründet und wurde mit seinem Sound, der im weiten Feld zwischen ethnographischen Feldaufnahmen und modularen Synthies oszilliert, schnell zu einer festen Größe im Bereich experimenteller, semi-elektronischer Musik. Ein roter Faden, der sich durch all ihre Aufnahmen zieht, ist die Suche und oftmals auch das Echo von etwas Urtümlichem, Archaischem, das sie an verschiedenen geografischen wie imaginären Orten der Welt aufspüren. Auf ihrem im vorigen Jahr erschienenen Album “Les Gens de Mogador“, dessen Ideen und Sounds sich einem Aufenthalt in Marokko verdanken, halten sich diese Aspekte vielleicht mehr denn je die Waage. Mit diesem Material im Gepäck konnten sie jüngst auch als Opener für die musikalisch recht anders ausgerichteten Savage Republic das Publikum für sich einnehmen. Im kurz darauf geführten Interview ging es um die vielfältigen ästhetischen, spirituellen und kulturellen Hintergründe ihrer Musik.

English Version

Soweit ich weiß existieren Ab Uno jetzt seit ungefähr sieben Jahren. Was könnt ihr uns über die beteiligten Personen und eure Hintergründe erzählen?

(E) Unsere Reise begann in Rom, als wir beide am Saint Louis College of Music Klangkunst studierten. Unsere musikalischen Vorlieben trafen sich und verschmolzen sofort, und bald fanden wir uns in unserem Heimstudio wieder, um Drones und Cluster mit der ersten Hardware aufzunehmen, die wir uns leisten konnten. Schon früh erkannten wir, dass die Ästhetik unseres Sounds eine gemeinsame Richtung haben könnte, und wir begannen, die ersten aufgenommenen Takes zu arrangieren und in Form von Klangcollagen neu zu kombinieren. Diese frühen Experimente bildeten später die Grundlage für ein Live-Set, das wir auf einem lokalen Festival für experimentelle Musik aufführten. Zu diesem Zeitpunkt war Ab Uno bereits konzipiert.

Gab es vorher irgendwelche Musik- oder Kunstprojekte, die irgendwie zu dem führten, was Ab Uno wurde, wenn man sie aus heutiger Sicht betrachtet?

(E) Wir hatten beide unabhängig voneinander begonnen, uns mit elektronischer minimalistischer Musik aus den 70er Jahren zu beschäftigen, und unser Studium hat uns ein besseres Verständnis für dieses Phänomen vermittelt. Die Inspiration kam aber wahrscheinlich von viel weiter her.

Ihr arbeitet mit einer ganzen Reihe von Klangmaterialien, seien es Field Recordings, modulare Synthesizer-Kompositionen oder auch Kombinationen aus beidem. Wenn ihr mit diesen Sounds im Studio arbeitet und sie zu euren endgültigen Tracks kombiniert, gibt es da eine bestimmte Art und Weise, wie ihr arbeitet? Arbeitet ihr immer gemeinsam an euren Tracks, oder eher jeder für sich und teilt die Ergebnisse dann nach einiger Zeit?

(R) Nun, der Prozess ist niemals gleich.

(E) In dieser kreativen Phase gibt es keine klar definierten Schritte. Was du über die Verwendung einer Kombination aus natürlichen und synthetischen Klängen sagst, ist richtig, aber ich weiß nicht, in welcher Reihenfolge der Prozess abläuft.

(R) Manchmal finden wir originelles “rohes” Audiomaterial, das wir vor Ort aufgenommen haben und das uns inspiriert; wir fangen an, es zu bearbeiten, um die Grundlage für einen Track zu schaffen. Manchmal fällt uns aber auch einfach ein interessanter modularer Patch ein, den wir spontan im Studio aufgenommen haben, während wir zusammen improvisierten oder jammten, und die Feldaufnahmen sind “Farben” für eine komplexe synthetische Klanglandschaft. Und ich kann dir sagen, dass der kreative Ansatz zwischen uns auch ziemlich flexibel und spontan ist. Da wir jetzt in verschiedenen Städten leben, hat sich das mit der Zeit auch geändert. Sehr oft tauschen wir Dateien aus und machen Overdubs, bis wir den Track fertig haben. Aber wir versuchen immer, einige Zeit zusammen im Studio zu verbringen, um das Projekt gemeinsam fertig zu stellen.

