Betrachtet man den Werdegang des gebürtigen Australiers John Murphy, so hat man den Eindruck, dass alle Bands/Projekte, bei denen er musikalisch/konzeptionell federführend ist/war und nicht nur eine helfende Hand, einen gewissen rituellen Charakter besitzen, sei es das nun wieder aktivierte Projekt Krank, die leider nicht mehr aktiven Knifeladder, Last Dominion Lost, deren jüngst veröffentlichtes Album “Towers of Silence” sicher zu den Höhepunkten postindustrieller Musik des Jahres 2014 gehört oder aber The Grimsel Path. Rituell sollte aber natürlich bezogen auf das auf 100 Exemplare limitierte „Verdant Hum“-Tape nicht allzu eng gefasst werden.
Ebenso wie auf der „Epicurean Escapism“-Compilation ist Kranks Track „NAOS Number 1“ lang: Das ursprünglich 2007 und 2012 von Murphy und Gerechtigkeitsligas Til Brüggemann aufgenommene Stück vereint Elektronik, die wie zwitschernde Vögel klingt, Fiepen, dunkles Dröhnen, Glöckchen, Klingeln, Noisefragmente zu einer Kollage, die genug Leerstellen enthält, um Vorhersehbarkeit zu entgehen und letztlich ein Soundtrack für einen Film sein könnte, der seine Inspiration aus J. G. Ballards Mitte der 70er publizierten Werken wie Concrete Island oder High Rise zieht.
The Grimsel Path -ein Name, der erstmalig als Tracktitel auf Last Dominion Losts Album „The Tyranny of Distance“ auftaucht – besteht aus John Murphy und Jon Evans. Die sechs Tracks wurden 2012 in Berlin während des „Foetus Frolics“-Festivals aufgenommen. Nach dem ausufernden, epischen Krank-Track deklinieren Evans und Murphy auf den zwischen knapp drei und fünf Minuten langen Stücken durch, was industrielle Musik, die auf allzu Brachiales, allzu Drastisches verzichtet, alles kann. Es gibt zwar durchaus Anklänge an Krank, aber insgesamt ist The Grimsel Path etwas rauer – was vielleicht auch dem Livekontext geschuldet ist. Der Opener „Deviation“ scheppert – wenn man will, kann man das perkussiv nennen. Auf „Scorched Earth“ hört man entfernte Stimmen. „Hair Soap Candles“ beginnt mit weit im Äther verborgenen Sprachsamples, bevor es rumpelt und kracht. „Run Please Master“ wird von einem Loop durchzogen, der hier durchaus die Rolle von Perkussion einnimmt – und der etwas an Premature Ejaculation-Stücke erinnert. Soundmäßig ist das vielleicht auch gar nicht so weit von NONs „Blood and Flame“ entfernt. „Sideshow of the Soul“ hat eine dunkle Grundstimmung: Es pulsiert unheimlich, Störgeräusche ertönen. Bei „End of Transmission“ hat man den Eindruck, irgendetwas wolle sich aus Schutt und Abfall hervorwühlen. The Grimsel Path machen Musik, die ein wüstes, urbanes, fast entvölkertes Niemandsland heraufbeschwört. Vielleicht wohnen Murphy und Evans ja eigentlich in Detroit.
Das Artwork des Tapes wurde von Kristian Olsson gestaltet, dessen Arbeiten man sich auf seiner (nicht gerade subtil betitelten) Seite anschauen kann. Das Cover sieht aus, als habe Steven Stapleton sich eine Überdosis Fulci – pardon – einverleibt.
Um eine kürzlich hier besprochene, musikalisch allerdings völlig andere Veröffentlichung zu zitieren: „Some things hum. Some things do not hum. “. Dieses Tape mit seinen synästhetischen Titel macht dies bestimmt. (M.G.)
Label: The Epicurean