Das von freundlichen Hügellandschaften geprägte Watauga-Gebiet liegt im ländlichen Nordwesten des amerikanischen Bundesstaates North Carolina an den östlichen Ausläufern des Appallachengebirges und ist auch eine Region, die für ihre vielen Gewässer, für ihre Bäche, Flüsse, Wasserfälle und Seen bekannt ist. Die Bezeichnung geht auf verschiedene Ureinwohnersprachen zurück und soll, unterschiedlichen Theorien zufolge, wohl “Flüsternde Gewässer” oder “Ein Ort vieler Quellen” heißen. Beide Bezeichnungen kommen auch – als Albumtitel und als Name eines Tracks – in dem aktuellen Album des Gitarristen und Multiinstrumentalisten Blake Hornsby vor, den in der Tradition von Klassikern wie Fahey und Basho zu verorten eine Verengung, aber auch ein erster Wegweiser wäre, und der bis vor wenigen Jahren in dieser Gegend gelebt hat.
Hornsby, der sich in den vergangenen Jahren einen immer größeren Ruf als Fingerstyle-Gitarrist erspielt hat und auch hierzulande immer mehr über seinen Geheimtipp-Status hinauswächst, lässt in seinen ausführlichen Liner Notes einen über das Biografische hinausgehenden, spirituell eingefärbten Bezug zu der Region durchscheinen und offenbart, dass alle der fünf unterschiedlich langen Stücke auf “A Village of Many Springs” von verschiedenen Gewässern der Gegend inspiriert sind. Die Kompositionen sind aber nicht nur eine Hommage an diese Orte, sondern gleichsam eine Verneigung vor zahlreichen Musikarten von amerikanischem Folk über Blues bis zu vorderasiatischen und klassischen indischen Traditionen, in denen er und sein meisterhaftes Fingerpicking ebenso zuhause sind. We darin einen Wiederspruch vermutet, hat “A Village of Many Springs” noch nicht gehört.
Das eröffnende “Whispering Waters” beginnt so heiter und aufgeweckt wie ein fließender Gebirgsbach, bevor sich unterschwellige Spannung aufbaut. Hornsbys Fingerpicking wechselt zwischen spielerischer Leichtigkeit und vorsichtig tastenden Passagen, was eine subtile, aber reizvolle Aufgewühltheit einbringt, bei der man nie vorhersehen kann, wie die Reise weitergeht, und tatsächlich ändern sich die Geschwindigkeiten, mit denen seine geschickten und geübten Hände agieren, oft spontan. Auch “Laurel Creek Blues”, das Hornsby selbst als Happy Blues beschreibt, beginnt heiter, gleichwohl von Beginn an eine etwas wehmütigere Note halbversteckt mitschwingt und nach einem Bruch hält etwas drängendes und zugleich “mystisch entrücktes” Einzug in den Song, das zumindest leicht an nordafrikanische und vorderasiatische Melodien erinnert. In ihrem Zusammenspiel von Melodie, Tempo und Stimmung entfaltet die Komposition eine ganz einzigartige Aura, die Musikerkollege Grey Malkin vielleicht meinte, wenn er die Musik als “barockes Folk-Zauberspiel, direkt aus Hornsbys Händen” bezeichnete.
Ein besonderer Moment ist das rund achtminütige “Cathedral Falls”, das einen fast filmischen Charakter offenbart und in eine langsame Szene or einem Showdown passen würde. Hier gelingt es Hornsby, aus der Andeutung von Stille heraus eine Klangwelt zu erschaffen, die sich Zeit nimmt, bevor sie sich in atemberaubenden Ornamenten entfaltet. Besonders eindrucksvoll ist die Nutzung der tiefen Saiten, die den später einsetzenden hohen Tönen noch mehr Entrücktheit und vielleicht auch Dramatik verleihen. Hier ist auch das Echo altweltlicher Musiktraditionen wie vielleicht der arabischen deutlich zu hören. „O How the Water Flows North“ ist ein sanfter, besinnlicher Track, der – auch wenn man as in den Titeln offenbarte Thema nicht allzu eindeutig n der Musik wiederfinden will – durchaus an das langsame, beharrliche Fließen des Wassers musikalisch erinnert. Das Stück lässt sich Zeit und verweilt in einer kontemplativen Ruhe, bevor es irgendwann elektronisch aufgeladen in die Ferne rückt. Diese weite, verhallte Klanglandschaft verstärkt das Gefühl von Einsamkeit und Zeitlosigkeit, das die Musik durchzieht.
Das kollaborativ entstandene “Bury My Soul in the Linville River” sticht sich als Abschlusstrack besonders hervor und könnte aufgrund seiner Länge, aber auch wegen seiner Instrumentierung und Kompositionsweise fast wie ein kleines Album im Album gehört werden, doch der Titel schlägt auch hier eine kleine abschließende Brücke zum Thema der Verbundenheit mit den Orten. Die auf einer Raga basierende Komposition entfaltet sich langsam, untermalt von Harmonium, Tampura, Tabla, dem Goldregen einer Santur und vielleicht noch weiteren im Begleittext aufgezählten Instrumenten, die eine feierliche, transzendentale Atmosphäre schaffen. Hier zeigt Hornsby, wie tief er in verschiedenen musikalischen Traditionen verwurzelt ist, während er gleichzeitig eine improvisatorische Frische und Lebendigkeit beibehält. Das stetige Pumpen des Harmoniums lässt kraftvolle Wellen entstehen und vergehen, während die locker gespannten Gitarrensaiten die sich entfaltende Klanglandschaft mitformen. Es entsteht ein weiträumiges Szenario, in dem Objekte nur schemenhaft zu erkennen sind und doch tiefe eindrücke hinterlassen. Irgendwann lassen griffig gepickte Saiten deutlichere Gestalten erscheinen, bevor es tatsächlich noch einmal heiter und beschwingt wird, falls dieser Begriff nicht zu trivial ist für diese Musik.
Vor allem in unseren Längen und Breiten sollte dieses Album als überraschendes Ereignis gefeiert werden, und dem Kommentar von Kollege Adam Geoffrey Cole – “Blake Hornsby ist ein strahlendes Licht unter den neuen Solo-Gitarristen” – ist wenig hinzuzufügen. “A Village of Many Springs” zeigt nicht nur Hornsbys technische Virtuosität, sondern auch seine Fähigkeit, Traditionen und Persönliches auf wunderbare Weise progressiv zu etwas Organischem zu verbinden. (U.S.)
Label: Echodelick