SIMON FINN: Rats Laugh Mice Sing

Betrachtet man den Werdegang von Englands Folkveteran SIMON FINN, so kann man schnell dem Eindruck eines unsteten Lebenskünstlers erliegen. Die wenigen Berichte, die es über ihn gibt, erzählen von einer Auswanderung von Großbritannien nach Kanada und zurück, berichten von Tätigkeiten als Biobauer, Vertreter, Karatelehrer und ganz nebenbei auch Romanautor. Bleibt als einer der interessantesten Punkte natürlich die Musik zu nennen, mit der er bereits vor vierzig Jahren begann, wenngleich das Output des Sängers und Gitarristen überschaubar ist.

Die Fans sind im Bilde, für Neueinsteiger sei Finns zeitweise gestundete Karriere kurz resümiert: Ende der 60er spielte Simon mit ein paar Freunden ein Folkalbum im Stil der Zeit ein, das 1970 unter dem Titel „Pass The Distance“ herauskam und sich zunächst recht gut verkaufte – bis es aufgrund eines Rechtsstreites aus dem Labelprogramm genommen wurde und für lange Zeit zum Sammlerstück avancierte. Trotz Liveerfahrung u.a. im Vorprogramm von AL STEWART („Year Of The Cat“) zog sich Finn kurz darauf aus dem Musikgeschäft zurück, und es dauerte rund dreißig Jahre, bis er, ähnlich wie VASHTI BUNYAN, ein bemerkenswertes Comeback zustande brachte, das ihm zwar keinen Starruhm bescherte, dafür aber zwei von Kritikern und Fans geschätzte Alben namens „Magic Moments“ und „Accidental Life“. Zwischen spiritueller Sehnsucht und sarkastischer Aufdeckung desolater Lebensaspekte passte die mal minimalistisch arrangierte, mal etwas breiter instrumentierte Musik gut in die Folkszene der neueren Zeit. Bedenkt man bei diesem Comeback die Verlagsarbeit eines gewissen HERRN BUNTING und die Mitwirkung von Musikerinnen wie JOOLIE WOOD, ROSE MCDOWALL oder DANIELLE DAX, dann kann man sich schon vorstellen, aus welchen Ecken die neuen Anhänger zumeist kamen.

Ob der unstete Wanderer in der Musik nicht nur einen zweiten Frühling, sondern auch so etwas wie ein langfristiges Zuhause gefunden hat, kann ich nicht beurteilen, wenngleich ich es ihm ebenso wünschen würde wie seinen Fans – beim Anhören seines gerade erschienenen Longplayers „Rats Laugh Mice Sing“ kam mir zumindest der Gedanke, denn das Album knüpft sehr kohärent an seine Musik der letzten Jahre an. Was man von Finn, Wood und weiteren punktuell auftretenden Gästen geboten bekommt, ist zunächst ein balladenhaftes Songwriting mit dezent folkiger Instrumentierung, das in keines der gerne genannten Genrekonstrukte hineinpassen will. Da begegnen dem Hörer zunächst eher beiläufig und dezent klingende Stücke wie das mit dem passenden Titel „En Passant“: Eine nonchalante Orgel mit Sixties-Flair und ein paar hintergründige Rockzitate begleiten hier einen ironischen Finn bei seinen Reflexionen über das von Vergänglichkeit überschattete Spiel des Daseins. Finn ist kein Stimmwunder und seine Art des Gitarrenspiels sicher nicht außergewöhnlich innovativ, aber seine unprätentiöse Art zu singen und sein elegantes Songwriting machen das locker wett. Mein Kollege vom Black betonte bereits das Vorhandensein zweier Songtypen, die meist recht unverbunden nebeneinander stehen – zum einen Stücke mit anekdotischem Charakter, zum anderen Lieder, die abstakte Reflexionen zum Thema haben. Während „En Passant“ (vergleichbar mit „A Cinder’s Prayer“, „Friendship“ oder „Neutered Air“ von früheren Platten) zum letzteren Typ zählt, überwiegen auf dem neuen Album Stücke, bei denen Finn sich als singender Geschichtenerzähler gibt.

