NICK CAVE AND THE BAD SEEDS: Push The Sky Away

Der erste Gedanke, der mir beim Hören der neuen Bad Seeds-Platte kam, lief auf die Frage hinaus, wie es wohl für die einzelnen Bandmitglieder sein mag, „nur“ Teil einer längst zur Institution gereiften Gruppe zu sein, von der hauptsächlich Frontmann und Chefcharismatiker Nick Cave öffentliche Wahrnehmung genießt. Freilich, die Frage kommt von jemandem, dessen musikalische Sozialisation in Biotopen stattfand, in denen Musiker meist egozentrische „Projekte“ betreiben, sich untereinander zwar aushelfen, aber nur selten feste Bands mit klaren Hierarchien bilden. Darüber hinaus ist die Frage als Kompliment zu verstehen, denn wenn es etwas gibt, das auf „Push The Sky Away“ besonders überzeugt, dann ist es die Interaktion aller Beteiligten, die zusammen ein uriges, stellenweise improvisiert wirkendes und zugleich schöngeistiges Narrativ spinnen. Dass dieses nicht nur den Singer Songwriter-Künsten des Meisters ein sicheres Fundament gibt, sondern auch einige Durststrecken aufzufangen weiß, ist einer der Gründe, weshalb man auch heute noch außerhalb der Redanktionsstuben von Spex und Rolling Stone über die Combo aus dem sonnigen Brighton berichten kann.

Der Auftakt mit dem berufsjugendlichen Titel „We No Who U R“ wirkt mit seiner heimeligen Lounge-Orgel wie ein Gegenpart zum lauten Geschruppe von Grinderman, das ich dann doch mochte, auch wenn mich das ganze aufgesetzte Theater wohl immer an infantile Männerneurosen erinnern wird. Nick Cave ist ein guter Texter mit Gespür für das Zusammenspiel von Wort und Klang, und wird nicht müde seine Band zu loben, die im Studio regelmäßig zu einem symbiotischen Gebilde zusammenwächst (und man könnte hier noch die Komponente Bild dazunehmen, wenngleich Gaspar Noe in seinem Video einen Beitrag liefert, den sicher auch ein Filmstudent hinbekommen hätte). „The threes all stand like bleeding hands/We go down with the dew in the morning“ ist nur eine der Versgruppen, die pathetisch klingen würde, wären Gesang und Instrumentierung aufdringlicher. Viele der poppigeren Stücke des Albums sind nichts besonderes und wirken auch nicht so, als wollten sie das sein. Herausragende Momente – große Gesten im Refrain, tolle Melodien, kantiges Songwriting – fallen gerade deshalb so sehr ins Gewicht, weil sie in einen dezenten Rahmen gebettet sind, bzw. auf einem Fundament sitzen, in dem sich im Kleinen viel tut: ein grooviger Jazzbass, entgrenzte Trommelwirbel, hier und da fast noisiges Gefrickel auf den Gitarrensaiten – die Neubauten fabrizierten mit so etwas einst ausladende Stücke, hier fungiert es als kleines, grenzüberschreitendes Stilmittel einer Kammermusik, in der auch Bluesakkorde und Surfsounds ihre Momente haben, schließlich liegen die Wurzeln ja im typisch australischen Postpunk.

Darüber hinaus ist „Push The Sky Away“ so anglophil-akustisch wie keine Nick Cave-Platte mehr seit „Henry’s Dream“, und keine Komponente ist diesmal so stilprägend wie Warren Ellis’ Violine, die in den nicht wenigen filmscoreartigen Momenten an Matt Howdens Beitrag zu einer bekannten Folkband erinnert. Im Zusammenspiel mit Klampfe und Piano entsteht bisweilen eine altbackene Stimmung verfallener viktorianischer Urbanität, rau und nostalgisch wie ein Fischerpub, das Rye Whiskey der alten Schule ausschenkt und schon bessere Tage gesehen hat. Textlich und musikalisch herausragend sind „Jubilee Street“, von dem es gleich noch das Making Of gibt, und „Water’s Edge“, bei dem der Geschichtenerzähler Cave zur Höchstform aufläuft. Nur ein Schöpfer von Murder Ballads kann einem von derber Erotik knisternden Song über „the will, thrill and chill of love“ eine derart unheilschwangere Atmosphäre verleihen, mit seinen zotigen Reinem müsste er in unserer auf Etikette so viel Wert legenden Zeit eigentlich persona non grata sein. Aber vielleicht ist man ja mit “Shaking their asses”-Lyrik schon längst wieder ein Rebell.

Zu mäkeln bleibt, dass das Album in der Mitte die eine oder andere Länge aufweist, an Stellen, wie beispielsweise bei „Mermaid“, wo die Melodien allzu nett ausfallen und die Stimmung vorübergehend ins Fade abgleitet und der Bogen zu den pastoralen Tönen zurückliegender Alben geschlagen wird. Das ist allerdings verschmerzbar.