Die Betreiber von Post Orientalism Music, denen scheinbar nie die Ideen ausgehen, haben eine neue digitale Anthologie gestartet, die bis zum Jahresende wachsen soll, und sich – angeregt natürlich durch die furchtbaren Konflikte der jüngsten Zeit – dem Thema des Krieges widmet und letzterem auf eine intelligente Art ein Nein entgegenschleudert. Einige der beitragenden Musiker und Klangkünstler sind bereits öfter im Umkreis des Labels aufgetreten, andere nicht, zu hören sind bislang Beiträge von RDKPL, Joseph Benzola, Emad Khankeshipour, George Christian, Hardi Kurda, Itaru Ouwan, Kurator Ehsan Saboohi, Dave Seidel und T-Noll.
Angesichts des als Motto vorangestellten, konventionell gedacht eher pessimistisch klingenden Samuel Beckett-Zitats – “All of us are born into a catastrophe. The world is nothing but an endless waiting for the end” – finden sich auf der Sammlung auch viele dem Thema angemessen verstörende Momente, beispielsweise turbulenter Noise, in manchen Stücken aus reinem Feedback geboren, in anderen ratternder, salvenartiger Lärm, bei dem man sich – immersiv, wie es immer wieder heißt – in ein entfesseltes Kriegsgeschehen versetzt fühlt. Dann niederdrückende, schwere Soundscapes, aber auch Szenarien, die, wenn so viel Interpretation zulässig ist, eher für das Schöne stehen können, das von kriegerischer Gewalt bedroht ist – filigrane, sensible Sounds, die eine rituelle Folkigkeit anklingen lassen, hinter deren Ritzen menschliche Stimmen zu hören sind. Ferner hörspielartige Szenarien, bei denen klassische Kompositionen auf Rezitation trifft, metallene Soundscapes, bei denen rumpelnde Perkussion und Saitenstrumming eine ebenso lebendige wie destruktive Atmosphäre schaffen. Dann wieder subtile, von kratzenden und stetig anschwellenden Sounds untermalte Lesungen wie die von Ehsan Saboohi, die einem Manifest gleichkommt und unten auf deutsch wiedergegeben wird. Die Anthologie, deren Zusatz “Vol. 2″ auf eine frühere Compilation verweist, ist über die Streaming-Plattformen des Labels erhältlich.
1. Ja zur Menschenwürde, jenem unauslöschlichen Konzept, das als fragile Grundlage für alle rechtlichen und moralischen Konstrukte dient.
2. Ja zum Frieden, jenem schwer fassbaren Zustand, in dem die Maschinerie des ewigen Fortschritts Ruhe findet.
3. Ja zur Vernunft, jener kalten, leidenschaftslosen Kraft, die uns unbequem daran erinnert, dass Gewalt die Zuflucht gescheiterter Logik ist.
4. Ja zur sozialen Gerechtigkeit, jener schwer fassbaren Chimäre, die sich dem Zugriff sowohl von Idealisten als auch von Realisten ständig entzieht.
5. Ja zum dialektischen Widerspruch, bei dem Negation Transformation statt Zerstörung hervorbringt.
6. Ja zur menschlichen Kommunikation, dem unvollkommenen, chaotischen Mechanismus, durch den wir vergeblich versuchen, einander zu verstehen.
7. Ja zum Dialog und zur Verhandlung, den Werkzeugen, die wir in der absurden Hoffnung einsetzen, Krisen ohne Blutvergießen zu lösen.
8. Ja zur wirtschaftlichen Produktion, nicht zu der, die sich selbst in endlosen Zyklen von Verschwendung und Krieg verschlingt, sondern zu der, die Leben aufbaut, erhält und fortbestehen lässt.
9. Ja zum technologischen Fortschritt, der für die Schöpfung genutzt wird, trotz unserer Begabung, ihn in Instrumente der Vernichtung zu verwandeln.
10. Ja zu internationalen Institutionen, jenen bröckelnden Gebäuden, die es irgendwie immer noch schaffen, zwischen uns und dem Abgrund zu stehen.
11. Ja zur rationalen Organisation von Gesellschaften, in denen Gesetze und Gerechtigkeit gelegentlich das Chaos der rohen Macht übertrumpfen können.
12. Ja zum historischen Bewusstsein, dieser bitteren Pille, die wir schlucken, in der Hoffnung, dass die Lehren aus vergangenen Konflikten uns davor bewahren, unsere Selbstzerstörung zu wiederholen.
13. Ja zur Umverteilung der Ressourcen in einer Welt, in der Überfluss herrscht, die von uns erfundene Knappheit uns jedoch dazu bringt, uns gegenseitig an die Gurgel zu gehen.
14. Ja zur Rechtsstaatlichkeit, jenem fragilen Rahmen, der zwar unvollkommen ist, aber die Alternative des Rechts des Stärkeren schlägt.
15. Ja zu einer globalen Ethik, in der kein Mensch weniger menschlich ist als ein anderer, egal wie oft wir das Gegenteil behaupten.
16. Ja zu intellektueller Vielfalt, der notwendigen Reibung, die die Stagnation des Denkens und die Tyrannei des Dogmas verhindert.
17. Ja zu Freiheit und individueller Autonomie, obwohl wir genau wissen, wie leicht diese auf dem Altar des kollektiven Wahnsinns geopfert werden können.
18. Ja zur kritischen Rationalität, die wie ein ungebetener Gast offenbart, dass Gewalt nichts anderes als das endgültige Zugeständnis an intellektuelles Versagen ist.
19. Ja zu stabilen sozialen Strukturen, nicht wie sie sind, sondern wie sie sein könnten, sollten wir jemals lernen, zu leben, ohne sie auseinanderzureißen.
20. Ja zur politischen Selbstbestimmung, die den Nationen die tragische Freiheit gibt, durch ihre eigene Hand aufzusteigen oder zu fallen, anstatt der Laune von Imperien zu unterliegen.
21. Ja zum wissenschaftlichen und intellektuellen Austausch, bei dem Kooperation theoretisch die Nullsummenspiele der Machtpolitik übertrumpft.
22. Ja zur friedlichen Koexistenz, bei der es widerstreitenden Mächten in absurder Weise gelingt, ein empfindliches Gleichgewicht zu wahren, ohne der Gewalt zu erliegen.
23. Ja zu einer dialektischen Analyse der Geschichte, bei der jeder Krieg kein Endpunkt ist, sondern eine traurige Lektion darüber, was man als nächstes nicht tun sollte.
24. Ja zur kooperativen Spieltheorie, bei der rationale, vielleicht wahnhafte Akteure den gegenseitigen Nutzen der gegenseitigen, sicheren Zerstörung vorziehen.
25. Ja zu universellen menschlichen Werten, obwohl wir wissen, wie leicht sie angesichts von Nationalismus und Gewalt zerbröckeln.