Wie schon auf den letzten Alben sind auch diese Lieder oft von einer spielerischen Ironie durchzogen, die angesichts der tragischen Inhalte bei manch anderem Songschreiber plakativ wirken würde. „Zoo“, mit Walzertakt und skurrilem Trompetensolo schon musikalisch ein Höhepunkt, ist eines dieser Stücke. Erzählt wird von einer als Tierpark versinnbildlichten Beziehung mit dem lyrischen Ich als einzigem Tier, das paradoxerweise seine Wärterin füttern muss. Was immer das nun parabelhaft über eine „Dialektik der Abhängigkeit“ aussagen mag sollen andere beurteilen – für mich gäbe der Song schlicht einen guten Romanstoff ab, ähnliche wie die melancholische Nummer „No Man In The Moon“ oder das bittere „Laughing With Lenny“, das mit seinem leicht groovigen Rhythmus erneut die 60er anklingen lässt und in gut vier Minuten eine ebenso wehmütig-schlitzohrige Lebenskünstlerbiografie erzählt wie vormals „Johnny Westward“. Vielleicht ist die Schwerpunktsetzung auf die ironischen Anekdoten ja so etwas wie ein Ausweg aus dem teilweise recht rauen Existenzialismus des Vorgängers, der den magischen Realismus von „Magic Moments“ konterkarierte. So ist auf dem neuen Werk auch Platz für den Stimmbeitrag einer Maus namens Albert, vielleicht ein ungebetener und letztlich akzeptierter Mitbewohner in Finns Haushalt, in jedem Fall aber Inspirationsquell für Titel und Artwork der Platte.

Doch „Rats“ hat auch kraftvolle Stücke zu bieten, die eine gebrochen euphorische Stimmung versprühen. „Loitering’s Allowed“ ist mit dem rhythmischen Strumming auf der Gitarre und Joolies großartiger Geigenmelodie ein fast neofolkiger Schrei nach Sinn und Bedeutung. Ist dessen Refrain „It’s all so pretty here“ ein Ausdruck der Freude oder eher die Anklage einer nur mit Ironie erträglichen Sterilität? Finns Texte haben ein stark evokatives Potential für griffige Bilder, in ihrer Aussage dagegen sind sie jedoch selten eindeutig. Markant ist dagegen der hier durchaus füllige Sound, bei dem Finn und Wood von dem Drummer JOHN RHYS-LEWIS, dem neuen Bassisten NELSON und KEITH GODMAN an der Mandoline unterstützt werden. Finn hat eine natürlich und unverkrampft wirkende Affinität zu dunklen Folkklängen, die sich ab und an in einzelnen Songs manifestiert und keineswegs auf Genrezugehörigkeiten abzielt. Dennoch – Szenegänger, die seinerzeit mit dem kulturpessimistischen „Walkie Talkie“ oder dem ambivalenten Heroismus von „Golden“ nichts anzufangen wussten, ist nicht zu helfen. In der Hinsicht ist auf dem neuen Album „The Chauffeur“ ein Höhepunkt. Wie bei einer kurzen hermetischen Short Story richtet Finn das Licht seiner Erzählkunst auf den kleinen bezeichnenden Ausschnitt einer seltsamen Beziehung. Sehr erfreulich, dass man auch diesen Text nur ansatzweise versteht, so driftet er auch an keiner Stelle ins Triviale ab. Finn lässt seine Zupfgitarre dazu etwas schneller erklingen, und wie in einem Western scheint sie den Rhythmus galoppierender Pferde nachzuahmen. Elektronische Rückkopplungen unterstreichen am Ende die Dramatik. So ist es dann auch ein Stück, das man sich wunderbar live vorstellen kann. Statt in einem Szeneclub würde ich Finn am liebsten, Klischees hin oder her, in einer kleinen heruntergekommenen Hafenkaschemme sehen, irgendwo in einem verlassenen Küstenstädtchen der englischsprachigen Welt.

Natürlich sind nicht alle Stücke auf „Rats“ von gleicher Intensität. Gerade die zweite Hälfte der Platte enthält Songs, die weniger ins Ohr gehen und ein paar Anläufe mehr brauchen, „He The Man“ und das selbstreflexive „Expectations“ mit seinem Banjo bilden da noch mal kleine Höhepunkte. Trotzdem wirkt die Songauswahl sehr kohärent, weshalb ich das vorliegende Album auch höher ansetze als „Accidental Life“, denn dieses wirkte trotz zum Teil großartiger Songs etwas lang und zusammengewürfelt, weshalb sich dort für mich kein richtiges Album-Feeling einstellen wollte. In diesem Gefühl, eine runde Sache vorliegen zu haben, sehe ich auch die eigentlich Innovation in Finns Werk, die man natürlich nicht als Quantensprung bezeichnen muss. Genau genommen kombiniert „Rats“ die Geschlossenheit von „Magic Moments“ mit der Opulenz von „Accidental Life“, und das ist doch ein guter Abschluss eines neuen Jahrzehnts für Simons Musik. Bestellen kann man das Album zu einem sehr entgegenkommenden Preis auf Simons Internetseite.

(U.S.)