BRANNTEN SCHNÜRE: Aprilnacht

Mit dem Album “Aprilnacht”, das vor einigen Wochen von Aguirre Records neu aufgelegt wurde, machte das von dem Würzburger Christian Schoppik gegründte Projekt Brannten Schnüre vor zehn Jahren erstmals auf Albumlänge von sich reden. Wie man lesen kann, war das damals als Tape erschienener Album stark beeinflusst und inspiriert von den Texten des deutschen Philosophen und Schriftstellers Friedrich Alfred Schmidt Noerr, der zahlreiche Werke über Mystik, aber auch über mythologische Themen verfasst hat. Was Schoppik wohl besonders inspirierte, war Noerrs Versuch, mythologische Elemente, die er im Zusammenhang des Konflikts zwischen christlicher und vorchristlicher Zeit untersuchte, auf eine Weise zu bewahren, die nichts elegisches, nostalgisches in sich trägt. All dies floss in die üppig mit Gitarren, Streichern, Akkordeon, Klarinetten, Hörnern, Glockenspielen und einigem mehr instrumentierten Ode an.den Frühling und dessen Stimmung ein, als die “Aprilnacht” gedacht war.

Was schon zu Beginn im eröffnenden Stück “Goldne Abendsonne, Wie Bist Du Schön” auffällt ist der Reichtum sowohl an atmosphärischen Nuancen als auch an klanglichen Ideen. Das cinematisch anmutende Szenario von dreieinhalb Minuten, das mit spannend tremolieren Violinen oder ähnlichem beginnt, gestaltet sich, nachdem immer mehr helle Dröhnung hinzukommt, als sehr emotional aufgeladen und von einer durchaus physischen Substantialität. In der aufgewühlten Stimmung macht sich bald ein Eindruck von etwas trunkenem bemerkbar, als wäre die ganze Szenerie, die viele wahrscheinlich als surreal beschreiben würden, wie ein Kleidungsstück auf links gedreht. Aus dem klanglichen Substrat schält sich irgendwann ein kehliger Stimmeinsatz heraus, der zu einem fast jaulenden Weinen anschwellt. So, zwischen Tarzanschrei und Gebetsruf, kann man die Abendsonne erleben.

Gleichwohl man das ganze Album als eine Art Einheit betrachten und hören kann (und sollte), gibt es in den einzelnen Stücken ganz unterschiedliche Schwerpunkte. In einigen Tracks nimmt das Aufgewühlte, Spannungsgeladene einen sehr großen Raum ein. Trotz der stabilen dunklen Geerdetheit ist bei dem mehrschichtig aufgebauten Titelstück ein von hellem Pfeifen eingeleitetes sirrendes Saitenspiel am dominantesten zu erleben. Auf ganz andere Weise kehrt diese Aufgewühltheit in der tremolierend schwankenden Klanglandschaft von “Mutter Maria Zwischen den Himmeln” wieder, wo ein strömendes Akkordeon durch alle möglichen Stockungen und Rückwärtspassagen hinweg dröhnt, bis ein untergründiges Flüstern wie der Klang freigelegter Nerven einen liturgisch anmutenden Schluss einleitet. Dramatisch dröhnende Momente und eine trippelnde Perkussion setzen das Fundament für einen jaulenden Klagegesang der “Nie kann ohne Worte deinen Glanz ich sehen” ähnlich aufwühlend geraten lässt.

Wenn “Requiem für eine Ringelnatter” die Dramatik am meisten auf die Spitze treibt, kommt in das hörspielhafte Szenario mit seinem berührenden Kinderreimen über die Klänge eines martialischen Schlachtenlärms ein dionysisches Moment hinzu,, dass dem Nachruf für einen schlängelndes Wesen eine ungewöhnliche Note verleiht, die nur diese selbst vielleicht adäquat verstehen kann (ein weiterer Nachruf gilt später einem Schwalbennest und kommt mit seinem ornamentalen Flötenspiel und dem bewusst dilettantischen Gesang ausgesprochen berührend daher). Andere Stücke setzen noch mehr auf das sinnliche Moment, so die beiden Teile des folkigen “Urin deiner Blüten”: überall summt und brummt es, und was anfangs noch als bedrohlich wahrgenommen werden könnte, weiß sich schnell als beruhigende Kulisse aus warmen Klängen für das Murmeln und AMSR-taugliche Flüstern der wenigen, mantraartig wiederholten Worte. Nicht nur hier ist übrigens auch eine weibliche Stimme zu hören, gleichwohl Katie Rich, die später zu Brannten Schnüre stoßen woll, noch nicht in den Credits genannt wird.

Nach dem Aufgehen der Morgensonne über einem lichtdurchfluteten Gestrüpp aus chaotisch anmutendem Saitenspiel gehören die letzten Minuten der Besinnlichkeit, die ein entrücktes, imrpovisierten Gitarrenpicking zu erzeugen weiß – und so endet ein Album, das wahrscheinlich für viele, die Folksongs und experimentelle Klangkunst als getrennte Welten betrachten und erst recht für alljene, die für die hohe Kunst des fragmentverliebten Provisoriums kein Ohr haben, eine Herausforderung darstellt. Für alle freilich, die sich auf die inneren Gesetztmäßigkeiten einer solchen Musik einlassen, könnte es eine Wunderkammer sein, in der man immer neue Schätze findet.

Label: Aguirre Records