USHER/WEHWALT/ZREEN TOYZ: Le Chrysaor Paraphile

Im buchstäblichen Sinne bedeutet Paraphilie die Liebe zum Abseitigen in jeder Form. Schon in dem Sinne haben die drei französischen Elektroakustiker Wehwalt, Usher und Zreen Toyz den passenden Sound gefunden, denn „Le Crysaor Paraphile“, ein Gebilde zwischen Album und Compilation, bietet eine satte Folge von verdichteten Klängen, die zu einer trügerischen Schönheit manipuliert wurden. Die Schrägheit des Ganzen wird jedoch nur an der Oberfläche kaschiert. Die Kulturgeschichte wollte es so, dass „paraphil“ eine pathologische Bedeutung bekam und landläufig meist synonym zu pervers gebraucht wurde – in der Hinsicht jedoch hält sich die Musik vornehm zurück und begnügt sich mit Andeutungen, so wie auch offen bleibt, was es in dem Zusammenhang mit der antiken Sagengestalt des Chrysaor auf sich hat.

Der Auftakt “La Passion Des Etoffes” ist an der Oberfläche kerniger, aber durchaus angenehm goutierbarer Harsch Ambient, nur ein merkwürdiges Sample stört das immer noch recht harmonische Klangbild. Erst mit der Zeit macht sich das Abseitige deutlicher bemerkbar in Form eines bösartig verschlungenen Soundchaos, das sich mit komprimierter Wucht an die Oberfläche presst. Dronesounds bringen in der zweiten Hälfte eine Harmonie zurück, die trügerisch bleibt und in die subtilen Feldaufnahmen des etwas weniger infernalischen “Goȗt Des Chaînes” überleitet. Mit “Obsédante Perversion du Divin Marquis” gelingt Zreen Toyz eine zerrissen barocke Atmosphäre: Ein wirres Cembalo, zwitschernde Vögel, lüsternes Stöhnen und lärmiger Klangschutt huldigen de Sade, dem berühmten Enfant Terrible der Aufklärung, der alle Tabubrecher der Moderne wie nette Waisenknaben erscheinen ließ und wie niemand sonst die kreative Schäbigkeit auf den Punkt zu bringen verstand, zu der der Mensch imstande ist – in der Pose des lüsternen Libertins, die er wie selbstverständlich mit der des wildgewordenen Kleinbürgers verband. Ein weiteres Stück aus seiner Feder entführt uns in ein Labyrinth des Denkens: Hintergründig, verhalten und doch keineswegs ereignislos.

Auch die zweite Hälfte des Albums bietet kratzige, dröhnende Sounds in den unterschiedlichsten Farben. Lallende Frauenstimmen erinnern an wahnsinnige Rituale aus einem verschollenen Jess Franco-Film, begleitet von bedrohlich-subtilen Klangwellen. Samples undefinierbaren Ursprungs, aus denen sich jazzige Bläser herauskristallisieren, treffen auf Passagen, in denen sich die Musik zu purem Noise verdichtet – bis am Ende alles in eine durch den surrealen Fleischwolf gedrehte Easy Listening-Melodie kulminiert. Alles in allem gleicht die Musik der drei Franzosen der Tür zu einem merkwürdigen Ort, an dem man nie so recht weiß, ob man um sein Leben bangen, oder sich einfach der Faszination des subtilen Chaos hingeben soll.

Label: Inner Cinema