Die Nachricht von der Wiederbelebung Dead Can Dance’ erreichte viele Fans sicher zu einem Zeitpunkt, als man sich längst damit abgefunden hatte, einer mittlerweile klassisch gewordenen Formation aus einer anderen Zeit die Treue zu halten – einer Band, die sich bestenfalls alle Schaltjahre für retrospektive Konzerttourneen reformiert. Tatsächlich planten Lisa Gerard und Brendan Perry schon vor ein paar Jahren eine Reunion, die nach einer ausgiebigen Tour dann doch nicht stattfand, da die Musiker sich konzeptuell wohl nicht einig wurden. Nach zahlreichen Kollaborationen und Soloarbeiten, in denen sich die beiden Hauptakteure als Filmmusiker und als Singer Songwriter bewähren konnten, steht nun nach 15 Jahren endlich der Nachfolger ihres Albums “Spiritchaser” in den Regalen.
Wie sehr ist der Idee nun zu trauen? “Spiritchaser” stieß seinerzeit auf gemischte Reaktionen – nicht nur, weil es sich in seiner musikalischen Substanz gegen die in den Jahren zuvor geschaffenen Werke wie “Into The Labyrinth” und den Konzertmitschnitt “Towards The Within” (für Fans beinahe ein konzeptuelles Manifest der Band) nur mäßig behaupten konnte. Es hatte in den Augen vieler auch eine zu starke Schlagseite auf der tribalistisch-archaischen Seite des Bandkosmos, zuungunsten der eher sakralen, „abendländischen“ Seite ihrer Musik. Früheren Werken wie “Within the Realm of a Dying Sun” nachtrauernd suchten einige ihren Ersatz bei Gruppen wie Arcana, welche die Gothic- und Fantasy-Aspekte betonten, die sich im Werk Gerards und Perrys stets eher zufällig fanden. Eher übersehen wurden Künstler wie Ronan Quays, deren Weg entlang der Fußstapfen der Australier bei allem Nacheifern zumindest weniger trivial vonstatten ging. Dead Can Dance könnten nun eine ganze Reihe von Fehlern begehen. Sie könnten wieder eine ihrer beiden Hauptseiten betonen, auch könnten sie bei dem Versuch, an den letzten Stand der Dinge anzuknüpfen, etwas schaffen, dass zu sehr in den 90ern verhaftet ist. Die Vorstellung, dass das Gegenteil der Fall ist, dass die Musiker nach anderthalb Jahrzehnten mit einem derart großen Bruch aufwarten, dass man nur noch schwer den Bezug zu früher erkennt, ist fast noch naheliegender. Das Schöne an “Anastasis” ist, dass sich all diese Bedenken schon in den ersten Minuten als unberechtigt erweisen.
Inhaltlich – d.h. sowohl lyrisch als auch bezogen auf die musikalische Attitüde – sollte „Anastasis“ nichts für diejenigen sein, die sich unabhängig ihres genauen weltanschaulichen Standpunktes kein positiv konnotiertes Außerhalb eines von Ratio und Zivilisationsaspekten geprägten Raumes vorstellen können, denn von einer solchen Warte aus betrachtet muss vieles an dem Album regressiv erscheinen. Die spirituell grundierte Beschwörung eines maritimen Lebensursprungs, gar das Begehren, zu diesem Ursprung, zu „our ancestral home“ zurück zu kehren, gibt dem epischen Opener „Children of the Sun“ eine idyllische Note, die viele dank des „guten Sounds“ vermutlich nur als Gratiseskapismus für die Feierabendmuse zu konsumieren wissen. C.G. Jung-Leser indes könnten sich mit Ethnologiebegeisterten darauf einigen, dass der Song mit seinen feierlichen Bläsern und den fast jazzigen Snaredrums eine ernsthaftere Aufbruchstimmung verbreitet, auch wenn man sich an einigen Textstellen etwas weniger Hippiepathos gewünscht hätte – schließlich wurde die „vorübergehende Rückkehr ins Formlose, der eine neue Schöpfung, ein neues Leben oder ein ‘neuer Mensch’ folgen“ (Eliade) bereits auf das Niveau eines „Klümpchen[s] Schleim in einem warmen Moor“ herunter gebrochen und dabei nicht weniger eindringlich beschworen.
Bei „Anastasis“ ist vieles in Balance: Die männlichen und weiblichen Gesangsbeiträge, die an ausgewählten Stellen gekonnt in einander verwoben werden. Die Tendenz zum Song und der Hang zur reinen Lautpoesie. Die klassischen und die weltmusikalischen Bauformen. Letztlich auch vertrautes und neues. Novum, wenngleich kein demonstratives, ist eine hell klingende Blechperkussion, die in mehreren Songs vorkommt und den Kunstcharakter, das re-inszeniert Archaische, offenlegt. In Form ungewöhnlicher Rhythmen und mit Hall unterlegt interagiert sie mit Handclaps und diversen Feldaufnahmen, bis traditionelle Instrumente mediterraner oder orientalischer Herkunft hinzukommen. Selten gerät die Musik allzu bekömmlich, und wenn, dann scheint es gewollt: In „Opium“ feiert Perry die Erinnerung an ein (inneres) Paradies und veranschaulicht, wie nah verschiedene Grenzerfahrungen einander sind, mögen sie nun dem Rausch, der Psychose oder der religiösen Ekstase zugehören. Das sublime „Agape“, von Celloklängen und Lisas Gesang geprägt, ist über jede Betulichkeit erhaben. Es gibt auch beinahe harte, fatalistische Momente, wie im dezent rockigen „Amnesia“, das den unfreien, oft mediengesteuerten Verlauf (kollektiver) Erinnerungsprozesse kritisiert.
Dead Can Dance haben das wichtigste ihrer Musik in die Jetztzeit herüber gerettet: Ihre (sub-)tropische Atmosphäre, ihren virtuosen Multiinstrumentalismus und ihre kompositorische Stärke. Einige werden „Anastasis“ gewiss als reaktionäres Hippiewerk abtun. Dies nicht einmal zu Unrecht, aber das muss nichts per se schlechtes heißen. Ich wünsche der Band für ihren jetzigen Karriereabschnitt eine etwas ungruftigere Rezeption, die der Vielseitigkeit der vermeintlichen „Neoklassik“-Band gerecht wird.
Label: PIAS