Um ELIJAH’S MANTLE, das Musikprojekt des in Irland lebenden Komponisten, Schauspielers und Kurators Mark St. John Ellis, ist es in den letzten Jahren eher ruhig geworden. Anfang der 90er aus dem Performance-Project THEATRE OF MASQUE hervorgegangen, wendete sich Ellis einer bisher einzigartigen Ausprägung vokallastiger Minimal Music zu, widmete sich ausgewählten literarischen und theologischen Themen und arbeitete in unterschiedlicher Weise mit Künstlern wie Brendan Perry, Lisa Gerrard (beide DEAD CAN DANCE), Klaus Vormehr (COEX) und Christophe Terrettaz (OZYMANDIAS). Nach längerer Pause erschien Anfang des Jahres die Sammlung „Observations of an Atheist“, die überwiegend Neubearbeitungen früherer Stücke enthält und als Filmsoundtrack verwendet wurde. Eine Möglichkeit, sich ELIJAH’S MANTLE anzunähern, besteht über den Weg der Sprache. Dies würde zumindest der großen Bedeutung Rechnung tragen, die lyrischen Texten in seinem (einfach ausgedrückt „neo-klassischen“) Werk zukommt. In den Jahren bis 2002 entstanden nicht nur ganze Alben mit Texten von Charles Baudelaire („Legacy of Corruption“), anderer französischer Symbolisten („Poets and Visionaries“) und englischer Romantiker („The Soul of Romanticism“ zusammen mit Terretaz). Auch seine weiteren Veröffentlichungen, die eher von thematisch-inhaltlichen Schwerpunkten zusammengehalten wurden, griffen extensiv auf Zitate zurück. Auf eine solche Arbeitsweise spielt schon der Bandname an, der sich auf eine signifikante Stelle aus dem Ersten Buch der Könige bezieht: Als der Prophet Elija in einer Windhose die irdische Welt verlässt, fällt dessen Mantel, der unter anderem die Fähigkeit besitzt, Wasser zu trennen, damit sein Träger trockenen Fußes „über den Jordan gehen“ kann, seinem Schüler Elischa zu, der fortan dessen Rolle als Prophet des Volkes Israel weiterführt. Zusammen mit der Namensähnlichkeit der beiden Seher steht der Mantel symbolisch für das Weitergeben bzw. die Übernahme einer visionären Kraft, die somit am Leben erhalten wird. Der Zusammenhang mag profaner sein – Ellis jedenfalls hat das Übernehmen und Weitergeben zu einem der zentralen musikalischen und textlichen Wesenszüge seines Projektes erklärt. Dies betrifft nicht nur den erwähnte Rückgriff auf bestimmte Texte, sondern auch die immanente Struktur seines eigenen Werks. Gab es anfangs nur ein vages inneres Referenzsystem (beispielsweise Textstellen des einen Albums, die zum Titel des folgenden wurden), so entschied Ellis irgendwann, nur noch vorhandenes Material immer wieder anderen Neubearbeitungen und Kombinatoriken zu unterziehen. Man kann dies als Reduktionismus betrachten und kritisch bewerten und das bis heute nicht erschienene Album bedauern, das Ellis im Interview erwähnen wird. Man kann es aber auch als Versuch werten, aufzuzeigen, wie groß die Möglichkeiten sind, die sich aus dem immer wieder neuen Zusammensetzen vorhandener Strukturen ergeben können. Wie gut das im Einzelnen gelingt, sollte jeder Hörer für sich entscheiden. Das folgende Interview widmet sich dementsprechend vor allem werkgeschichtlichen Fragen.
Gibt es Elijah’s Mantle noch als aktives Musikprojekt, und wenn ja, was ist für die Zukunft geplant?
Elijah’s Mantle wird es weiter als Musikprojekt geben, aber was den Output betrifft, habe ich etwas anderes vor als bisher. ‘Breath of Lazarus’ war ein Wendepunkt in meiner kreativen Arbeitsweise. Ich war mit der Zeit immer stärker daran interessiert, schon existierende Klänge zu bearbeiten, statt mit dem Schreiben und Komponieren weiterzumachen. In der Zeit, als ich keine neuen Sachen mehr veröffentlicht habe, habe ich Sounds in die visuellen Ausstellungsprojekte integriert, an denen ich als Kurator arbeitete. Dieser Prozess leitet sich von dem gleichen kreativen “Cut and Paste”-Prinzip ab, das bereits der CD “Breath of Lazarus” zugrunde lag. Der gleichen Methode werde ich wohl auch bei künftigen Veröffentlichungen nachgehen.
