Einigen unserer Leser ist Olga Volchkova vielleicht als Covermodell des letzten Albums von Crime and the City Solution bekannt, ihre eigentliche Berufung liegt allerdings in der Malerei und anderen Bereichen der Bildenden Kunst. Bei der Gruppenausstellung “My Icon”, die vor kurzem in Berlin stattfand, waren ihre Werke die einzigen, die dem Begriff der Ikone auf recht traditionelle Weiße wörtlich entsprachen. Die Darstellung der allegorischen Figuren, der Umgang mit Raum und Perspektive und nicht zuletzt die Techniken, auf die ihre Gemälde schließen lassen, erscheinen jedem vertraut, der sich schon einmal mit der Ikonenmalerei der christlich orthodoxen Kirchen, vor allem in ihrer russischen Ausprägung, befasst hat. Dennoch wird bereits auf den ersten Blick klar, warum ihr Name in der Kunstszene eher mit Tradtionsbrüchen als mit Traditionen in Verbindung steht, denn auf motivischer Ebene sind ihre Sujets ausgesprochen eigenwillig und im wahrsten Sinne unorthodox. Dass ihre zentralen Motive eher in der Welt der Flora als in religiösen Erzählungen zu finden sind, ist eines der Themen im folgenden Interview.
Du bist in einigen sehr unterschiedlichen Bereichen der Kunst tätig, im Vordergrund stehen deine Glasarbeiten, deine Arbeit als Restauratorin und v.a. deine Ikonenmalerei. Nebenbei bist du Gärtnerin, was sich in vielen deiner Arbeiten niederschlägt. Wie würde ein passendes Motto für deine Kunst klingen?
Ich habe Leidenschaften, aber nicht wirklich ein Motto. Am meisten liebe ich es, meine Augen, meinen Kopf, meine Hände und die Schönheit, die mich umgibt, zusammen zu bringen.
Die Welt der Pflanzen ist sicher das am häufigsten wiederkehrende Thema deiner Bilder. Auf der Ausstellung sagtest du, dass Pflanzen deine Religion seien. Kannst du etwas mehr dazu sagen?
Wenn ich mir Pflanzen ansehe, dann erwarte ich nicht, dass sie mir unmittelbar helfen. Es ist wie bei Leuten, die beten: Auch da sollten sie nicht um Wunder bitten, sondern sich anständig und nach Prinzipien verhalten, vielleicht werden ihre Gebete ja dann erhört. ) Mit Pflanzen ist es das gleiche: Höre ihnen zu, schaue sie an, rieche ihren Duft und respektiere sie, dann werden sie dir ihre Geheimnisse schon irgendwie offenbaren. Beobachtung ist der Schlüssel zu jedem Erfolg. Schneeglöckchen zum Frühlingsanfang, späte Rosen im Herbst, verstreute Blüten im Gras – es gibt so viele Kostbarkeiten. Ich könnte mir kein Leben ohne sie vorstellen. Und alle haben sie ihre Geschichten, die mit der Geschichte des Menschen verwoben sind – Jahrtausende lang haben sie unser Leben gerettet, uns ernährt, uns Kleindung und Unterkunft gegeben in all ihrer schönen, geduldigen und friedvollen Art. Es ist eine magische Wirklichkeit, an die ich glaube und in der ich lebe.
Hast du eine Lieblingspflanze, ein Kraut oder ähnliches, und wenn ja, warum gerade dieses?
Meine Vorlieben ändern sich von Zeit zu Zeit Aber Heckenrosen liebe ich grundsätzlich. Der Duft, das kräftige Magenta im Kontrast zu den grün gemusterten Blättern und den orangenen Früchten im Herbst. Ich hab sie mit meiner Großmutter für den Windertee gesammelt, vor langer Zeit, irgendwo im Herzen Russlands. Ich freue mich immer, wenn ich Heckenrosen sehe.
Du hast vor kurzem an der Berliner Gruppenausstellung „My Icon“ teilgenommen. Obwohl deine fünfzehn Exponate ziemlich unkonventionelle Motive zeigten, war mein erster Gedanke, dass du einen guten Einblick in die Welt der Ikonen haben musst. Wie früh in deinem Leben hast du deine Liebe zu dieser Kunst entdeckt?