Betrachtet ihr euch selbst eher als Komponisten oder als Improvisationsmusiker?

(E) Meistens starten wir als Improvisationsmusiker, entpuppen uns aber am Ende als Komponisten.

Wie stark ist euer Bezug zu den verschiedenen Technologien, die ihr benutzt?

(R) Heutzutage ist Technologie allgegenwärtig und hat einen tiefgreifenden Einfluss auf die Kunst der Musik, die geschaffen wird. Aber eigentlich ist das schon immer so gewesen, seit den Anfängen der Aufnahmetechnik. Die Art und Weise, wie Musik gehört, komponiert und aufgeführt wird, war schon immer von der Technologie geprägt. Das Produzieren und Aufführen von Musik mit modularen Synthesizern war für uns von grundlegender Bedeutung und hat sicherlich unseren Stil und letztlich auch unser musikalisches Resultat beeinflusst. Man entwickelt eine Art gegenseitige Beziehung zu den Werkzeugen, die man benutzt. Im Gegensatz zu den unendlichen Möglichkeiten, die der Computer bietet, haben wir immer nach Einschränkungen und nach einer Art Fehlerhaftigkeit gesucht. Es ist eine Möglichkeit, einen Teil der Kontrolle zu verlieren, uns für glückliche Zufälle zu öffnen und diesen “Moment” einzufangen. Man muss diesen Strom, der ständig von den Maschinen ausgeht, wirklich aufzeichnen, sonst verliert man ihn für immer. Und das überträgt sich natürlich auch auf unsere Kompositionen, sowohl was den Sound als auch was die Erzählung angeht.

Der Name Ab Uno bedeutet soviel wie Vom Einen. Falls ihr darüber diskutieren möchtet: Worauf bezieht sich der Name (bzw worauf spielt er an)?

(E) Der Name kommt aus dem Lateinischen und ist inspiriert von einer alchemistischen Darstellung der Trennung zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos. Ausgehend von dem Einen wird alles entsprechend lebendig, als Kette von Metallen, Bäumen und schließlich Menschen. Im Grunde genommen inspiriert dieser Weg oft auch unsere Musik, indem wir von einer zerbrechlichen Essenz ausgehen, um dann eine komplexere Natur zu entwickeln.

Ihr wart kürzlich in Mogador, Marokko, und habt dort anthropologische Klangstudien durchgeführt, die unter anderem zu dem Album “Les Gens de Mogador” geführt haben. Wie kam es zu diesem Abenteuer und wie habt ihr eure Zeit dort erlebt? Was sind Ihre stärksten Erinnerungen?

(E) Marokko ist für uns ein sehr wichtiger Ort. Wir haben dieses Land schon oft besucht, und auf einer unserer letzten Reisen konnten wir einige Zeit in Essaouira (dem alten Mogador) verbringen, um sowohl im akustischen als auch im visuellen Bereich zu forschen. Wir haben das Glück, Freunde zu haben, die dort leben und uns beim Sammeln des gesamten Materials für unsere letzte Platte unterstützt haben. Les Gens De Mogador ist eine echte Hommage an diese Zeit und an die Menschen, die uns inspiriert haben.

Inwieweit ist das Alte und Angestammte, das ihr in euren Projekten (und auch in Mogador) oft sucht, in der Lebenswirklichkeit der Menschen vor Ort noch spürbar?

(E) Das hängt wirklich von der jeweiligen Situation ab. Erlebnisse wie das in Kolumbien sind im Grunde genommen Zeitreisen. Wir könnten fast in der Altsteinzeit gewesen sein. Aber es kommt auf den Einzelfall an. Im Allgemeinen ist die Auswahl der Orte, die wir besuchen, nie zufällig. Wir haben uns immer zu Orten hingezogen gefühlt, die in irgendeiner Weise den Geist der Vorfahren bewahren. Sogar in Marokko und Indonesien haben wir viele Volksmusikaufführungen und in einigen Fällen auch wirklich beeindruckende Rituale erlebt. Ich denke, dass Orte, die weniger in ein hochkapitalistisches System eingebunden sind, eine stärkere Verbindung zu ihrer Vergangenheit, ihren Ursprüngen und Traditionen haben. Das ist etwas, was wir in unseren Breitengraden verlieren, und so wird es (zumindest für uns) irgendwie notwendig, sich von anderen bestimmten Kulturen inspirieren zu lassen.