Dein Vorgängerprojekt MASQUE hatte ein starkes Multimedia- und Performance-Moment, und du hattest ja zuvor auch Schauspiel studiert. Wie stark denkst du ist das Projekt durch deine akademische Ausbildung geprägt?
MASQUE resultierte direkt aus meinem Schauspielstudium. Als ich an der LAMDA (“The London Academy of Music and Art”, Anm. d. Red) studierte, hatte ich die Gelegenheit, die Rolle des Gethin Price in Trevor Griffiths’ “Comedians” zu verkörpern. Dies hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf meine grundsätzliche Haltung gegenüber Performance. In dem Stück vollzieht jeder Akteur einen komischen Akt, Gethin jedoch vollzieht eine Kunstperformance. Auch die Tatsache, dass ich meine Haare abrasieren musste, gab mir eine Vorstellung von der totalen Hingabe an die Aufführung. Wegen dieser Erfahrung entwickelte ich auch mein Interesse für die Schriften Antonin Artauds und seiner Theorien eines totalen Theaters, das er “Theater der Grausamkeit” nannte. Das Kernstück des Projektes war Musik und konnte somit nur erlebt werden, indem man die im Eigenlabel herausgebrachten Kassetten hört, aber die totale Erfahrung fand bei einer Live-Auführung statt, oder wenn man es sich auf Film ansah.
Da ich diese frühen Aufnahmen nicht kenne, kann ich nur vermuten, dass das Konzept des “Maskentheaters” in einem ritualistischen und archetypischen Zusammenhang stand. Was kannst du uns darüber berichten?
Ich bin nicht sicher, ob ich die Frage verstehe. Die frühe MASQUE-Musik war recht typisch für die damalige Zeit. Wie der Journalist Push vom “Melody Maker” es beschrieb – “the dirt once found in the grooves of 4AD…” – Gitarrenfeedback zusammen mit einer starken Bassspur und einem repetitiven Sequencer, angeschlossen an einen industriell klingenden Drumcomputer. Es war nicht so ritualistisch wie die Stücke, die ich dann irgendwann nur für Performances und Film schrieb ( “Misere de Profundis” beispielsweise entstand als ein Stück für eine Performance). Das MASQUE-Projekt begann schief zu gehen, als ich versuchte, es in eine intellektuelle Richtung zu forcieren. Mit seinem rauen Klang bei Auftritten in Londoner Underground-Rockclubs hatte es eine Energie, die dem Theater, das ich erschaffen wollte, sehr nah kam. Als ich mich entschied, auf Theaterbühnen zu spielen und dabei zuvor gemachte Aufnahmen zu integrieren und die Besetzung zu vergrößern, demonstrierte ich sogleich, dass die Ambitionen des Projektes nicht erfüllt werden konnten. Daraus resultierte die Entscheidung, mich nur noch auf Musik zu konzentrieren, da ich mit Performance so weit gegangen war, wie ich konnte.
Du hattest einmal ein Tape ”Religious Industrial“ betitelt. Auf der einen Seite mag dies schlicht eine Art musikalischen Crossover bezeichnen – krachige Sounds kombiniert mit Zitaten sakraler Musik. Ich frage mich, ob der Titel auch über die Einflüsse industrieller Mechanismen auf spirituelle Prozesse anspielt.
Deine Frage gibt dem Titel mehr Bedeutug. Deine erste Interpretation trifft zu – “krachige Sounds kombiniert mit sakralen Texten”. Aber der Titel spielt ebenso mit der Bedeutung des Wortes “Industrial” im Zusammenhang mit “hartem Arbeiten”. Diese Kassette war der Beginn der Idee, aus der ELIJAH’S MANTLE entstand. Der Titel “Religious Industrial” wurde später für ein zwanzig minütiges Stück für einen Film verwendet, den ich im Videoformat auf World Serpent veröffentlichte. Später wurde der Film digital neubearbeitet für drei Monitore als Installation unter dem Titel “Observations of an Atheist” und wurde diesen Januar in der Dubliner Galerie gezeigt, mit der ich zusammenarbeite.