Du hast recht, was den Einblick betrifft. Als ich meinen Abschluss in Chemie machte, malte ich Matryoshkas, um über die Runden zu kommen. Ich ging auf die Kunsthochschule, als ich schon 21 war, und auch nur weil in diesem Jahr ein Studiengang mit dem Schwerpunkt Restauration eingeführt wurde — für nur 8 Teilnehmer. Ich hatte solche Zweifel, ob sie mich überhaupt nehmen, weshalb ich mich zeitgleich für die Ikonenschule in Twer beworben hatte. Ich bekam von beiden eine Zusage und arbeitete zugleich im städtischen Museum, wo ich alte Gemälde und Ikonen restaurierte. Ich erinnere mich, dass mein Gehalt Mitte der 90er bei zirka $50 im Monat lag. Während dieser Zeit malte ich außerdem hunderte Ikonen im Stil des 18. Jahrhunderts für den Moskauer Ikonenmarkt, ebenfalls um zu überleben.
Letztlich war das sehr ermüdend, weshalb ich froh war, andere Kunstsparten zu entdecken: Bildhauerei, Glassarbeit, Design etc. Erst nach Jahren fing ich an, die Ikonenmalerei zu vermissen. Obwohl ich gelegentlich Ikonen für Aufträge malte, gingen meine Ideen und Erfahrungen nicht in die Richtung, die mit dem normalen Inhalt von Ikonen vereinbar ist. Bei allem Respekt für alle Religionen, fühle ich mich mit den organisierten Religionen keineswegs verbunden… Aber ich liebe Kunst und Handwerk. Nicht nur russische Ikonen, auch tibetische Thankas, indische, mexikanische und die meiste indigene Kunst, die ich beseelt und ungemein tief und schön finde. Ihre Bildsprache erzählt Geschichten über die Jagd, über die Ernte oder über Engelserscheinungen… Und auch die sprechen mich an. Die Art, wie ich heute male – ich kombiniere vielen Arten von Liebe. )
Du warst also keine besonders religiöse Person damals, und dein Zugang erfolgte mehr über die Kunst?
Meine Ikonenschule war eine kleine Gruppe von russisch orthodoxen Ikonenwandmalern, Holzschnitzern und Restauratoren. Ich studierte und arbeitete damals gleichzeitig, und ich war die einzige Person in der Gruppe, die nicht religiös war. Aber das hat niemanden gestört, ich war voll akzeptiert. Anfangs dachte ich daran, es mit dem Religiösen einmal zu versuchen – aber je mehr ich es versuchte, umso mehr Fragen kamen auf. Davon abgesehen kamen wir aber gut miteinander klar. Sie waren sehr gute Maler und sehr großzügige, nette Menschen. Und Religion an sich war ein derart neues, mysteriöses Ding, nachdem wir zunächst die kommunistische Zukunft aufbauen mussten. Ich liebe, aber ich glaube nicht an Märchen – Pflanzen sind realer! ))
Welche Rolle spielen Ikonen in der Region, aus der du stammst?
Ikonen sind Bilder von Heiligen, oder Bilder zu wichtigen Feiertagen. Sie verbinden betende Seelen mit dem Geist der Heiligen. Je mehr Gebete durch eine Ikone gegangen ist, umso kostbarer ist sie. Alle anderen Werte sind bloß Geld. Tarkovskys Film “Andrei Rublev” stellt die Rolle der Ikonen in meiner Region ziemlich gut dar.
Was waren die wichtigsten Ideen und Werte, die du aus der Ikonenschule mitgenommen hast?
Ich lernte das gesamte Handwerk, nicht nur das Künstlerische, sondern auch viel über das Material: wie man zum Beispiel eine Holzfläche herstellt, eine spezielle Grundierung mit Honig und Knoblauch, Goldfarbe oder Eitempera mit Mineralien. Und ich lernte die Reihenfolge, wie man die Elemente der Ikonen malt, Holzschnitzereien vergoldet, Ikonen restauriert, etc. Ich reiste viel und installierte Ikonenwände in russischen Kirchen, lebte zeitweise in Klöstern und erkundete unterschiedliche Lebensweisen. Kirchen schossen in den 90ern wie Pilze aus dem Boden: Wir konnten der Nachfrage nach dem Einbau von Ikonenwänden kaum nachkommen.
