Mitte der 80er rief ein Künstler namens Sandy Viktor Nijs, der sich Magthea nennt, ein Musikprojekt ins Leben, das für Jahre die Vorstellung dessen mitprägen sollte, was man gängigerweise unter dem Genre “Ritual Industrial” versteht: die HYBRYDS. Weitgehend unerkannt von den Augen und Ohren der Musikethnologen impliziert ihr Sound die Vorstellung einer archaischer Ritualistik, transponiert in ein post-industrielles Setting. Auch nach rund fünfundzwanzig Jahren verfolgen die Hybryds ihre Richtung weiter, soeben erschien ihr neuestes Album.
Die Engführung archaischer Perkussion mit futuristischen Settings hatte für den Belgier mit seinem überschaubaren, aber wechselnden Bandgefüge seit jeher seinen Reiz, was erstmals seit “The Ritual of the Rave” offenkundig wurde. Doch konträr zum Endlospulsieren repetitiver Tamtams zeigt das aktuelle Werk “Urban Rituals” die Rhytmen in ihrer derangierten Form und macht die zersetzte Struktur zum zentralen Element der entworfenen (Gegen-)Welt. Geschickt zwischen reizvoller Utopie und reizüberladener Dystopie angesiedelt inszenieren Magthea, seine neue Kreativpartnerin Madeline Arndt und der Drummer mit dem allzu originellen Pseudonym TraumaSutra (wo bleibt der numerische Appendix?) vor allem eine Spähre voller Überraschungen.
Zu den markantesten Bestandteilen des urbanen Rituals zählen erneut Perkussionen alles Art. Bongoartiges und Metallkrachen wechseln sich ab mit Freejazzdrumming, wie man es auch bei einigen neueren MERZBOW-Stücken findet – alles schön derangiert, was Songansätzen und allzu harmonischen Momenten vorbeugt. Das heißt fast immer, denn im Verlauf wird “Stay Away From Me” schon mal zum perfekten Triphop-Schlager in der Manier nach dem Bristol-Hype. Ansonsten werden jedoch wenig Songs gesungen, allerdings einige Geschichten erzählt: Es begegnen einem Figuren aus einem mehrere Jahrhunderte in die Zukunft verlegten dystopischen Film Noir, Räume öffnen sich, aus denen coole Bässe und bizarres Blubbern hervor dringen. Eine Killerin auf High Heels stolziert durch “Traffic Waves”, zeigt ihre verführerische Seite in gehauchtem Stimmeinsatz und verschwindet im Nichts. Für einen Moment findet man sich in der beinahe perfekten Welt, beschallt durch ein fast ungestörtes Solo auf dem Tenorsaxophon. Dann wieder Momente, die fast schlichter EBM sind, doch alles (vor allem sicher auf ordentlichen Boxen) ein Fest für die Ohren.
Bei der Klangqualität angekommen könnte man nun eine euphorische Schlussbetrachtung anstimmen und “Urban Rituals” als beste derangierte technophile Ritualmusik für Soundfetischisten anpreisen. Meines Erachtens liegt aber gerade darin ein Problempunkt. Ähnlich wie die visuelle Aufmachung des Albums ist nämlich die Soundgestalt allerorts ein Tick zu sehr auf Hochglanz poliert, was die Archaik der Improvisationen doch merklich mindert. Der oben angesprochene Film Noir erscheint letztlich als Blockbuster mit vielen Spezialeffekten, und man rechnet von Zeit zu Zeit geradezu mit der obligatorischen Werbeunterbrechung. Immerhin, so könnte man einräumen, ist auch dies “hybrid”.
Magthea und Kollegen wirken nicht, als wüssten sie nicht was sie wollen, und somit erscheint “Urban Rituals” durchaus als runde Sache. Wer allerdings mit High End nichts anfangen kann und in rauem Dilletantismus mehr Schönheit und Wahrheit findet, der sollte sich Zeit für einen Probedurchlauf nehmen. (U.S.)