Einige der Tracktitel bei MASQUE lassen vermuten, dass einiges von dem Material später bei ELIJAH’S MANTLE wieder benutzt wurde. Trifft das zu?
Wie ich eben schon sagte, pflege ich Sachen zu recyclen und als Zitate neu zusammen zu fügen. Es gab einen Übergang in der Spätphase von MASQUE zu ELIJAH’S MANTLE, gerade was die Texte betrifft. Die Texte bekamen weniger die Qualität von Songlyrics, wie ich sie in MASQUE benutzte, und wurden zur Quelle einer weiteren Klangfolge innerhalb der Musik. Das Absingen ist die direkteste Möglichkeit, diese Repetition entstehen zu lassen.
Hatte dein Vertrag mit WSD einen besonderen Einfluss darauf, dass du dich in der Folge mehr auf das medium Musik konzentriertest?
Als ich meinen Film “Religious Industrial” in einem Londoner Kino uraufführte, machte ich auch die Gründung meines Labels “De Nova Da Capo” bekannt, sowie den Namen des Projektes ELIJAH’S MANTLE, unter dem die Arbeiten künftig erscheinen sollten. Ich lud die Betreiber von WSD auf Empfehlung eines Freundes hin ein. Während eines Gesprächs mit Alan Trench, einem der WSD-Inhaber, erfuhr ich erst, dass sie ein Musikvertrieb waren und kein Filmlabel. Ich schickte ihnen das “Religious Industrial”-Tape, und sie boten mit einen Vertrag an. WSD veröffentlichte später auch den Film. Ich verließ aber London kurz darauf, um in Irland zu leben, als das erste Album produziert und aufgenommen wurde. Nachdem Performance nicht mehr länger ein notweniger Teil des Konzeptes war, drangen Multimedia-Ideen in die textliche und visuelle Seite des Projektes ein. Ich arbeitete einige Jahre mit dem Fotograf Daniel Faoro an dem Film, außerdem arbeiteten wir an einigen Ideen, die von der Musik inspiriert waren und einerseits in einem Kurzfilm endeten, andererseits in Bildern. Ich sehe die Alben als eine Abfolge der verschiedenen Medien.
In “Sorrows of Sophia” geht es unter anderem um verschiedene Konzepte des Weiblichen. Was war der Grund, sich hauptsächlich mit einer männlichen Sicht auf das Weibliche zu befassen?
‘Sorrows of Sophia’ bezeichnet den Kummer der Weisheit. Weisheit war in dem Fall das Weiblich-Göttliche, das Weibliche und das innere Weibliche. Das Quellenmaterial rangiert von antiken Texten über Quellen aus dem 11. Jahrhundert bis hin zu Schriften heutigen Datums. “The Woman’s Encyclopedia of Myths and Secrets” von Barbara G. Walker war eine sehr einflussreiche Informationsquelle dazu. Ähnlich wie viele Arbeiten über die ich schrieb, erkundete dieses Album ein Glaubenssystem und eine Gesellschaft, welche dem relativ jungen System des westlichen Christentums vorausgegangen sind. Die Gnostiker glaubten, dass Maria Magdalena nicht nur eine Jüngerin Jesu war, sondern sogar eine bevorzugte Stellung inne hatte. Paulus, der Begründer der christlichen Kirche beschrieb sie dagegen als Prostituierte. Gnostiker priesen die Schlange im Garten Eden dafür, dass sie der Menschheit Wissen brachte. Die Schlange musste fortan im Hauptstrom des Christentums das Böse symbolisieren. Gnostische Literatur wurde von der christlichen Kirche unterdrückt. Hinsichtlich des Weiblich-Göttlichen ein Zitat von Merlin Stone: “At the dawn of religion God was a woman”. Das Stück “Tellus Mater” auf dem Album deklamiert die Namen von vierundsechzig Göttinen, und es gibt mehr. Die obigen Beispiele rühren an dem Thema archaischer und alternativer Glaubenssysteme in der Geschichte und an deren großem Verlust, sei er nun spiritueller oder akademischer Art, der von der Dominanz der christlichen Organisation verursacht wurde. Es gab in meiner Arbeit keine einseitige Tendenz hin zu einer männlichen Sicht auf das weibliche. Es war nicht wichtig, von welchem Geschlecht das Quellenmaterial kam, dessen Inhalt dann gewissermaßen im Gegensatz zum Autorennamen stand.
