Einige der interessantesten Werke nicht nur der Musik entstehen produktionsästhetisch aus einem Szenenwechsel heraus, auch dem Bedürfnis nach einer Art Heterotopie, in der man dem gewohnten Alltag mit seinen Verpflichtungen, seiner Produktivität, seinen Routinen und Betriebsblindheiten entkommen kann. Der in Wien lebenden Musikerin und Komponistin Maja Osojnik war durchaus bewusst, dass ein solcher Tapetenwechsel, der in ihrem Fall eine Reise in die Natur und in die (relative) Stille war, eine Art Rückkehr zu einer bewussten Wahrnehmung bedeutete, dem bewussten, tiefen Zuhören nach Pauline Oliveras entsprechend, die dann zugleich auch die Schwelle zur eigenen schöpferischen Aktivität markiert. Diese mündete in ihr aktuelles und passend betiteltes Album “Doorways”, das sie in Kollaboration mit befreundeten Acts eingespielt hat. Mit zwei rund 20-minütigen Stücken lädt die Komposition zu einem im Grunde meditativen und intensiven Zuhörprozess ein, der die Grenzen von Natur, Elektronik und menschlicher Emotion erforscht.
“Doorways #09″, das erste Stück, ist ein auditives Porträt eines Ortes im Wald und basiert auf einem grafischen Score der Komponistin. In Zusammenarbeit mit dem Streich und Blasinstrumente sowie Piano einsetzenden Black Page Orchestra entstand eine fast hörspielartige Klanglandschaft, die stark, aber keineswegs ausschließlich durch verfremdete Field Recordings getragen wird. Hier sind anfangs nur bearbeitete, beinahe abstrakte Klänge zu hören – rauschende Texturen, rückwärts abgespielte Fragmente, sporadische Klaviertupfer und hohe Sinustöne. Diese Geräuschwelt entwickelt sich kontinuierlich weiter und wird durch tropfende und zwitschernde Deteils ergänzt, bis sie in ein ruhiges, verregnetes Szenario abklingt. Der Wechsel hin zu organisch anmutenden Klängen, in denen Vogelzwitschern und die besinnlichen Töne einer Orgel durchscheinen, schafft ein geerdetes Klangbild. Doch “Doorways #09″ bleibt unvorhersehbar und driftet schließlich in eine dunklere, dramatischere Stimmung, die vielleicht ein wenig an die Klangästhetik eines Stummfilms erinnert und sich am Ende in einer wuchtigen Dröhnung auflöst. Hier zeigt Osojnik die transformative Kraft des Klangs und fordert heraus, aktiv und aufmerksam zuzuhören – ein “Kino für die Ohren”, das durch ganz unterschiedliche Klangschichten und Stimmungen navigiert.
Mit “Blende #01″ betritt das Album eine neue Ebene. In dieser Komposition, die von Cellistin Maiken Beer mitgetragen wird, entfalten sich repetitiv kreisende, tief klingende Cello-Phrasen, die von subtilen Veränderungen und einer anfangs scheinbar ziellosen, aber spannungsgeladenen Struktur durchzogen sind. Harmonische Streicherpassagen und leise, fast verhallende Klänge treten in ein interessantes Wechselspiel. Die Musik scheint immer wieder an die Schwelle des Auflösens zu kommen, nur um sich erneut zusammenzusetzen – wie ein Organismus, der zwischen Lebendigsein und Zerfall schwankt. Der Einsatz der menschlichen Stimme verleiht dem Ende des Stücks eine fast wehmütige Schönheit, die einen zurücklässt mit dem Eindruck, an einem intimen Akt der Verwandlung teilgenommen zu haben.
“Doorways” zeigt sich als herausfordernde, poetische Hommage an die Praxis des “Deep Listening” und zugleich als so etwas wie deren Resultat. Osojnik richtet den Fokus auf das bewusste Zuhören und die Art, wie wir akustische Umgebungen in all ihren Dynamiken und zum Teil unerwarteten Veränderungen wahrnehmen und auf sie reagieren. Die Kompositionen lassen Raum für stille Reflexionen und laden dazu ein, mit einer unvoreingenommenen Aufmerksamkeit zu hören. Das Album ist eine akustische Reise, die durch ihre komplexe Schichtung von Naturgeräuschen, Instrumenten und elektronischen Elementen eine fragile Balance zwischen Realität und Abstraktion herstellt.
Label: Mamka Records / Col-Legno