Welches war der Hauptimpuls, der dich dazu gebracht hat, diese traditionellen Sujets mit ungewöhnlichen Elementen zu verbinden?
Der Wert der Natur ist etwas, woran ich wirklich glaube, und ich wollte das in der am meisten vertrauten Art ausdrücken, in einem Medium, dass ich wirklich verstehe.
„Saint Hops“ gefiel mit in der Ausstellung am besten, vielleicht weil es mich an Aspekte der deutschen Kultur erinnerte. Was kannst du uns über dieses Bild erzählen und über die Geschichte dahinter?
Wenn du dir Hopfengewächse ansiehst und dir überlegst, wie der Heilige dazu aussieht, fällt dir auf, dass die Pflanzen diese flauschigen Samen haben, und mehrere sehen aus wie ein grün-brauner Bart. In Russland lieben wir gekochten Flusskrebs mit Bier (die Bildelemente des “Saint Hops”-Gemäldes), aber mein neuer amerikanischer Lifestyle verlangt Salzprezel. ) Es geht nur um den Genuss von Hopfen. Wir danken dem Hopfen für gutes Bier! In Eugene, Oregon, wo ich lebe, haben wir zur Zeit 20 unabhänbgige, lokale Brauereien, und eine hat ein spezielles Autumn Pumpkin Chocolate Beer!
Wie lange arbeitest du üblicherweise an einem Bild, und was kannst du uns über deine Techniken sagen?
Es hängt von der Größe des Bildes ab. Fünf Tage bis hin zu einem Monat meistens. Es wäre klasse, ein richtig großes zu machen mit viel Charakter, dass dann 2-3 Monate in Anspruch nehmen könnte… Ich benutze ein paar traditionelle Techniken. Ich koche mein eigenes Gips mit Honig und Knoblauch. Ich benutze leicht zu entfernenden Naturleim, der der Feuchtigkeit standhält. Manchmal verwende ich Blattgold. Allerdings benutze ich eher Akryl statt Eitempera. Auch ritze ich meine Zeichnungen in Gips: Auf diese Weise wird in ein paar hundert Jahren die Farbe verschwinden, aber die Zeichnung wird noch da sein, zur Freude der Restauratoren. )
Du verwendest recht unorthodoxe, eher „heidnische“ Motive und erfindest Heilige. Würdest du sagen, dass es diese Aspekte unter der Oberfläche der christlichen Mythologie ohnehin gibt? Wie hat man in Russland darauf reagiert?
Alles was ich weiß, ist dass meine russischen Freunde meine Bilder lieben. Wenn jemand eine Frage hat, antworte ich. Ich hatte bisher aber nie den geringsten Ärger wegen meiner Gemälde. Ich würde sie nicht “heidnisch” nennen oder mit sonst irgend einem großen Wort beschreiben – es ist nur eine kleine Hommage an unterschiedliche Aspekte des Lebens.
Es gibt da ein leichtfüßiges, manchmal wirklich lustiges Element in deinen Bildern, aber für mich ist das weit entfernt von Spott. Es hat mehr mit einem wiederbelebenden statt mit einem destruktiven Zugang zur Tradition zu tun. Würdest du zustimmen?
Das klingt sehr nett! Und ich hoffe, genau das entspricht meiner Persönlichkeit. Die kleinen Wunder, die ich jeden Tag sehe, sorgen für die witzigen Elemente meiner Geschichten.:))
In Westeuropa genießt das Russische Orthodoxe Christentum ein etwas verdrehtes Image. Da ist – v.a. seit der Pussy Riot-Affäre) die Reputation als reicher und intoleranter Apparat, auf der anderen Seite jedoch wird die “kulturelle” Seite (Ikonen, liturgische Musik etc.) sehr geschätzt. Eher unbekannt sind internationale Bewegungen wie „Orthodox and Gay“. Was würdest du sagen, sollten Westeuropäer im Hinterkopf behalten, bevor sie sich eine Meinung über dieses komplexe Thema bilden?