Auf dem Album scheint es einen starken Fokus zu geben auf (z.B. Gnostischen, Jungschen) Konzepten, die eher den Unterschied der Geschlechter betonen. Auf eine gewisse Weise steht dies im Gegensatz zu Teilen des akademischen Geschlechterdiskurses. Wie ist deine Sicht dazu?
Ich will die Diskussion über Gender-Unterschiede gerne vermeiden, da ich nicht weiß, auf welche Debatten ihr euch im Speziellen bezieht. “Sorrows of Sophia” befasste sich mit dem Weiblichen und dem inneren Weiblichen. Das im wörtlichen Sinn Jungsche Stück auf dem Album, “Animus Anima”, bezieht sich textlich auf das Männliche im Weiblichen und das Weibliche im Männlichen. Zusätzlich zur Semantik der Worte ergeben sie in Wiederholung eine Art Choral. Der Track “Hermaphroditus” behandelt die Verschmelzung der Geschlechter und ein Symbol für die vereinten Gegensätze. Der Gesang beginnt mit den Worten “I am total, I am man, I am woman” und geht dann durch eine Reihe von Gegensätzen, beispielsweise “I am hate, I am love, beauty, grotesque, joy, sadness, wrong, right, etc.” Das Stück “Our Lady of the Flowers”, das von dem Sänger Conor O’Reilly geschrieben wurde, der auch den Countertenor-Part singt, basiert auf dem Gedicht “Beautiful Drags” von Jean Paul Martinon. Der Bassgesang und der Countertenor verkörpern das Gewissen und den Charakter der gleichen Person während einer Diskussion. Die Person ist eine Drag Queen. Der Track existiert zur Erinnerung daran, dass Männer jahrhundertelang Frauenkleider getragen haben, ob als Priester oder als Drag Queens. Ein anders Referenzbuch, das ich verwendete, war “Idols of Perversity” von Bram Dijkstra, der über den männlichen Blick der Kunst des 19. Jahrhunders auf das weibliche schreibt. Ein Kritiker nannte es “eine verdiente Studie zur ‘Ikonographie der Misogynie’”. Das Stück “Medusa” repräsentiert eine solche weibliche Imago, aber es ist nicht allgemein bekannt, dass ein weibliches Gesicht umgeben von Schlangenhaaren auch ein archaisches, weithin anerkanntes Symbol göttlicher Weisheit war, gleich dem “wise blood”, der Menstruation, die den Frauen ihre Macht gab. Die alte griechische Welt verehrte vor allem Frauen und Schlangen.
In dem Zusammenhang muss ich an die Autorin Camille Paglia denken, deren Schriften zur Geschlechtertheorie ebenfall stark von Jung inspiriert sind. Paglias akademische Reputation leidet etwas unter ihrer oft als “reaktionär” missverstandenen Verknüpfung von Feminismus mit Aspekten, die als “typisch weiblich” gelten, anstatt sexuelle Unterschiede zu nivellieren. Bist du mit ihren oftmals sehr polemischen Schriften vertraut?
Ich habe Camille Paglia und Simone de Beauvoir gelesen. Was ich bei Paglia mochte, war ihr Infragestellen typisch feministischer Attitüde. Dass die Feministin nicht einer bestimmten, typenhaften Vorstellung in den Köpfen der Leute entsprechen muss. So muss die Feministin ihre Weiblichkeit nicht verstecken, und sich die Beine zu rasieren muss nicht heißen, dass sie ihre Ideale über Bord wirft. Feminismus befasst sich schlicht mit den Rechten der Frau auf der Grundlage einer Gleichwertigkeit der Geschlechter, und sollte wenig damit zu tun haben, irgend einem Typ zu entsprechen. Die ganze Debatte ist kontrovers – wenn ich sage, dass ich es schätze, wenn Frauen ihre Weiblichkeit durch Kleidung demonstrieren, dann laufe ich Gefahr, als sexistisch bezeichnet zu werden. Paglias Polemiken sind berechtigt.
Ich habe den Eindruck, dass dein Gebrauch des Heretischen (sei es im Zusammenhang mit der gnostischen Tradition oder mit den Werken “dekadenter” Autoren) zumindest teilweise eine emanzipatorische Haltung offenbart. Würdest du zustimmen?
