Andreas Brandal ist schon seit Mitte der 90er aktiv und eine zuverlässige Adresse für diejenigen Liebhaber rauer Noise Cut-Ups, denen atmosphärische Spannung und musikalische Unberechenbarkeit mehr am Herzen liegen als eine abgehobene und stubenreine Gestaltung des Klangbildes. Dass seine Aufnahmen außerhalb der Harsh Noise-Szene bislang wenig Beachtung gefunden haben und zum Teil selbst Musikliebhabern, die bloß „unter anderem“ Noise mögen, kaum bekannt sind, ist zwar bedauerlich, verdeutlicht aber, dass es in unserer Zeit noch ausreichend interessante Nieschen gibt. Hört man also erstmals Projektnamen wie House of Bats, Hour Of The Wolf, Jabber Garland, Lupus Golem oder Torture Gnosis, unter denen Brandal entweder solo oder in Kollaboration aktiv ist, dann sollte das eher Neugier wirken, zumal die Namen schon mal auf sympathische Interessen deuten. Eines seiner Hauptprojekte nennt sich Flesh Coffin, ein primär auf Feldaufnahmen und Tapeloops basierendes Unterfangen, von dem vor kurzem das Tape „Horro Vacui“ erschienen ist.
Unter dem horror vacui versteht die Psychologie den Schrecken oder die Angst, die eine Empfindung von Leere auslösen kann. Ein sicher nachvollziehbares Gefühl, das viele vielleicht in Ansätzen kennen, und im Bezug auf das vorliegende Tape kann man (etwas flapsig, zugegeben) einräumen, dass man sich bei der Musik ausgerechnet darum keine Sorgen machen müsste. „Horror Vacui“ erschien etwa zeitgleich mit Torbas „Polyester Catacomb“, und beide Releases verbindet ein leidenschaftliches Interesse am Gerümpel, an schrottigem Klangmaterial unterschiedlicher Größe und Form, das im Laufe einer Aufnahme in steter Variation durch den virtuellen Raum geschleudert, gefegt und getreten wird. Das Stück, das die erste Seite füllt, geht gleich medias in res und beginnt mit einem harshen Feedback voll kleiner und großer Unebenheiten – eine Szenerie, die auch mit einem entgrenzten Schlagzeug a la Julian Bonequi ausgefüllt werden könnte, die hier aber mit betont einfachen Mitteln auskommt. Der Vergleich mit Torba erschöpft sich jedoch im Materiellen, denn „Horror Vacui“ ist weniger dramaturgisch und narrativ aufgebaut, sondern gestaltet sich eher wie ein Panoramaschwenk über diejenigen Abschnitte der großen posthistorischen Deponie, in denen all der ungeliebte, zu Unrecht gering geschätzte Klangballast entsorgt wurde, für den in den Museumsvitrinen der sogenannten Kultur kein Platz war. Natürlich gibt es in Sachen Fülle und Dynamik ein gewisses Auf und Ab, andererseits jedoch hat die Musik auch etwas von einer Tapete: Man kann den Raum verlassen, und wenn man zurückkehrt, kann man problemlos wieder einsteigen ohne das Gefühl, den Anschluss verpasst zu haben. Wahrscheinlich könnte man hier noch mit dem Rhizom ankommen, aber man kann es auch lassen. Der zweite Track – wie sein Vorgänger zirka zehn Minuten lang – gestaltet sich weniger ausschnitthaft, ist mehr in episodische Abschnitte unterteilt. Zu Beginn rechnet man vielleicht noch mit etwas verrauscht-dronigem, doch das Geschepper lässt nicht lange auf sich warten, und im Verlauf kommen immer mehr einzelne Sounds und ihre Effekte zur Geltung. Automatisch ist man als Rezipient weniger verloren, doch letztlich heißt „verloren“ in dem Sinne lediglich „desorientiert“. Denn das Makabere ist: Im Hinblick auf den grotesken, bedrohlichen Charakter des Ganzen macht das nicht den geringsten Unterschied. Die im Titel beschworene Leere bekommt hier durchaus einen sehr materiellen Charakter, vergleichbar der Luft, die man schneiden oder der Stille, die man hören kann.
Die Frage, ob Noise verbraucht ist oder nicht, und die zweite Frage, ob man die erste überhaupt pauschal beantworten kann, beantwortet sich meist auf eine Weise, die mehr über die eigene Attitüde aussagt als über den Stand der Dinge. Mit „Horror Vacui“ kann man definitiv einige Menschen unangenehm berühren, trotz der verbreiteten Kenntnis, dass es Musik dieser Art irgendwie gibt. Doch Musik dieser Art erreicht Unbedarfte nur noch, wenn es gezielt forciert wird. Doch lohnt sich die “Axt für das gefrorene Meer” (Kafka) überhaupt, angesichts einer Masse an Phlegmatikern, die sich eher comfortably numb zutode langweilen, ohne es zu bemerken, statt sich ästhetisch herausfordern zu lassen? Geschieht es nicht, so ist diese Musik eben eine sehr spezielle Form urbaner Folklore.
Nun gibt es immer wieder Beispiele dafür, dass solche Nieschen nicht allzu abgeschottet sein müssen, und so regt die Beobachtung, dass unsere Gesellschaft – gerade im Zeitalter des anhaltenden globalen Zusammenrückens – immer mehr die Gestalt einer Ansammlung von Parallelwelten bekommt, vielleicht zu ganz lohnenswerten Entdeckungen an. (U.S.)
Label: Aaltra