ALBATWITCHCRAFT: GAS!

Auf Crow Tongues „The Red Hand Mark“ hatte Timothy Renner auf „Ypres“ das Grauen des trench warfares besungen, den Schrecken des Ortes, an dem zum ersten Mal Giftgas eingesetzt wurde, in dem Krieg, der im englischen Sprachraum noch immer (durchaus doppeldeutig) The Great War genannt wird. In dem Text beschwor Renner ein Grauen voller von Schrapnellen zerfetzten Eingeweiden, eiternden Wunden und grinsenden Schädeln, das nicht anders zusammenzufassen war als mit den Worten „Death ahead, madness behind“.

Unter dem Projektnamen AlbatwitchCraft veröffentlicht Renner zeitgleich zu dem Debüt von Albatwitch unter dem Titel „GAS!“ ein auf nur 33 Exemplare limitiertes und aus drei Teilen bestehendes Dronealbum, das an dieses Thema wieder anknüpft: Es geht um den Giftgaseinsatz während des Ersten Weltkrieges. Diesmal finden sich aber keine eigenen Texte, sondern es werden drei Gedichte des 1918 gefallenen Lyrikers Wilfred Owen vertont. Auf „Gas! I“ rezitiert Renner mit verlangsamter Stimme einen der vielleicht beeindruckendsten lyrischen Texte, der den Alptraum eines Gasangriffes beschreibt. Das schreckliche Sterben eines Soldaten, der zu spät seine Gasmaske aufsetzt, lässt das lyrische Ich zu dem Schluss kommen: „If you could hear, at every jolt, the blood/Come gargling from the froth-corrupted lungs,/Obscene as cancer, bitter as the cud/Of vile, incurable sores on innocent tongues,–/My friend, you would not tell with such high zest/To children ardent for some desperate glory,/The old Lie: Dulce et decorum est/Pro patria mori.” Untermalt wird der Text von dunklen auf- und abschwellenden Drones. Verglichen mit der Hektik, die im Text heraufbeschworen wird („GAS! Gas! Quick, boys!– An ecstasy of fumbling,/Fitting the clumsy helmets just in time”), scheint hier alles verlangsamsamt zu sein, die Zeit fast stillzustehen. Wie in Zeitlupe entfaltet sich auf knapp 20 Minuten das Schreckensszenario. Welch Kontrast dagegen ist die patriotische, in Sonettform gegossesne Trostlyrik von Rupert Brookes wenige Jahre vor Ownes Texten verfassten „The Soldier”, in dem das imaginierte Sterben („If I should die..”) zu einer Beschwörung eines Fleckchen Englands inmitten fremder Erde wird und rein gar nichts mehr mit den gebeugten, in Löchern zusammengepferchten und in diesem „Menschenschlachthaus” (W. Lamszus) wie Vieh sterbenden Soldaten in Ownes Texten zu tun hat. „Gas! II” ist musikalisch noch bedrückender, in weiter Entfernung verhallen Geräusche, dumpfes Brummen ertönt; dafür ist der Gesang wesentlich aggressiver: Die verfremdete Stimme keift den Text von „Anthem for Doomed Youth”, hier wird die Klage über diejenigen, „who die as cattle”, zu einem Wutschrei. „Gas! III” basiert auf Owens „Cramped in that Funnelled Hole”, musikalisch ist der Track noch reduzierter als die anderen beiden: „They were in one of many mouths of Hell/Not seen of seers in visions, only felt/As teeth of traps; when bones and the dead are smelt/ Under the mud where long ago they fell/Mixed with the sour sharp odour of the shell” und die entfernten Drones und Stimmen machen das zu dem vielleicht beklemmendsten Stück auf diesem Album.

Nach diesen insgesamt 40 Minuten ist man kaum noch bereit, sich mit dem pipe dream, die Menschheit sei zur (moralischen) Weiterentwicklung fähig, zu belügen. Dieses Geschlecht strebt nicht zum Licht.

M.G.

Label: Lost Grave