Emanzipatorisch für mich oder für den Hörer? Die Heretik ist auch eine Gegenmeinung zu dem, was normalerweise akzeptiert oder behauptet wird, und eine solche Diskussion muss immer kontrovers sein. Absolute Überzeugungen sind gefährlich, und ich würde diese Aussage zu den Hauptinspirationen meiner Werke zählen. Eine Alternative ist immer gegen die Norm gerichtet, und zu jeder These gibt es eine Antithese. Es gab gefährliche Elemente im gnostischen Denken wie in der Dekadenz, ebenso gibt es in beiden Bereichen auch konstruktive Elemente. Ich habe bereits Beispiele des Gnostischen genannt. Man kann ein wichtiges Moment der dekadenten Philosophie mit einem Zitat aus dem Essay “The Evolution of an Idea” untermauern, der im “Dedalus Book of Decadence” enthalten ist – “Der wahre Décadent glaubt, dass der Glaube an irgendeine Art von Fortschritt fehl am Platz ist; es wird keine bessere Welt geben, die man noch durch eine weitere Revolution erschaffen könnte.” Grundsätzlich, wenn es dort eine emanzipatorische Geste gibt, dann die der Redefreiheit. Wie ich es im Booklet zu “Remedies in Heresies” erwähnte, ist der einzige Unterschied zwischen dem heutigen Heretiker zu dem der Vergangenheit, dass der letztgenannte für seine Überzeugungen auf dem Scheiterhaufen endete. Andererseits ist diese Aussage, auch wenn sie einen bestimmten Punkt sehr auschaulich macht, inkorrekt angesichts der Verbrechen, die auch heute noch von der Menschheit an der Menschheit begangen werden.
Du hattest eine Reihe von Alben der Dichtung gewidmet, die allgemein als symbolistisch, ästhetizistisch oder dekadent bezeichnet wird. In “Betrayals and Extasies” beschäftigst du dich unter anderem mit der dionysischen, transgressiven Seite dieser Literatur. Woher rührt deine Faszination für diese Autoren, und worin denkst du liegt ihre spezielle Bedeutung für unsere zeitgenössische Kultur?
“Betrayals and Ecstasies” ist das einfachste aller Alben, es handelt von der Liebe. Betrogene Liebe, verdorbene Liebe und Liebe in Ekstase. Die Reihenfolge der Beschreibungen ist da willkürlich. Das Interesse am Betrug in Angelegenheiten des Herzens ist weit verbreitet und die “dekadenten” Autoren sind nur eine Gruppe, die sich anscheinend sehr stark mit diesem Thema beschäftigt hat. Es ist interessant zu wissen, dass die “dekadente” Bewegung aus der “naturalistischen” Bewegung entsprungen ist und nicht umgekehrt. Huysmanns war ein Schüler von Zola. Der Dekadente sieht die Welt wie sie ist (verfasst von den Naturalisten), und versucht das Leben darin so erträglich wie möglich zu machen. Wie bei allen Menschen in einer Gruppe gibt es dort solche, die über Reife, Erfahrung und Verantwortunggefühl verfügen, und solche ohne. Der Décadent ist nicht einfach jemand mit einer “dionysischen” Haltung zum Leben. Die Verbindung zur zeitgenössischen Kultur? Sehr wenige Veränderungen hinsichtlich der Emotionen und der Liebesangelegenheiten.
Wir bezogen uns beispielsweise auf Songs wie “Portals of Opium” oder “History of Decay”, deren Titel die Inhalte recht ausdrücklich auf den Punkt bringen. Deshalb ist uns der Themenschwerpunkt “Liebe” wohl nicht als erstes in den Sinn gekommen… Nach “Betrayals and Ecstasies”, bei dem bereits ein großer Schwerpunkt auf der Sprache lag, hast du Alben wie “Poets and Visionaries”, “The Soul of Romanticism” und “Legacy of Corruption” aufgenommen, bei denen die Worte in gesprochener Form vorgetragen statt gesungen wurden. Kamst du damals zu der Überzeugung, dass dies ein passenderer Umgang mit Dichtung war?
