Ein Musiker, der sich während eines Konzertes den Applaus verbittet, kann kein uninteressanter Mensch sein. Wenn der gleiche Musiker es schafft, mit trashigen Horrormotiven immer noch eine geheimnisvolle Aura zu entfalten, dann ist er ein Könner obendrein. Mat Sweet alias Boduf Songs, der kauzige Eigenbrötler von der englischen Riviera, ist mit seinem idiosynkratischen Lofi-Folk, der von Platte zu Platte opulenter wird, ein außergewöhnliches Original. Seine dunklen Akustiksongs verströmen den Charme einer vergessener Helloween-Folklore, manche versetzen den Hörer regelrecht in einen düsteren Animationsfilm, der auf Kings „Children of the Corn“ basieren könnte – ein schier endloses, labyrinthisches Maisfeld und gespenstische Sonnenblumen im Dämmerlicht, visuell ausgestaltet von jemandem wie Tor Lundval. Auf ihre trockene, spielerische und zugleich ernste Art verweisen seine Stücke das verblichene Witch House-Spektakel, dessen unhippe Vorläufer sie sind, auf einen der hinteren Plätze. Zugleich ist seine Musik das, was Dark Folk sein könnte, wenn dieses Genre nicht Tiefe und Haltung längst gegen Schmalz und Verkniffenheit eingetauscht hätte. Dass er ohne weiteren Feinschliff auf dem Label von Tim Hecker und Stars of the Lid veröffentlichen konnte, machte ihn etwas bekannter und bestätigte sein musikalisches Format.
Wer mit dem Stil des Briten vertraut ist, erkennt ein Boduf Songs-Stück sofort. Abgesehen von wenigen abstrakten Zwischenspielen fehlt bei keinem der Songs das filigrane Gitarrenpicking, dessen hypnotische Einfachheit stets ähnliche Tonfolgen exerziert. Daran ändert sich auch nichts, wenn er die akustische Gitarre ab und an gegen eine elektrische vertauscht. Ebenso Teil seiner Handschrift ist der immer leicht ins Hauchen und Murmeln abgleitenden Gesang, dessen leicht unbeholfene Melodie bei den meisten Songs die gleiche ist. Dass dieses einfache Grundgerüst als Basis für weiträumige Entwicklungen funktioniert, wird einmal mehr auf dem just erschienenen Album „Burnt Up On Re-Entry“ deutlich. Trockenheit, dick aufgetragen – so könnte man das zentrale Paradoxon dieser Musik bezeichnen, eine Eigenschaft, die schon in den ersten Minuten zur Geltung kommt. „Fiery the Angels Fell“ zitiert im Titel „Blade Runner“ und indirekt ein Gedicht William Blakes, und auch bei der textlichen Anspielung auf The Weather Girls gibt sich Boduf Songs nicht mit Kleinigkeiten ab: Die Männer, die hier – Hallelujah! – von den Dächern regnen, sind wohl nichts weniger als die Opfer eines Terroraktes und erfahren ihre Apotheose in gewohnt beiläufigem Ton. Was ebenfalls schon im Opener deutlich wird, ist Sweets derzeitiges Interesse an Uptempo und rauen Gitarrenriffs, denn bevor man sich versieht, hat sich das Stück in etwas verwandelt, das der kindlichen Vorstellung eines Punksongs nahekommt.
Keiner der folgenden Songs ist so skelettiert und unplugged wie die rauen, dilettantischen Aufnahmen der frühen Jahre, doch einige bewahren deren introvertierten Charme. „A Brilliant Shaft Of Light From Out Of The Night Sky“ verbindet diesen mit nerdigen Scifi-Motiven. Wer die beschwörende Kindermelodie und den naiv wirkenden Text als Klamauk abtut, hat wenig verstanden. Das gleiche gilt für alle, die darin Pathos zu erkennen glauben. In all ihrer Exzentrik haben die Stücke immer wieder eingängige Momente, allem voran das getragene, fast sakrale „Everyone Will Let You Down in the End“ oder das trotz psychedelischer Fuzzgitarren melodische „Between The Palisades And The Firmament“. Der fast poppige „Song To Keep Me Still“ ist, falls es das gibt, eine halbe Grungeballade, und wurde anderswo bereits mit Nine Inch Nails und Radiohead in Verbindung gebracht. Vielleicht bringen ihm solche Tags noch ein bisschen mehr Aufmerksamkeit, aber letztlich vermute ich, dass der typische gymnasiale Alternativie der 90er weiten Teilen des Albums nicht viel Verständnis entgegen gebracht hätte.
Sweets Mittelweg zwischen Wiedererkennbarkeit und Erneuerung erscheint mir weniger kalkuliert als bei vielen Akustikbarden des letzten Jahrzehnts, die sich von Legitimitätsfragen getrieben zu teilweise absurden Stilsprüngen verleiten ließen. Das spricht für ihn. Als Fan des Frühwerks frage ich mich dennoch, ob die neuen Songs nicht ebenso gut in der bekannten minimalistischen Lofi-Gestalt funktioniert hätten, und ob die Erweiterungen des Klangrepertoires nicht doch teilweise Eselsbrücken sind, damit auch ein paar Indiekids auf den Geschmack kommen. „Burnt Up On Re-Entry“ gibt es neben der regulären Fassung noch in einer limitierten Artist’s Edition, die eine soundtrackartige Bonus-CD enthält. (U.S.)
Label: Southern Records