Wenn „kritische“, eher europäisch gesinnte Geister von einem schöneren Amerika reden, meinen sie damit in der Regel nichts aus dem kulturellen Hauptstrom, sondern schwelgen im Urtümlichen, referieren auf Dinge wie den Appalachian Folk oder den Delta Blues, die bei ihrem Einzug ins Popgeschäft schnell einen guten Teil ihrer ästhetische Unschuld einbüßen mussten. Wagt man sich doch in populärere Gefilde, dann zählt der Highway-Mythos, der Generationen von Outlaws und Geschichtenerzählern zu einem verlorengegangenen Traum von Freiheit inspirierte, zu den beliebtesten Themen. Andere, verwandte Gangster- und Desperadomythen, spielen meist ebenfalls unter freiem Himmel, oft desnachts. Die Weite des Landes und das Fortbewegungsmittel der Wahl schaffen Distanz zu all den sozialen und kulturellen Abhängigkeiten, die man mit dem Amerika der gepflegten Vorgärten assoziiert. Und stets beanspruchten Europäer ein Mitspracherecht bei der Mythenstiftung – „Paris, Texas“, „Psycho“, „Detour“ wurden von Deutschen, Briten und Österreichern gedreht. Durch die Entdeckung des Trash und Pulp in den 90ern wurde der Rahmen des Legitimen freilich um einiges erweitert.
Auch der polnische Ambientkünstler Tomek Mirt ist von solchen Mythen inspiriert, was schon im Rahmen seiner Stammkapelle, einer Galgenvogelband, anklingt. In dem Aquarell, welches das Cover seiner neuen Soloplatte ziert und wie ein Edward Hopper-Pastiche aus dem Atelier von Tor Lundvall anmutet, haben sie merkliche Spuren hinterlassen. Wohin das ominöse Duo zu so später Stunde aufbricht und warum es sich so plötzlich zum Betrachter umdreht, muss Geheimnis bleiben. Die maskenhaften Gesichter unterstreichen das Gefühl, dass es sich um eine Flucht, eine Jagd oder ein konspiratives Treffen handelt, und das auf dem Album zweifach ertönende Froschkonzert verlegt das Ganze an einen entlegenen Ort.
Selbst ohne das Artwork wäre „Rite of Passage“ eine äußerst visuell anmutende Platte, das Label legt weitere Fährten, wenn es die Musik als Score zu einem imaginären Trashfilm bezeichnet. Der Titel, als Begriff aus der Ethnologie bekannt, ist obendrein einer „Miami Vice“-Folge entlehnt, und auch wenn die Musik keine direkte Nähe zu der bekannten Titelmusik von Jan Hammer aufweist haben die auf Synthies, Sinuswellen, Naturgeräuschen und seltenen Instrumenten basierenden Ambientstücke tatsächlich den verwegenen, aber auch etwas glatten Charme dieser in TV-Studios entworfenen Eighties-Kultur, die im Original blassbunt ist, bei Mirt allerdings nur bei Nacht zu “sehen” ist. Rhythmen sind ein integraler Teil des Klangbildes, doch fast durchgehend sind sie dezent und downtempo genug, um den relaxten Grundmodus drastischer Zeitlupenaufnahmen und pathetischer Close-ups zu wahren. Cool? Ja, aber auf eine gewollt spackige Art, die berührende, fast sentimental-kitschige Momente zulässt, die hier meist über die Melodie eingebracht werden. Aus einigen Motiven rhythmischer oder melodischer Art könnten Songs entstehen, doch gerade die „filmischen“ Momente – ambiente Soundtrack-Reminiszenzen, aber auch die gekonnt eingebauten Sounds von Motoren, Propellern und allerhand Geräuschen der Natur – weisen in eine andere Richtung.
„Rite of Passage“ ist ein dezentes, aber doch v.a. unterhaltsames Album voller Kolorit, das vielleicht am meisten dadurch gewinnt, dass es bei allem erzählerischen Realismus stets eine gewisse Künstlichkeit wahrt, ohne die der Mythos gestylter Schmuggler- und Dealer-Geschichten mit seinen Ferraris und perfekt schönen Frauen nicht bestehen könnte. Gelungene Hommage, die demonstriert, dass Gangster-Ambient auch ganz ohne Doomjazz funktionieren kann – zum Hören v.a. für schlaflose Spätsommernächte zu empfehlen. (U.S.)
Label: Catsun/Monotype