Zu “Poets and Visionaries” kam es nach und wegen einer Tour zusammen mit Lisa Gerrard. Sie lud mich ein, ihre Konzerte zu “The Mirror Pool” mit Spoken Words zu eröffnen. Ich war seit zehn Jahren nicht mehr auf einer Bühne gewesen und durch diese Erfahrung schloss sich der Kreis. Was offensichtlich zusammen kam, war die vergangene Erfahrung mit dem Textvortrag und die gegenwärtige Erfahrung durch meine Arbeit als Komponist.
Ich hörte ein Demo von OZYMANDIAS, als ich im Büro von WSD war und wollte es auf meinem Label De Nova Da Capo herausbringen. Die Gelegenheit ergab sich zwar nicht, aber Christophe und ich schrieben uns und entschieden uns für ein gemeinsames Album. Wir trafen uns nie, das Album war das Ergebnis einer rein digitalen Beziehung. Christophe war zum Teil sehr interessiert an den “Romantikern” und brachte mir die Gedichte näher.
“Legacy of Corruption” ist komplett eine Sammlung von Gedichten Charles Baudelaires, und ich bin nach wie vor begeistert von seinem Schreiben und dem herausfordernden Image, welches seine Persönlichkeit noch heute hat. Er war charismatisch und voll starker Emotionen. Er war in einem hohen Maße talentiert und fühlte dennoch das Bedürfnis mit seinem selbstreflektierten Image zu provozieren (unter anderem färbte er sich im Zuge dessen die Haare grün). Seine stärksten Provokationen jedoch finden sich in seinem Werk. Er forderte die moralische Heuchelei der damaligen Gesellschaft heraus, ein Beispiel dafür findet sich in “My Heart Laid Bare” aus seinen “Intimate Journals” – “All the bourgeois fools who incessantly utter the words immoral, immorality, morality in art, and other silly things, remind me of Louise Villedieu, a five franc prostitute who, when accompanying me one day to the Louvre – where she had never been – started blushing and covering her face, and pulling all the time at my sleeve, she asked before the immortal statues and paintings, how people could put such obscenities on public display.”
Auf “Betrayals and Ecstasies” schlüpfte ich in die Rolle eines Erzählers. Ich benutzte die Texte als Lyrics, um in einer persönlichen Weise die Emotionen zu transportieren, was durch die Melodik vor allem untermauert wurde. Ich würde sagen, dass Dichtung in gesprochener Form am besten klingt. Der Schwerpunkt liegt dann auf den Worten, was vielleicht herausfordender ist. Es ist sicher schwieriger aufzunehmen.
Auf ”Psalms from Invocation“ und ”Breath of Lazarus“ finden sich überarbeitete Fassungen älteren Materials, das sich in anderer Form auf vorherigen Alben findet. Danach hattest du dein Projekt beendet. Hattest du damals das Gefühl, alles gesagt zu haben, das du sagen wolltest? Wie stark beeinflusste der Konkurs von World Serpent deinen Entschluss, Elijah’s Mantle zu beenden?
“Psalms from Invocations” ist die Zusammenführung verstreuter Stücke. Zwei davon sind auf Compilations von WSD und De Nova Da Capo erschienen. Zwei weitere wurden wegen der Beteiligung des Countertenors Bruno Breathnach überarbeitet. Die T.S Eliot-Auszüge aus “Murder in the Cathedral” benutzte ich, um das Album zusammen zu kitten. Es nimmt die Idee von “Observations of an Atheist” um zwölf Jahre vorweg.
“Breath of Lazarus” (mit Bezug auf Auferstehung, Wiederbelebung nach Nichtgebrauch und Inaktivität, Restauration aus einer Mode heraus oder zum Zweck der Erinnerung) war ein durch WSD angeregtes Projekt. Ursprünglich sollte es auf Vinyl erscheinen, und WSD baten mich um Remixe. Da ich mittlerweile neueres Studio-Equipment hatte, war dies nicht ohne weiteres möglich oder auch erstrebenswert, aber da ich Vinyl und Remix als Anforderung hatte, benutzte ich das Gefühl von beidem, indem ich den Sound einer alten Schallplatte mit Elementen eines Dance-Remixes kombinierte. Wie gesagt war dies ein Wendepunkt innerhalb meiner kreativen Arbeit. Ich hatte ein neues Album geschrieben, in welchem Spoken Words und Gesang vorkamen, aber es wäre eine Wiederholung von etwas Vergangenem gewesen, und so etwas ist dann der Punkt, an dem Ermüdungserscheinungen eines Projektes deutlich werden. Ich arbeitete vier Jahre lang an einer Akademie in Dublin und begann meine Arbeit als Kurator in der Kunstszene. Im Zuge dessen begann mein verstärktes Interesse für die Werke anderer, und ich bekam eine neue und sehr anregende Ausbildung, was die visuellen Künste betraf. WSD wollten noch eine Retrospektive zum Jubiläum unserer zehnjährigen Zusammenarbeit herausbringen, beendeten allerdings vorher ihre Arbeit. Für Elijah’s Mantle stellte dies allerdings kein kreatives Problem dar, da ich bis letztes Jahr immer wieder bei Gelegenheit ins Studio ging, um diese Retrospektive zu überarbeiten bis zu dem Punkt, an dem ich zufrieden war.
