ISOBEL CAMPBELL & MARK LANEGAN: Hawk

Isobel Campbell und Mark Lanegan betreiben ein kleines Museum, einen Showroom für verwegene Tagträume amerikanischer Prägung. Bei solchen Stichworten muss einem zwangsläufig das vielbeschworene „andere“ Amerika in den Sinn kommen. Man sollte die beiden aber nicht allzu voreilig in den unpopulären und verschrobenen Gefilden des Kontinents verorten, bloß weil sie einen folkig-angebluesten Songwriterton anstimmen und eine stilvolle Vintage-Patina mit hohem Echtheitsfaktor zu ihrem Markenzeichen erklärt haben.

In Wirklichkeit gelingt dem ungleichen und gerade deshalb so passgenauen Duo, der etherischen Folkelfe und dem raubeinigen Boyscout, nämlich eine verblüffende Gratwanderung – ihre Songs überblenden fast durchgehend eine vom ungekünstelten Freiheitsdrang des Outlaws durchwirkte Sphäre eigenwilliger Ursprünglichkeit mit einer Welt hübscher Verliebter und rasanter Abenteuer aus populären Roadmovies. Harry Smith aus dem Chelsea Hotel und Arlo Guthrie treffen auf Bonny und Clyde und all ihre uncharismatischen Nacheiferer, auf den „teenage rebel rulez, ok!“ skandierenden James Dean-Verschnitt, der nicht nur Stammvater aller punkigen Querköpfe ist, sondern auch aller vielleicht ebenso ungezogenen Kunden von Burger King und Cineplex. Muss man das den beiden zum Vorwurf machen? Wenn man ein Freund nonkonformer Antithesen ist, dann schon, Freunden nonkonformer Antithesen entgeht aber für gewöhnlich so mancher Zauber des Richtigen im Falschen, und wer will schon die Klasse leugnen, die sich etwa in den Schlagern von Nancy Sinatra und Lee Hazlewood, mit denen die beiden gar zu gern verglichen werden, bis in die hochdotiertesten Etagen des Showbiz am Leben erhalten hat. Die Frage allerdings, wie viele Fortsetzungen das Konzept der auf Bekömmlichkeit getrimmten Americana-Songs inklusive wohlkalkulierter Ecken und Kanten verträgt, muss erlaubt sein. Ebenso die Frage, ob das Verhältnis zwischen Bekömmlichem und Kantigem nicht doch mittlerweile etwas stark zu Gunsten des ersteren aus der Balance geraten ist.

Die beiden Vorgängeralben hatten ja durchaus Ungewöhnliches zu bieten. Mordballaden wie „Revolver“, Tiefschwarzes wie „The Raven“, Stimmen aus der Anderswelt wie „The False Husband“ und Archaisches wie „Deus Ibi Est“. Da wirkten der traditionelle Blues von „Black Burner“, die Ohrwurmmelodie von „Saturday’s Gone“ oder das Herzergreifende bei „Who Built the Road“ wie Momente des Aufatmens, die in diesem Kontrast schnell ihren ganz eigenen Charme entfalteten. Auf „Hawk“ finden sich solche Momente in abgemilderter Form wieder, und lassen sich nur schwer gegen den gefälligen Grundtenor der Platte aufwiegen. Aber die beiden schienen immerhin ein ganz gutes Gespür für die Sachlage gehabt zu haben, denn die etwas markanteren Songs finden sich fast durchweg im ersten Drittel der Platte. Nach einem gespenstisch-verträumten Intro ist zunächst 60s-Beat und Marks dunkel-verrauchte Stimme angesagt, bei der man sich immer wieder fragt, woher die bei diesem Jungspund eigentlich kommt: „You Won’t Let Me Down Again“ ist definitiv was für Raubeine, und leitet über in den „Snake Song“ – ein Townes van Zandt-Cover, das ich als persönliches Highlight des Albums auszeichnen würde. Mit seiner evokativen Melodie und seinem leicht aggressiven Banjoanschlag, bei dem durchweg etwas Mysteriöses mitschwingt, hätte der Folksong auch gut auf das Debüt gepasst. Umso schöner, dass das auch heute noch geht.

Derart eingestimmt, sieht man natürlich über die Ähnlichkeit zwischen „Come Undone“ und einem sehr bekannten Soulklassiker hinweg, mit dem bereits Rasierartikel beworben wurden. Streichereinsätze und Rhythmus erzeugen eine „beschwingte Melanchlolie“, die nur Musik mit afroamerikanischen Zutaten zu erzeugen weiß. Wenn dann noch ein weiterer Song „Cool Water“ heißt, wundert man sich am Ende, warum die beiden eigentlich noch nicht von Levis entdeckt worden sind. Im weiteren Verlauf wird es bisweilen arg nett: Songs wie „To Hell & Back Again“ mit Isobels hauchzarter Stimme und in eine Streicherschicht gepackte Zupfgitarre wirken ehrlich, rühren an Abgründigem und sind doch eher anheimelnd. Im Grunde netter Retropop. Ähnliches lässt sich von „Eyes of Green“ sagen, bei dem das Rezept „böser Bube, nettes Mädchen“ stimmlich perfekt gelingt. Bei der Akkordeonmelodie lässt sich schunkeln und von grünen Inseln träumen, und nach knapp zwei Minuten ist der Spaß auch schon vorbei.

Nun, ein paar raue Momente folgen, zum Beispiel wenn bei „Get Behind Me“ in Rockabilly-Manier aufgeräumt wird, oder wenn beim krachigen Titelsong Tom Waits beschworen wird, und beim Durchhören stelle ich fest, dass ich die Nase immer noch nicht voll habe. Ob es auch ein weiteres mal klappen wird? Falls nicht, Mark Lanegan ist ja bekanntlich in ein paar Projekte ohne jeglichen Evergreen-Faktor involviert. Isobel scheint da in den letzten Jahren weniger motiviert, aber wenn man bedenkt, wie sehr sie hier beim Songwriting die Hosen an hatte, dann sollte auch da noch einiges zu erwarten sein. (U.S.)