HAUSCHKA: Abandoned City

Mann nennt ihn den Meister des präparierten Klaviers: Volker Bertelmann alias Hauschka, der nach seinem letzten Exkurs in die Kammermusik wieder zum Solospiel zurück gefunden hat und begleitet von einer dezenten Drummachine und programmierten Bassläufen lediglich Klavier spielt. Dies freilich schließt bei dem Düsseldorfer einiges mit ein, das nur vage an ein Piano erinnert und mittels Gerätschaften wie Holzstäbe, Flilzkeile und ein im Klavierkasten angebrachtes Becken zustande kommt.

Fast könnte man von solchen Provisorien die Brücke zum erzählerischen Stoff des Albums schlagen, denn in „Abandoned City“ dreht ich alles um das Gestell, wie ein deutscher Philosoph das funktionale Menschenwerk einmal nannte. Genauer geht es, wie der Titel ja unmissverständlich nahelegt, um leerstehende Ortschaften auf fast allen Kontinenten der Erde, die aus den unterschiedlichsten Gründen verlassen wurden oder nie wirklich bewohnt waren. Letzeres passierte mit der aus dem Boden gestampften Thames Town, der Nachbildung einer englischen Kleinstadt unweit von Shanghai, in der viele ein Haus erwerben, aber keiner wirklich wohnen wollte. Heute mutet sie wohl wie ein Freilichtmuseum an. Bei den im engeren Sinne verlassenen Orten, so berichten es Lexika, sind es meist die Gründe, die man erwartet: Kriege, Umwelt- und Naturkatastrophen, Aberglaube und natürlich Armut und die Entscheidung, an anderen Orten nach dem Glück zu suchen – so etwa ereignete es sich im süditalienischen Craco, das im Mittelalter recht malerisch an einen felsigen Berghang gebaut wurde. Nachdem die Bewohner um 1900 größtenteils über den Atlantik auswanderten, scheint es, ähnlich der Anasazi-Bauten in Arizona, wieder zu einem Teil der Landschaft zu werden.

In Elisabeth Bay, Namibia, war es das Versiegen einer Miene, das die Bewohner wegtrieb. Hektisch, fast panisch illustriert der Pianist die Geschichte dieses Niedergangs und lässt sie wie eine abrupte Flucht, wie ein Hetzen nach einem anderen El Dorado erscheinen. Lautmalerische Stimmungsbilder sind es ohnehin, mit denen der Musiker, der die Orte nie besucht hat, die Atmosphäre solcher Geschichten einfängt, die sich im eigenen Bewusstsein einstellt. Wie er berichtet, gehen diese Impulse fast zwangsläufig einher mit der Frage nach der Distanz zum anderen, den diese Stoffe vielleicht auf gänzlich andere Art berühren und inspirieren.

Wenn Hauschka seinen tremolierenden Akkorden über die Melodie asiatisches Kolorit verleiht, wenn er unheilvolle Sounds aus seinen Geräten zaubert, die auch auf Nurse With Wounds „Salt Marie Celeste“ ihren Platz gefunden hätten, wenn er auf Dramatik setzt und im Stakkato-Rhythmus auf die Tasten hämmert – bei all dem gelingt es ihm, den jeweiligen Orten – pathetisch gesprochen – eine Seele, oder profaner: ein je eigenes Ambiente zu geben. Durch „Thames Town“, das eingefrorene viktorianische Idyll, tanzt eine ruckartige Pantomime gespenstischer Marionetten, deren Fäden weniger der Pianist, als vielmehr die Geschichte der Menschen selbst in der Hand hält, die wohl v.a. im 20. Jh., in dem sich all die hier behandelten Städte leerten, mehrfach ihr eigenes Verschwinden ins Werk setzte und Ray Bradburys „There Will Come Soft Rains“ etwas weniger fantastisch wirken lassen.

Doch „Abandoned City“ ist keine Reportage und erstrecht kein Kommentar, vielmehr ein an Anspielungen reiches Variieren eines Themas, das soziologisch-ökonomisch sicher unzählige Male erklärt worden ist. Musisch ist es jedoch ein nahezu unerschöpfliches Thema, geradezu gegensätzlich zur Miene in Elisabeth Bay. Diesem Mysterium gibt Hauschka einen melancholischen Ton, der nie lamoryant anmutet, auch wenn in „Who lived here?“, dem einzig ortlosen Stück, auch der bittersüße Überschwang seine Momente hat. (U.S.)

Label: City Slang