Von Anfang an schien es bei dir eine Verknüpfung verschiedener Medien (Theater, Performance, Tanz, Musik) zu geben. “Observations of an Atheist” ist eine Art Filmsoundtrack. Wie wichtig ist das Transzendieren der Beschränkungen von Medien und Genres für dich?
Ich habe die Begrenzungen der Medien nie wirklich überschritten. Ich kam sehr oft nur bis zu einem bestimmten Punkt und scheiterte. Ich bin durch viele Kapitel meines Interesses an Kunst gegangen. Alben aufzunehmen hatte für mich nie nur mit Musik zu tun, aber das rührt vielleicht auch daher, dass ich eigentlich kein Musiker bin. Ich bin eine kreative Person, die unterschiedliche Medien benutzt, um Gegenstände zu erforschen. Der Anstoß mag durch den Verstand oder durch das Gefühl erfolgen, während des Erforschens nehme ich die Rolle eines Art Directors an, der die Bilder, Grafiken, Texte, Layouts und Sounds bearbeitet. “Observations of an Atheist” ist die vollendete Retrospektive, die ich, wie ich sagen muss, glücklicherweise 2003 noch nicht veröffentlicht hatte. Als ich den Sampler “These Wings Without Feathers” zusammenstellte, wurde gesagt, dass er nicht wie eine Compilation klänge, sondern wie ein Ganzes. Ich habe das Gefühl, dass das auch bei “Observations…” so ist, und vielleicht gibt ihm diese Ganzheit auch die Qualität eines Soundtracks. Ich muss betonen, dass ein Grund für das Erstellen der Elijah’s Mantle-Website außer dem Paypal-Link die Möglichkeit war, klarzustellen, dass die Arbeiten auf “Observations…” außer “Our Lady of the Flowers” neu aufgenommen wurden und/oder neu abgemischt und zuvor unveröffentlicht waren, deshalb also exklusiv auf dieser CD erhältlich sind.
Mit Bezug zum Titel deines letzten Albums, denkst du, dass es im aktuellen politischen Klima notwendig ist, sich mit einem klaren Statement als Atheist zu positionieren (ich denke da an die Kampagne mit den Antheisten-Bussen, die – trotz ihrer eher lauwarmen Slogans – heftig kritisiert wurde)?
Ich kenne diese Kampagne gar nicht und kann sie deshalb nicht kommentieren. Da das Album Texte vom Sakralen bis zum Profanen beinhaltet, ist der Titel wörtlich gemeint. Es ist die Beobachtung eines Atheisten, der die Welt des Heiligen und Profanen ohne Kritik und Aggression betrachtet aufgrund der Überzeugung, dass Gott (eine abstrakte Idee) im Unterschied zur menschlichen Schöpfung nicht existiert. Um Baudelaires “Intimate Journals” zu zitieren: ” God is the only being who, in order to rule, does not need even to exist.” Aus einem atheistischen Blickwinkel ist für die Menschen wichtig, was in diesem Leben passiert, auf diesem Planeten, wo wir die Verantwortung haben. Vom Atheismus her sehe ich eine Verknüpfung zum Humanismus, und ich möchte aus einem Lexikonartikel zum Humanismus zitieren: “1. an outlook or system of thought concerned with human rather than divine or supernatural matters, 2. a belief or outlook emphasizing common human needs and seeking solely rational ways of solving human problems and concerned with mankind as responsible and progressive intellectual beings.”
(M.G. & U.S., Bildmaterial von John Haynes, Daniel Faoro, Steven McLaughlin)