DAIKICHI AMANO: Human Nature (Buch)

Ich bin weder ein großer Kenner der japanischen Kunst, noch wusste ich etwas über den 1973 geborenen Fotografen und Filmemacher Daikichi Amano, bis ich vor kurzem auf seinen Bildband “Human Nature” gestoßen bin. Darin werden weibliche Akte zusammen mit Meerestieren und Insekten zu Tableaus von seltsam morbider Erotik. Japan- und Erotica-Forscherin Agnès Giard stellt die Bilder in ihrem Vorwort nicht nur in die Tradition japanischer Erotikdarstellungen, sie zieht auch Vergleiche zu barocken Stilleben und Werken des Surrealismus. Rockstar Marylin Manson, ein Fan des Fotografen, beschrieb seine Motive etwas plakativ als Kombination aus Jean Cocteau und Jacques Cousteau.

Human Nature scheint drei große Themen zu behandeln: Die Metamorphose, die Lust und das Abjekt. Letzteres ist für viele Betrachter sicher das offensichtlichste. In “Powers of Horror” beschrieb die psychoanalytische Kulturwissenschaftlerin Julia Kristeva das Abjekt als dasjenige Element des Körpers, das dem ästhetischen Selbstbild des Menschen am fremdesten ist und deshalb zwangläufig unter Ekelaffekten verworfen wird. Allem voran Innereien, Exkremente und überhaupt alle Körperflüssigkeiten, ferner Unebenheiten auf der Haut, Pickel, Warzen, Wunden. All diese Dinge wecken im unterschiedlichen Maß Abscheu. Der Logik der Psychoanalyse entsprechend projiziert das Subjekt diese Ekelgefühle nun auf allerlei Dinge der äußeren Welt: alles Schleimige, Fäulnis, Schmutz, sowie Tiere und Pflanzen, die sich mit Schleim und Schmutz assoziieren lassen. Kurz gesagt alles, was den Menschen an das erinnert, was sich unter der schönen Fassade der eigenen Haut verbirgt. Oder an das, was nur in den regelmäßigen kleinen Ausnahmezuständen des Alltags Raum hat, sei mit dem Raum im buchstäblichen Sinne nun die Toilette oder das Schlafzimmer gemeint.

Natürlich ist diese Theorie pauschalisierend, zudem klammert sie die Vorstellung, dass Ekel und Scham auch als unbewusste biologische Schutzmechanismen gegen gesundheitliche Schäden fungieren können, mehr oder weniger aus. Sie hat sich aber als sehr wirksam erwiesen, wenn es darum ging, solche Dinge in der Kunst zu beschreiben, und die Zahl ihrer Darstellungen ist groß. Es gibt eine indirekte Thematisierung des Abjekten durch Aussparung in der klassischen Ästhetik. Was so glatt und perfekt ist wie die Winkelmann’sche Vision der antiken Statue, ist in Form der penibelsten Vermeidung immer auch auf das Abjekt bezogen. Doch jenseits von edler Einfalt und stiller Größe gab es immer Wege, dieses Tabu zu durchbrechen, gerade in der Moderne sind diese zu brisanten Themen herangereift. Zum einen gab es die Problematisierung des idealen Körpers durch krasses Aufzeigen seiner Kehrseite, vom Naturalismus über Benn und den von Kristeva ausführlich analysierten Celine bis zum frühen Thomas Bernhard war der mal mehr mal weniger reißerisch weiter gegebene Blick hinter Fassaden immer populär, drang bis in die Niederungen des Boulevards vor und profitierte von der Schaulust des Kleinbürgers, der erneut bestätigt sehen will, dass die Welt des Anderen ein wahres Gesicht hat, und dass es, wie könnte es auch anders sein, ebenso schmutzig und ekelhaft ist, wie das eigene. Die Möglichkeit zur Ummünzung auf Nichtkörperliches gibt es gratis dazu.

Von diesem verspießert-gehässigen Suhlen im Schmutz war der nüchterne Arzt Benn natürlich weit entfernt, doch es war Baudelaires berühmtes Schlagwort von der “Ästhetik des Hässlichen”, das einen völlig anderen Blick ins Geschehen brachte – einen Blick, dem es darum geht, dem Abjekt selbst eine Lustkomponente zu gewähren: Das Feuchte, Glitschige, Zerfließliche mag idealistische Körpervorstellungen entmystifizieren, doch es ist mehr als bloß eine Enttäuschung – es ist die vitale Feier des Lebens und pure Lust. In dieser Version wird auch das vermeintliche Ekeltier zum positiv besetzten Symbol.