Was könnt ihr uns über eure Kollaboration mit der Waxaw Ethno Roots-Gruppe erzählen?

(R) Es war eine gemeinsame Arbeit, die vor einigen Jahren in Essaouira, Marokko, stattfand. Wir waren dort für eine Artist Residency. Am Ende sammelten wir stundenlanges Videomaterial zusammen mit vielen ‘gefundenen’ Sounds. Die Leute dort waren so gut in der Lage, unglaubliche Aufnahmen an sehr authentischen, versteckten Orten und in ländlichen Ökosystemen zu machen. Und sie haben uns auch erlaubt, ganz besondere Feldaufnahmen zu machen. Dieses unglaubliche Material inspirierte unseren kreativen Prozess sowohl dort als auch im Studio bei der Fertigstellung des Albums.

Auf welche Geometrien referiert der Titel “Vanishing Desert Geometries”?

(R) Nun, das ist die Geometrie der natürlichen und menschlichen Welt, die du in der Wüste vorfindst. Denk nur an die sich ständig verändernde Form der Dünen. Wenn du morgens aufwachst, kann die Landschaft ganz anders aussehen. Alles scheint verschwunden zu sein, unabhängig von deiner Anwesenheit. Aber es geht auch um die Architektur, die so organisch mit der natürlichen Landschaft verschmilzt und immer neue, sehr inspirierende Geometrien schafft.

Würdet ihr sagen, dass es immer so etwas wie einen Genius Loci eines Ortes gibt (den ihr vielleicht nicht unbedingt aufspürt, den ihr aber die Hörer durch die gefundenen und selbst produzierten Klänge zumindest spüren lassen könnt)?

(E) Wann immer wir einen Ort und eine Umgebung aufsuchen, achten wir sorgfältig auf den wesentlichen Kern seiner klanglichen Landschaft. Wir versuchen dann, unsere eigene Interpretation der Bilder zu geben, die uns begegnen. Unsere Absicht ist es jedoch nicht, ausschließlich die reine Essenz eines bestimmten Gebiets wiederzugeben, sondern eine Konstellation von Bezügen, Bedeutungen und – warum nicht – Erinnerungen zu eröffnen und anzuregen, die untrennbar mit der persönlichen Erfahrung unserer Zuhörer verbunden sind.

Während “Les Gens de Mogador” oft wie ein umfassendes Panorama der von euch besuchten Orte wirkt, hat “La linea negra”, das auf eurer Reise in die kolumbianische Sierra Nevada basiert, eine bisweilen recht intime Aura. Man könnte sich wirklich wie ein Gast dort fühlen, wenn man das Album hört. Würdest ihr dem zustimmen, und wenn ja, wie spontan sind diese Unterschiede entstanden?

(R) Ja, das ist ganz richtig. Aber es war ein sehr spontanes Resultat. Wenn wir einen neuen Ort besuchen und ortsspezifisches Material sammeln, haben wir keine klare Vorstellung davon, was wir finden können. Es sind der Ort und das Material, die unsere Arbeit bestimmen und formen. In La linea Negra waren alle Klänge so unverwechselbar und ‘intim’, dass sie sich perfekt für eine immersive und gleichzeitig respektvolle Erzählung eigneten, wir wollten den Zuhörern wirklich die Möglichkeit geben, einen richtigen Ritus zu erleben, eine Ganzkörpererfahrung. Wie du sagst, ein Gast mitten im Wald in den Bergen der Sierra Nevada.

 

Die meisten der Orte, an denen ihr spezifische Klänge sammelt, liegen weit entfernt auf anderen Kontinenten – könnte ihr euch auch vorstellen, vergleichbare Klangstudien an Orten durchzuführen, an denen ihr lebt oder aufgewachsen seid?

