Auf den ersten Blick mag es fast irritieren, dass Post Scriptvm ihr (immer noch) aktuelles Album „Grey Eminence“ genannt hatten, denkt man bei dem Begriff doch unweigerlich an eine wichtige Person. „Grey Eminence“ hat jedoch wenig von einer persönlichen Message, und überhaupt macht es den Eindruck, als verschwinden die beiden Musiker im Laufe des Albums regelrecht hinter der eigens geschaffenen Düsternis, oder unter den Bergen fein bearbeiteter Klangobjekte. Natürlich, Spuren menschlichen Wirkens finden sich auf dem Longplayer zuhauf. Sie finden sich in Form etlicher Sprach- und Gesangsfetzen, die keinen geringen Teil der Samples ausmachen, auch in so manchem Zitat avantgardistischer Poesie und erst recht in dem gelungenen Artwork, das in das menschliche Abbild geradezu verliebt ist. Doch am meisten vielleicht in der Struktur der dunkeln Soundkollagen, deren Unberechenbarkeit kaum über die präzise Komposition hinwegtäuscht: Hier sind mit Andrey und Liana ganz bewusst arbeitende Subjekte am Werk, und nicht der Zufall.
Dennoch taucht in dem Album keine zentrale Person auf, und mit der Zeit verstärkt sich der Eindruck, dass der eigentliche Protagonist der Schauplatz ist, der von Track zu Track deutlicher vor dem Auge des Rezipienten entsteht. Bei der imaginären Ausgestaltung sind Industrial-Klischees durchaus erlaubt, und man mag sich den Ort als ein an „Eraserhead“ erinnerndes Labyrinth von Räumen vorstellen, angefüllt mit tönenden Objekten aller Art, von denen keines nur zufällig an seinem Ort ist. Fast unvermittelt betritt man die Szenerie über eine kleine, unbedeutende Schwelle, denn das lieblich-verwunschene Glockenspiel ist längst Teil des Szenarios, ebenso wie das bald einsetzende Dröhnen und das spannungsgeladene Pulsieren, das den verzerrten Klang eine Weile begleitet. Hat man erst nachvollzogen, dass es sich hier um eine weiträumige, repetitive Struktur handelt, ist man längst im nächsten Abschnitt angekommen, der mit rituellen Rasseln, subtilen Streicherklängen und rumpeligen Samples etwas heller klingt als es ein Titel wie „Abortion of Memory“ vielleicht erwarten lässt. Stets kommen naturbelassene, wiederkennbare Klänge ebenso zum Zug wie Resultate vielfältiger elektronischer Manipulation, und dass dies auch auf der Bühne funktioniert, stellten Post Scriptvm erst kürzlich auf dem zweiten Epicurean Escapism Festival unter Beweis.
Ein Track über das Vergessen kann nicht eindimensional und vorhersehbar klingen, und ihr stetiges Aufrechterhalten des Detailreichtums und der subtilen Unberechenbarkeit könnte mit ein Grund sein, weshalb sie trotz eines deutschen Labels in der hiesigen Szenelandschaft nie über den Status eines Geheimtipps hinausgekommen sind. Dabei gehören viele Einzelaspekte zweifellos in diesen Bereich. Zwischen PE und Harsh Noise rangieren die zentralen Soundkomponenten in „Up on Decadent Scum“ oder auch in „Homo Spectator“, bei dem eine der hässlichsten Stimmen des 20. Jh., die immer für ein schönes Sample gut ist, die politische Tragik der Moderne ins Spiel bringt. Die turbulente Zeit in den ersten Dekaden des letzten Jahrhunderts scheint ohnehin ein Steckenpferd der beiden Wahl-New Yorker zu sein, finden sich Techniken klassischer Avantgarde doch nicht nur in der musikalischen Herangehensweise, sondern überdeutlich auch im von Liana gestalteten Artwork, bei dem mit menschlichen Körpern das gleiche geschieht wie auf musikalischer Ebene mit zahlreichen Klängen: Sie werden zerschnitten, neu zusammengesetzt oder mutieren zu unheimlichen Chimären, und stets schafft eine stimmige Ästhetik Harmonie im Disharmonischen.
Post Scriptvm sind Meister der Illusionen und ihrer Zerstörung, und dass „Grey Eminence“ gegen Ende zu seinem Anfangspunkt zurückkehrt und einen zyklischen Schluss vollzieht, ist nur eines der augenfälligsten Beispiele. In den nächsten Monaten soll ein neues Album der beiden erscheinen, und bis dahin soll dieses repräsentative Werk allen empfohlen sein, die sich für feinsinniges Klanghandwerk ebenso begeistern können wie für subtile Düsternis. (U.S.)
Label: Tesco Organisation