In Russland fühlt es sich gerade so an, als sei der lauteste Slogan “Wir sind ein christliches Land”. Es ist sehr intolerant. Bärtige Männer in seltsamer Gewandung beten in einer unbekannten altslawischen Sprache, definieren die “Moral” des Landes, indem sie Frauen, Schwule und alles, was sie sonst noch darunter einordnen, als “böse” bezeichnen. Ich verstehe den Unterschied nicht zwischen Tanzen in einer Kirche (“Pussy Riot”) oder in einem Park. Warum ist das eine legal und das andere ein Verbrechen? Die Orthodoxe Kirche tut sich sehr schwer damit, mit der Zeit zu gehen. Sie bestrafen Leute, die sie nicht mögen, physisch.
Du lebst nun seit ein paar Jahren in den USA. Denkst du, dass der unterschiedliche kulturelle Input die Art und Weise mitprägt, wie du dich den alten künstlerischen Traditionen stellst?
Es ist wahrscheinlich nicht bloß, dass ich in den USA lebe – es hat auch damit zu tun, dass ich ohnehin eine Menge Leute aus der ganzen Welt treffe. Manche bleiben für Jahre und manche gehen. Es sind immer Menschen. Ich reise sehr gerne herum – einige meiner besten Freunde kenne ich von meinen Abenteuern.
Wie groß ist der Unterschied zwischen den beiden Ländern im Hinblick auf die Rolle des Künstlers oder die Unterscheidung zwischen Bildender und Angewandter Kunst?
Es gibt durchaus Unterschiede. Was die Künstler selbst angeht, so gibt es in Russland mehr Leute mit fachlichem Können, weil das akademische System dort sehr aktiv ist. In den USA ist das weniger stark ausgeprägt, dafür gibt esdort aber mehr Experimentierfreude. In den amerikanischen Schulen wird Kunstfertigkeit zwar geschätzt, aber die Techniken werden nicht wirklich unterrichtet, es gibt dort eine merkwürdig emphatische Vorstellung eines künstlerischen “Statements”. Es gibt jedoch eine wichtige Gemeinsamkeit: Es gibt keine wirkliche Unterstützung für Kunst oder Künstler, weder in bildender noch in angewandter Kunst, weder in den USA noch in Russland.
Ich mag das „American Twilight“-Album von Crime and the City Solution sehr, für dessen Cover du als Model fotografiert wurdest. Wie kam es dazu?
Ich liebe das Album auch sehr. Ich war überrascht, dass ich auf das Cover kam. Ich traf Danielle De Picciotto, Alexander Hacke und einige andere nette Leute während eines Trips nach Mexiko, woraus sich ein paar interessante Kollaborationen ergaben. Danielle fragte, ob ich Lust hätte, zu modeln und an Musikvideos und bei Konzerten von Crime & the City Solution mitzuwirken, im Zusammenarbeit mit ihrem Artwork und ihren Geschichten. Ich liebe ihre Videos und bin froh, anb ihrer großartigen Kunst beteiligt zu sein.
Was steht für die nähere Zukunft an?
Mit einer neuen Ikone habe ich gerade St. Coffee und St. Chocolate kanonisiert. Wahrscheinlich wurden diese zwei wichtigen Pflanzen in Wirklichkeit erfunden, von zwei Frauen: eine in Afrika und eine in Mittelamerika, durch botanische Veredelung. Ich zeige, wie diese Genies sich gerade in einem Schokoladenkaffeehaus treffen, eine zeitlos kultivierte Szene, umgeben von Gärten und Kanälen. Es ist wichtig, dass wir unsere Vorstellung vom Heiligen erweitern. Ich werde eine Ausstellung vorschlagen, vielleicht gemischt mit traditionellen Ikonen, mit dem Arbeitstitiel “Saints without Borders”. Und natürlich werde ich etwas gärtnern.