Valerio Camporini F., der vor knapp einem Jahr die Magie Apuliens in einem Album auslotete, wirdmet sich auf dem passend betitelten “Form of Desintegration” und dem begleiteten Artwork der Vergänglichkeit aller Form und aller Dinge und der Frage, ob die damit zusammenhängende Unsicherheit in unserer schnellebigen Zeit zugenommen hat. Wie um der gefühlten Kürze unserer Träume und Erwartungen Rechnung zu tragen, ist auch das Album relativ kurz geraten, was sich beim aufmerksamen Hören aber durchaus stimmig anfühlt, denn jeder der sechs Tracks ist in der einen oder anderen Form fragmentarisch. Vielmehr noch scheinen die einzelnen Stücke einer inneren Logik entsprechend zu implodieren. Dass das ganze trotz allem keine trostlose Angelegenheit ist, verdankt sich schon der üppigen Instrumentierung, die von sechs Musikerinnen und Musikern – Valerio Camporini F (Synthetizers, Farfisaorgel, Sampler), Gabriele Campagna (Geige), Veronika Kizanishvili (Flöte), Filippo B. De Laura (Percussion), Anna Petrini (Paetzold Recorder) und nicht zuletzt Kerri Dietz (Stimme) – beigetragen wird.
Repetitive Muster und einlullende AI-genereirte Stimmloops wiegen einen in den ersten Minuten in einer trügerischen Sicherheit, leichte Veränderungen, die einer Logik, wie sie schon die Minimal Music kannte, geben sich so subtil, dass man sie eine ganze Weile lang ignorieren könnte, bis ganz leise Passagen und Flüsterstimmen einen Bruch ankündigen. Dieser eröffnet eine Reihe an Stimmungs- und Richtungswechseln, die es imemr schwerer machen, den eigentlichen Schauplatz der Musik zu orten. Was dennoch gewahrt bleibt im kratzenden Rauschen oder in den Wellen schwermütiger Synthieloops der einzelnen Episoden, ist ihre unverkennbare Schönheit. Leise tastend dringt das folgende Stück wie eine verschüchterte Brandung in den Raum, lässt eine in Halbdunkel getauchte, unheimliche Stummfilmatmosphäre entstehen. Hier scheint man sich in einem Gegenzoom von Schauplatz zu entfernen, aber vielleicht löst auch dieser sich einfach am Horizont auf, falls man denn derart stark an die Wirklichkeit des Wahrgenommenen glauben will.
Hochtöner aus der Sinusküche begleiten anschließend schamanisch anmutende Trommeln und Rasseln auf ihrem Weg durch dunkle Gefilde. Hier scheint das Ganze dank zentrifugaler Kräfte eine fast zyklische und somit perfekte Struktur zu haben, doch der Weg durch verschiedene andere Szenarien führte zu keinem anderen Ziel. Das folgende Stück, das wie ein desolater, bereits klassisch angehauchter Ambienttrack beginnt, wandelt sich in eine wunderbare, jedoch viel zu kurze Klaviersonate. Propellernde Industrialloops und harte Brüche könnten damit nicht besser kontrastieren, doch auch hier werden mehrfach falsche Fährten gelegt, bis sich danach nur noch alles – auch verhuschtes Flüstern und Zwitschern im Klang einer dröhnenden Orgel auflöst.
In all diesen Passagen erweist sich “Form and Disintegration” als ein Album der Enttäuschungen, selbst die Titel, die an künstlische Intelligenzen, an die Versprechen einer zirkulären Ökonomie, an die Erinnerungen an eine bessere Zukunft und einiges mehr referieren, lassen sich aufgrund der beigefügten Doppelpunkte nicht als Dateinamen abspeichern und bringen so erneute Veränderungen mit sich. Trostlos und resigniert klingt diese Feier des stetigen Wandels allerdings nicht, und vielleicht kann man da dem Künstler das letzte Wort lassen. “This record doesn’t offer straight up consolation, but it’s not necessarily without hope, we are left reflecting on the fact that everything that was disintegrated can always be reformed in a different, perhaps better, shape. We just need to dig ourselves out of nostalgia and start looking ahead of us”. (A. Kaudaht)
Label: Eiga