Bei einem Künstler wie Charlemagne Palestine besteht immer die Gefahr, dass man sich mehr auf den Überbau als auf das Eigentliche konzentriert, will sagen, dass man ihn auf die Rolle des outsider artists reduziert, auf den skurrilen Mann mit Hut, Cognac und enormer Plüschtier(an)sammlung – von denen einige wie schon bei anderen Veröffentlichungen auch das Cover des unaussprechlich betitelten neuen Albums zieren und das den Eindruck erweckt, hier sei diesen Kinderspielzeugen ein Altar errichtet worden, die Sakralisierung des Profanen also. In der Pressemitteilung wird Palestine dann auch als „our favourite shaman“ betitelt und da mag es ganz passend sein, dass das Album auf einem Label erscheint, das das Eigenwillige und Eigene, das Seltsame, von anderen vielleicht nicht (so) Reproduzierbare, im Namen trägt. Eigentlich sollte man das alles aber einfach vergessen und sich auf die Musik konzentrieren, denn der fünfzigminütige Track kann auch ohne all das mehr als nur bestehen.
Wer Palestine schon einmal live erlebt hat, der weiß, dass er gerne Gläser reibt und mit solch einem Klang beginnt der Track auch. Dann setzt der Falsettgesang Palestines ein -schon auf den auf Durto veröffentlichten Album „Karenina“ hatte Palestine zu Harmoniumdrones auf zwei CDs seine Stimme in hohe Regionen bewegt. Auf „Ssingggg Sschlllingg Sshpppingg“ untermalt im Hintergrund ein Orgeldrone Palestines Gesang. Wenn das alles wäre – und der in Brüssel lebende gebürtige Amerikaner hat im Laufe der Jahrzehnte genug Alben veröffentlicht, die aufs Äußerste reduziert waren – , dann könnte man das leicht unter dem Label Minimalismus abspeichern, das Album dann aber vielleicht auch schnell wieder vergessen; stattdessen entwickelt der Track eine unglaubliche Dynamik, fast könnte man von einem narrativen Charakter des Albums sprechen, denn wie Palestine hier (anfänglich) nach und nach mit leichten Variationen die Spannung verdichtet, der Drone melodischer zu werden scheint, sporadisch Palestines Stimme (wieder) einsetzt, ist schon beeindruckend. Und als wäre das nicht schon genug, brechen dann plötzlich weitere Klangquellen und Feldaufnahmen ein: Kinderstimmen, Bahnhofsdurchsagen (?), verrauschte und holprige Perkussion, es zwitschern Vögel, Grillen zirpen. Bei dieser Übereinanderschichtung und Verdichtung, dieser mehr latenten als manifesten Bedrohung, die man als Hörer verspürt, muss man fast unweigerlich an Industrial denken -stellenweise wird man an David Jackmans Organum erinnert-, bevor dann nach 47 Minuten (fast) nur noch Stille zu hören ist: Das Weinglas wird erneut gespielt, lässt an ein Theremin denken. Nach dieser Tour de Force bleibt offensichtlich nur noch Comic relief: Ein Stofftier gibt eine Gesangseinlage – vielleicht hat Palestine aber auch einfach nur Helium inhaliert.
(M.G.)
Label: Idiosyncratics