RUIN: Half Skull

Martin Eder ist in der Kunstszene kein Unbekannter. Seine Bilder voll bonbonfarbener Kätzchen und lasziver Frauenkörper spielen mit provozierendem Kitsch und haben ihm einen Platz unter den bekanntesten deutschen Malern gesichert. Er selbst ist hin und wieder als Model des Designers Frank Leder zu sehen, dessen preußischer Stil zwischen Androgynität und der Derbheit ungeschlachter Fleischergesellen ebenso ernsthaft selbstironisch ist wie die Gemälde Eders.

Eder ist auch als Musiker aktiv, seine Band stutzte gerade ihren Namen RICHARD RUIN ET LES DEMONIAQUES auf das etwas markantere RUIN zurecht und schickt sich mit dem live eingespielten Album „Half Skull“ an, Eders leidenschaftliche Mission zu erfüllen: Quer durch die unterschiedlichsten Musikgenres eine möglichst extreme und authentische Klangwelt zu erschaffen. Was immer man auch von dem Attribut „authentisch“ halten mag – wer schon immer einmal wissen wollte, wie wohl eine von ANDREW LILES durch den Fleischwolf gedrehte AETHENOR-Platte klingen könnte, der ist bei „Half Skull“ gerade richtig. Ruin arbeiten (hochkarätig unterstützt von Kollegen wie Jochen Arbeit) mit einer kaleidoskopischen Mischung aus dunklen, pathetischen, krachigen, eruptiven Versatzstücken, durchweg zerhackt und mit treffsicherer Spontaneität zu einer beeindruckenden Geisterbahnfahrt kollagiert, der man den ironischen Spieltrieb im Umgang mit Kitsch und Camp ebenso anmerkt wie einen Sinn für hintergründige, subtile Effekte. In Besprechungen wurde immer wieder auf die Ähnlichkeit zu Musikern wie SUNN O))) oder BOHREN & DER CLUB OF GORE hingewiesen, auch auf Elemente des Black Metal und der Musique concréte. Das passt zwar hinsichtlich der hintergründigen Düsternis, nur brillieren solche Künstler (von der Musique concrète freilich abgesehen) meist mit so etwas wie Kohärenz und Reduktionismus. Die Musik Ruins dagegen will heilloses Durcheinander sein.

Vom Black Metal findet sich hier sowohl die Schwere als auch der rauschende Klang, den man mittlerweile ebensosehr mit amerikanischen wie mit „nordischen“ Genrevertretern assoziiert. Dabei orientiert man sich durchweg eher an der dronigen Seite des Genres. Dröhnung erfolgt jedoch nicht nur mittels elektrischer Verzerrung. Insgesamt sind es sogar eher die ungewöhnlich gespielten und mit verschiedenen Effekten bearbeiteten Streicher und Blasinstrumente, die das allgegenwärtige Brummen dominieren. Osteuropäisch anmutende Melodien von ausgesuchter Lieblichkeit klingen auf und steigern sich doch schnell zu einer verstörenden Kakophonie. Derangiertes Drumming wechselt sich ab mit erdenden Celloklängen und klagenden Violinen, die geradewegs aus einem italienischen Western-Score stammen könnten.

In Ruins Musik geht es allerdings viel weniger um Spielereien und schon gar nicht um verkopftes Streben nach Originalität. Atmosphäre ist wohl der schlichteste Ausdruck, mit dem man die Intention solcher Musik fassen kann. Eine Atmosphäre, die mal offen beklemmend, mal von trügerischer, infantiler Heimeligkeit ist. Und wieder ist der Rezensent beim europäischen Genrekino angelangt: Plötzliche Schritte, das Knarren der Tür, kurz bevor der Mann mit dem schwarzen Handschuh erscheint und das Messer erhebt, jener verzweifelte masochistische Killer, der in der psychoanalytischen Logik des Giallo morden muss, um sein Trauma zu verarbeiten. Ennio Morricones schockierend süßliches Kinderlied, das den perfiden Kindermord in Aldo Lados “The Child” untermalte, die von Spieluhren und naiven “lalas” inszenierten Erinnerungssequenzen in Argentos “Profondo Rosso” oder in Fulcis “Lizard on a Woman’s Skin” – all dies findet sich auch unter der Oberfläche von Ruins unberechenbarer Musik.

Extrem ist Eders Musik in jedem Fall. Wenn sie auch authentisch ist, dann auf eine Art, die das Echte im originellen Stilzitat und in der überraschenden Kombination sucht. So heterogen wie der Inhalt ist auch das visuelle Drumherum, den die CD-Hülle ziert eine dicke schwarze Kruste aus Materialien wie Altöl, Wodka, Fett, Blut, Seife, Tabak, Metall und Knochen. Eders Leidenschaft für Extreme, so könnte man schließen, macht auch vor einem Instrument wie dem Holzhammer nicht halt. (U.S.)

Format: CD

Vertrieb: Viva Hate/Cargo Records