ALAN VEGA: Insurrection

Es gibt wahrscheinlich wenige Debütalben, die einen solchen übermächtigen Schatten auf das restliche Werk werfen, wie Suicides selbtbetiteltes erstes Album mit seinen insgesamt gerade einmal sieben Stücken, von denen aber fast jedes eine wahnsinnige Resonanz erzeugt hat. Dabei gibt es natürlich auch im restlichen Werk des Duos einiges zu entdecken, exemplarisch etwa die fantastische Ballade „Surrender“ (vom immer noch unterschätzen dritten Suicide-Album „A Way Of Life“), bei der man sich Alan Vega und Martin Rev auf der Bühne des Roadhouse in Twin Peaks vorstellen könnte. Vega, der „Elvis from hell“, über den seine Witwe Liz Lamere gerade eine Biografie verfasst hat, hat neben den gerade einmal fünf regulären Suicide-Alben zahlreiche Aufnahmen abseits des Bandgefüges gemacht – sowohl mit anderen Künstlern (seine reduzierten verknisterten Aufnahmen mit Pan Sonic sollte man wiederentdecken) als auch allein.

Im Rahmen der von Lamere kuratierten Vega Vault-Reihe werden bislang unveröffentlichte Aufnahmen zugänglich gemacht und auch wenn die Größe von Vegas „Tresorraum“ den von Prince kaum überschreiten dürfte, so scheint er doch prall gefüllt zu sein. „Insurrection“ entstand in den Jahren 1997/98, nach den Aufnahmen zu dem ebenfalls posthum veröffentlichten „Mutator“ und vor „2007“ und knüpft auch musikalisch-thematisch an diese Alben an. Waren Vegas frühe Soloaufnahmen im Rockformat verortet – “Jukebox Baby” machte ihn kurzzeitig in Frankreich zu einem Popstar  – sind die späteren ebenso wie Suicides Arbeiten geprägt von minimaler Elektronik, von Momenten der Wiederholung. „Insurrection“ passt mit seinen geloopten Rhythmusspuren zu den Alben, die in den letzten beiden Jahrzehnten entstanden.

Vielleicht spiegelt sich dieses Repetetive auch in den knappen (größtenteils aus einem Wort bestehenden) Titeln wider. „Sewer“ beginnt sofort mit geloopten Beats und Vega verkündet „Oh deathrow“, „yeah, a new century“. „Invasion“ ist durchzogen von einem Keyboardsample, Beats kommen dazu, Vega singt-spricht von den „cesspool saints“ – auch der Titel einer Retrospektive mit Vegas Kunst, die zurzeit in Paris zu sehen ist. Das grandiose, sechsminütige „Cyanide Soul“ klingt, als habe er übriggebliebene Rhythmusspuren vom ersten Suicide-Album genommen, Vega flüstert mit rauchiger Stimme, während im Hintergrund die Beats tuckern: „go ahead, it’s your day“. Das klingt dämonisch und man muss sich fragen, was genau an diesem Tag passieren mag. Gesanglich rabiater ist das fast zehnminütige „Murder One“, auf dem er stammelt, murmelt und schreit: „bad times, right“ und „they found you useless”. In den stampfenden Beats von „Fireballer Fever“ lässt sich der Gesang nur erahnen. Das einminütige instrumentale „Jet Lord“ ist recht unspektakulär, während „Mercy“, zu dem Douglas Hart von The Jesus And Mary Chain ein Video gedreht hat, wieder ein finsteres Szenario entwirft: “the angels bleed”, „black rain“, „screams“, “tears”, „oh the words they do exist“, „there’s going to be loss“, „where’s the light?“ „the innocence“. Elektronische und akustische Perkussion werden auf diesem Stück kombiniert. Diese Musik lädt nicht zum Tanzen ein, es sei denn, man möchte sich verletzen.

Für Vega, der glücklicherweise nie die Notwendigkeit zu verspüren schien, (alters-)milder zu werden, war sein fragmentarisches Texten („Yeah, out of a thousand words, you’re lucky if you can find three!“, meinte er einmal vor etlichen Jahren in einem Interview) vielleicht die adäquateste Form, den Horror, den er wahrnahm, zum Ausdruck zu bringen.

Label: In The Red