(E) Im Moment konzentrieren wir uns mehr darauf, die Aufmerksamkeit auf exotische Geografien zu lenken, die uns in gewisser Weise ganz andere Einblicke gewähren als die, die eine städtische Atmosphäre hervorrufen könnte. Dennoch schließen wir nicht aus, dass wir in Zukunft auch an den Orten, aus denen wir kommen, eine umfangreiche und fundierte Forschung betreiben können. Vielleicht in einem eher institutionellen Rahmen.

Wie entscheider ihr, ob ihr die ursprünglichen Klänge eines Ortes mehr für sich sprechen lässt oder ob ihr eure Wahrnehmung eines Ortes mehr durch eigene Sounds ausdrückt? In “La Linea Negra” zum Beispiel oder in dem Stück “Medewi” scheinen die Originalklänge einen größeren Raum einzunehmen als in “Les Gens de Mogador”, wo viele modulare Synthie-Drones im Vordergrund stehen…

(R) Das stimmt. Bei Les Gens de Mogador sind die Feldaufnahmen weniger offensichtlich, aber sie sind eindeutig vorhanden. Es ist der Hintergrund, den man beim Hören einiger Tracks wahrnehmen kann, aber es ist auch das, was den ganzen Prozess wirklich inspiriert hat. Nach mehreren reinen Field-Recordings wollten wir dieses Mal wirklich ein mehr elektronisch/synth-orientiertes Album produzieren. Die Idee war, eine Art Kommunikation zwischen der Sprache unserer Maschinen und dem in Marokko gesammelten Video- und Audiomaterial zu entwickeln.

Andererseits basieren Alben wie “Metaforma” oder “Regressive Repetition” weit weniger auf gefundenen Klängen, sondern eher auf selbst produzierten Stimmungen, aber sie beziehen sich auf ihre eigene Art und Weise auch auf das Ursprüngliche und Angestammte, so dass sie vielleicht sogar irgendwie dazu gemacht sind, “auf der Suche nach Antworten in der Vergangenheit die Zukunft zu finden”, wie es in einer Beschreibung heißt. Entstehen sie aus sehr unterschiedlichen Ideen? Kommen die Inspirationen in diesen Fällen eher aus euren inneren Erfahrungen?

(E) Metaforma war das erste Werk, das als eigenständiges Album konzipiert war und von Mahorka produziert wurde, einem der aktivsten Labels in der bulgarischen Experimental-Szene. Dieses Werk hatte einen eher studioorientierten Ansatz und nur wenige Field-Recordings-Elemente, doch die Absicht, eine Verbindung zu einer bestimmten “Ästhetik” aufrechtzuerhalten, blieb bestehen (wie du auch richtig bemerkt hast). Was Regressive Repetition angeht, so würde ich sagen, dass dieses Werk viel elektronischer (auf die traditionellste Art und Weise) und auf modularer Synthese basiert. Vom kompositorischen Standpunkt aus ist es das Ergebnis eines minimalistischen Ansatzes. Bis zur Erschöpfung wiederholte Muster und aufdringliche Sequenzen kennzeichnen die gesamte von Transferans Records veröffentlichte EP. Obwohl unsere Veröffentlichungen so viele verschiedene Nuancen aufweisen, sehen wir doch einen gemeinsamen Weg, und das alles im Namen einer bestimmten Ästhetik.

Welche Dinge stehen bei euch als nächstes auf dem Plan?

(E) Wir wollen diesen anregenden Moment mit neuen Kollaborationen weihen.

(R) Wir denken, es ist Zeit, über ein Album mit neuen Musikern und Kollaborationen nachzudenken.

(E) Dafür gibt es mehrere Gründe: Wir haben auf unserer Recherchereise so viele interessante Künstler kennengelernt, mit denen wir gerne eine Zusammenarbeit beginnen würden, und wir wollen uns neuen experimentellen Möglichkeiten öffnen. Und wer weiß, wenn etwas Unerwartetes an unsere Tür klopft, werden wir bereit sein, es zu begrüßen.

Interview und Übersetzung: U.S.

Concert Foto © Venus Fatale

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