Amanos Werk zählt zu denjenigen Arbeiten, bei denen das Abjekt nicht nur gefeiert, sondern auch mit einem im weitesten Sinne klassischen Schönheitsideal versöhnt wird. Tintenfische und Aale, noch immer reichlich bedeckt mit ihrem natürlichen Element, tummeln sich auf und in den Körpern junger Modelle, deren Gesichtsausdruck auf einer Skala zwischen verspielter Lust, cooler Indifferenz und totaler Ekstase anzuordnen ist – vielleicht so etwas wie die Sasha Grey-Attitüde auf japanisch, um es mit dem Holzhammer zu formulieren. Giard sieht etwas Engelsgleiches in ihren Zügen, eine Formulierung, die ich so nicht wählen würde, aber es könnte auf das ebenmäßig Schöne gemünzt sein, das den Bildern mehr als nur den Hauch einer klassischen Note verleiht. Im Kontext der Sujets bewirkt das überraschenderweise eher Harmonie, als dass es kontrastierend wäre. Auf anderen Bildern sind es Schlangen und Würmer, Larven und Insekten, oder eine Kröte – man denkt als Betrachter vielleicht an die psychoaktive Wirkung solcher Tiere, wenn sie mit der abjekten Seite des Menschen, seiner Schleimhaut, in Berührung kommen.

Kleine Schnittstellen wie diese betonen das Transitorische von Amanos Motiven umso mehr. Denn trotz ihres tableauartigen Stillebencharakters geht es in den Bildern doch primär um Übergänge, Umbrüche, Verwandlungen: Um den schönen Menschen, der so sehr in der feucht-organischen Natur aufgeht, dass er zu einem untrennbaren Teil von ihr wird, als ein rückverwandeltes Stück Kultur. Das gilt erst recht für diejenigen Bilder, bei denen der Modelkörper derart von glitschigen Meerestieren bedeckt ist, dass sich das Körperinnere scheinbar wie bei einem seitenverkehrten Kleidungsstück nach außen kehrt und die vormalige Fassade stattdessen wie eine kleine übersehene Unregelmäßigkeit die letzte Bastion des Anthropomorphen und der symbolischen Ordnung verteidingt – in einer heterogenen Welt, in dem der Mensch immer mehr eins mit seinem Gedärm wird.

Der Konnex Metamorphose und Meeresfauna ließ nicht nur mich an Lovecraft denken, der (vielleicht am eindringlichsten und spannendsten in “Shadow Over Innsmouth”) die genetisch bedingte Metamorphose von Menschen zu “niederen” maritimen Kreaturen literarisch inszenierte. Doch die Unterschiede könnten größer nicht sein. Lovecraft beackerte ein Gebiet, auf dem Vermeidung und paranoid eingefärbte Aufdeckung eines unsicheren Menschenbildes aufeinanderstoßen, die Größe seiner Erzählkunst speißt sich primär aus Angst. Amanos Bilder jedoch sind eine Feier des Abjekts, bei der das menschliche Subjekt lustvoll in seine Fischwerdung einstimmt – wobei die Lust so unbefangen wirkt, dass man sie kaum für Schmerzlust halten mag. Die Mimik der Modelle würde jedem destopischen Subtext ebenso zuwiderlaufen wie die pralle Farbenpracht einiger Fotografien und die zum Teil fast kitschige Ornamentik der Tierarrangements, vor allem bei den Bildern, in denen Insekten den Naturpart übernehmen. All dies wiegt meines Erachtens schwerer als alles Provokative, das den Bildern je nach Rezeptionsgewohnheit zwangsläufig anhaftet.

In einigen Forendiskussionen wurde die Provokation als Hauptmotor von Amanos Bildern angeführt, doch eine solche Deutung sollte man überdenken: Zu selbstverständlich und kaum demonstrativ erscheinen seine Stillleben, zu sehr hat man als Betrachter den Eindruck, dass es bei aller Lust an der Überscheitung doch als erstes um die Huldigung der Schönheit geht.

(U.S.)

Verlag: Bongout Edition