In dem vor einigen Monaten geführten Interview mit Kal Cahoone konnte man sich bereits ein Bild davon machen, wie umtriebig die aus Denver stammende Sängerin schon seit Jahren ist. Das Debütalbum ihrer derzeit auf Eis gelegten Band TARANTELLA kann man als ihren bisher größten Erfolg ansehen, zugleich auch als ein Werk, dass ihren Hauptmotiven den adäquatesten Ausdruck verleiht. Spanische und englische Vocals, Emotionalität und Coolness, Country und Worldmusic, Temperament und Melancholie – all diese Dinge reichen sich die Klinken in die Hand, Kal und ihr Kollege John Rumley scheinen wirklich am ehesten zwischen all diesen Orten zuhause zu sein. Vor kurzem ist Kals Solo-Debüt in Form einer fünf Songs umfassenden EP erschienen.
Natürlich sollte man den Vergleich nicht überstrapazieren, denn um eines vorweg zu nehmen: “Build The Fire” ist keineswegs ein Ableger, sondern ein genuin eigenständiges Werk, in dem man eher einen Auftakt sehen sollte. Dennoch: Was hat sich bisher geändert? Tarantellas Album wurde einmal als Soundtrack zu einem imaginären David Lynch-Western bezeichnet. Will man in diesem Bildbereich bleiben, so kann man feststellen, dass Schauplatz und Gangart des fiktiven Streifens sich merklich verschoben haben. Was vor Jahren unter den berittenen Gauchos der argentinischen Pampa begann und einige Schauplatzwechsel in den Südwesten der USA einblendete, spielt sich mittlerweile in einer verwunschenen Straße irgendeines urbanen Niemandslandes ab, dessen halbverfallene Fassaden und zerwucherte kleine Vorgärten sich etwas Zeitloses und Würdevolles erhalten haben, und die sich (trotz einer ausschließlich in Englisch singenden Kal) kaum eindeutig der angloamerikanischen oder doch eher der hispansichen Welt zuordnen lassen. Kals Solosongs fehlt das Cowboyhafte, Dramatische – der ausgelassene Rodeo ist einer Art Kunstlied gewichen, das jedoch all die bekannten Dinge wie Tragik, Lebensfreude und Melodrama weiterhin im Kleinen aufscheinen lässt, auch ohne Banjo, Maultrommel und Akkordeon. Weniger „weird“ als die Stücke ihrer Band ist der Titelsong kontemplativ und ernst, die Gangart ist durchweg eine ruhigere, der Rhythmus der Schnittfolgen weniger schnell. Vielleicht sind die cineastischen Metaphern zu kitschig, um der ernsthaften und ehrlichen Musik Cahoones gerecht zu werden. Auf der anderen Seite ist dies jedoch Musik, die bewusst mit so etwas zu spielen scheint, ohne dass das Spielerische in irgend einer Form mit Ironie zu tun haben muss. Der Walzertakt und die dezenten Streicher bei „Boomerang“, das Theremin beim Titelstück sind Elemente, die bewusst „Kolorit“ ins Klangbild hineinbringen, und der unfertig wirkende Begriff ist hier ganz bewusst gewählt, denn welcher Art der Anstrich eigentlich ist, vermag man schwer zu sagen. Dämmerig, sepiafarben, mitunter schlicht nostalgisch? Gerne, wenn es weiterhilft, konkreter mag die Musik da allerdings nicht werden, die Konturen ihrer Klassifizierbarkeit verschwimmen ebenso wie das Porträt der Sängerin auf dem schön gestalteten Cover. So ist es auch in erster Linie der Kontext, in dem man die Unterschiede zu Sängerinnen wie Siouxsie Sioux oder PJ Harvey aufspüren muss, mit denen Kals emotionale Stimmarbeit, die bisweilen heißere Entrücktheit und das leicht gebrochene Timbre, das auch vor gelegentlichen Purzelbäumen nicht halt macht, so gerne verglichen wird.
Trotz dieser Qualitäten als verbindendem Element ist „Build the Fire“ nichts, was man als Werk aus einem Guss bezeichnen darf. Die fünf Songs sind in zwei unterschiedlichen Sessions in verschiedenen Studios entstanden, was sich auch deutlich im Klangbild zeigt. Die ersten beiden Stücke, bei denen Randall Frazier vom Helmet Room-Label selbst an den Reglern saß, sind sauberer im Klang, wirken wie mit einer eleganten, beinahe durchsichtigen Glasur überzogen, welche die Intimität wahrt und den besten Rahmen abgibt für Kals schmachtenden und passagenweise leicht tremolierenden Gesang. Um Gefühle des Zuhause- und Geborgenseins drehen sich die Texte, aber auch um Sehnsucht und Begehren. Dies alles geschieht jedoch mit einer Ernsthaftigkeit und Tiefe, die selten ins „Mädchenhafte“ abdriftet, auch wenn das bei einem Song wie „Boomerang“, der in populärer Metaphorik die Sicherheit des Zurückkehrens besingt, gar nicht mal geschadet hätte. Sicher hat auch der dominante Klang des E-Pianos seinen Anteil daran, dass der erste Teil insgesamt einen „elaborierteren“ Eindruck macht, die von Elin Palmer (MUNLY & THE LEE LEWIS HARLOTS) und Julie Davis beigesteuerten Streicherparts untermauern dies. Die restlichen drei Stücke entstanden unter der Hand von Bob Ferbrache in dessen Absinthe Studios – auch ihm, der irgendwann sicher einmal auf 2010 zurückblicken wird als eines seiner produktivsten und kreativsten Jahre, gebührt ein großes Lob. Die drei Stücke sind von Kals Gitarrenspiel geprägt und insgesamt folkiger und erdiger. Auch hier hat jeder Song seinen eigenen Charakter, vom wehmütigen Shoegazersong „Winter’s Womb“ über das mit Electronica angereicherte„Ghosts of Herold“ bis zum in seiner melodischen Schlichtheit rührenden Folksong „That Little Boy“.
Die ungebrochene Ernsthaftigkeit, mit der die Emotionen weder sentimental noch im mindesten affektiert zum Ausdruck kommen, ist es sicher, die „Build the Fire“ als Ganzes zusammenhält. Sie vermag die Platte auch von jedem poppigen Singer-Songwritertum abzugrenzen, welches einige Feuilletonschreiber vielleicht zur Charakterisierung aus der Kiste holen könnten. „Built the Fire“ ist keineswegs eine Platte, die man mal so nebenbei im Hintergrund laufen lässt, während man sich am Küchentisch mit dem spontanen Besuch unterhält. Auf Youtube gibt es bereits weiteres Material von Kal zusehen, das wieder etwas folkloristischer ausgefallen ist. Vielleicht hebt sie sich das ja für das bald erscheinende Album auf. (U.S.)