John Murphy ist einer der wenigen Pioniere des Industrial, die der Musik, die sie miterfunden haben, über die Jahrzehnte hinweg treu geblieben sind. Und das muss bei Murphy schon deshalb hervorgehoben werden, weil er ein ausgesprochen vielseitiger Musiker ist, der meist mehreren Arbeiten parallel nachgeht und so manche Wandlungen und Entwicklungen vollzogen hat. John ist seit den 70ern ein renommierter Drummer, spätestens seit seiner Zeit bei SPK ist die elektronische Bearbeitung von Sounds sein zweites Standbein, und vielleicht sind seit jeher gerade die Projekte am interessantesten, bei denen er beide Fähigkeiten zusammenbringt. Murphy nahm im Australien der späten 70er aktiv an der Punkbewegung teil und kam von dort direkt zum gerade aufkommenden Industrial. Später, nach einer ersten Zeit in Europa, spielte er als Drummer mit z.T. kommerziell recht erfolgreichen Rock- und Pop-Acts wie Max Q. Interessanterweise finden diese Arbeiten heute auch ihren Nachhall in seinem Livedrumming mit zahlreichen akustischen Dark Folk-Gruppen. Seit einigen Jahren konzentriert sich Murphy wieder verstärkt auf seine eigenen Bandprojekte, und in den letzten Jahren gab es zahlreiche Aufnahmen und Konzerte mit Acts wie Krank, The Grimsel Path, Walking Corpses und v.a. Last Dominion Lost, von denen bald ein Konzertmitschnitt mit exklusiven Stücken erscheinen wird. Gerade diese Aktivitäten und ihre Hintergründe stehen auch im Zentrum des Interviews, das wir vor kurzem mit Murphy geführt haben. Ebenfalls zur Sprache kommt Johns schwieriger gesundheitlicher Zustand. Am Tag unseres Treffens war er trotz allem ein ausgesprochen heiterer und freundlicher Gastgeber, was sich ebenfalls in dem Interview abzeichnet. An der Stelle wollen auch wir John, seiner Frau Annie und allen engen Angehörigen und Freunden die besten Wünsche ausrichten.
John, die letzten Jahrzehnte über warst du sowohl als Beobachter als auch als Musiker Teil der sogenannten “industrial culture“. Was kannst du uns über die wichtigsten Entwicklungen und Veränderungen erzählten, die du beobachtet hast und zu denen du beigetragen hast?
Nun, es ist heute alles wesentlich variationsreicher, viele unterschiedliche Subgenres waren irgendwann da. Viele Sachen, die in den frühen Tagen entstanden sind, entwickelten sich in Richtung Power Electronics, wo jeder irgendwann Whitehouse kopierte, und es immer um Serienmörder und solche Sachen ging. Ich könnte mich irren, aber ich denke, dass das nicht mehr so sehr im Vordergrund steht.
Es wurde irgendwann zu einer Sackgasse..
Ja, es ging immer nur um die gleichen Themen, eine Sackgasse, es wurde immer langweiliger. Und heute ist da viel mehr Humor drin, was wichtig ist, vieles damals war komplett humorlos, und es kam von Leuten, die in der realen Welt offensichtlich mit psychischen Problemen zu kämpfen hatten. Ein paar Leute in der frühen Zeit wie Cabaret Voltaire oder Throbbing Gristle hatten eine Menge Humor, aber das ging anscheinend verloren, und die Leute, die danach kamen, zumindest viele davon, ließen jeden Humor vermissen. Besonders Acts aus Nordeuropa, die die britische Ironie nicht verstanden, den bizarren englischen Humor, den es auch in Australien gibt. All das gab es bei ihnen nicht, sie kamen immer mit dem gleichen Zeug an und es wurde langweilig. Jon Evans ist der beste Gesprächspartner, wenn man über so etwas reden will, wir haben oft darüber diskutiert. Es wurde langweilig, viele der Leute waren langweilige Typen im wirklichen Leben. Eindimensional und immer nur am reden über dunkle, schwarze Themen. Vielleicht ist es etwas Kulturelles, aber irgendwann war das auf einmal nicht mehr so.
Gab es jemals eine Zeit, in der du dachtest, du würdest den Kontakt zu dieser Szene verlieren?
Ja, und so ein bisschen kam es tatsächlich dazu, als ich Mitte der Achtziger in Australien war. Ich hatte eine Menge an kommerziellen Projekten laufen wegen meiner Fähigkeiten als Drummer, aber ich gab es nie wirklich auf, auch wenn ich gelegentlich daran dachte. Viele Leute damals sagten „du bist ein großartiger Drummer, du verschwendest deine Zeit mit dem ganzen scheiß Krach“, aber ein Teil von mir wollte das immer noch machen. Ich bekam nicht viel Zuspruch damals, eher im Gegenteil, die Leute versuchten es ins Lächerliche zu ziehen, aber ich sagte „es interessiert mich nicht, was ihr denkt, es ist mir scheißegal, und wenn es euch nicht gefällt, dann muss was Gutes dran sein“, verstehst du… Ich blieb immer dran, auch wenn ich wusste, dass es da kaum Erfolgsmöglichkeiten gab, ich zog das nicht einmal in Betracht. Ich dachte international, und das war alles lange vor dem Internet. Ich hatte Sachen herausgebracht über das Label Extreme Records, das meistens nach Übersee vertrieb, hauptsächlich Kassetten.
Kraang und andere Sachen…
Ja, Kraang und ein paar Live Performances, und die andere Sache namens Shining Vril, die ganz frühen Shining Vril hatten zwei andere Namen, ich konnte mich nie entscheiden, welchen ich nehmen sollte. Einer davon war My Father Of Serpents. Es war so etwas wie ein Proto Dark Ambient Ritual-Ding. Ich nannte es aber manchmal auch Ophiolateria, ein altes Wort für Schlangenkult, ich hatte Kassetten unter dem Namen bei Ülex Xane herausgebracht, der Mann hinter Streicher, der viele Jahre lang Extreme Records betrieb. Und das immer noch macht, ich kenne ihn ziemlich gut. Wir hatten unsere Mühe, auch nur zwanzig Leute zusammenzubekommen, die in Melbourne Industrial mochten. Zur gleichen Zeit hatte ich mit jemand anderem Orchestra Of Skin And Bone, eine Art Avantgarde Postpunk-Geschichte, die ich für ziemlich gut erachtete.
Was denkst du ist heute die Rolle von Industrial-Musik, nachdem jedes Tabu gebrochen und in zahlreichen Talkshows diskutiert worden ist? Es scheint nicht mehr nötig zu sein, einen “Informationskrieg” z.B. über abweichende Sexualität zu führen.
Es ist heute einfach eine weitere Art von Musik. Nun, das ist meine Ansicht dazu, es ist kein musikalisches Neuland mehr wie in den späten Siebzigern, als Throbbing Gristle aktiv waren.
Ein weiteres Popgenre?
Um ehrlich zu sein, ja. Denn es beeinflusst die allgemeine Kultur unserer Zeit nicht mehr, es ist vollkommen unterschieden von heutigen Formen von Subkultur, nun, macht bei DENEN mit…
Von den Medien akzeptiert und zugleich ignoriert.
Genau, es ist nichts, womit du die noch wirklich schockieren kannst, es ist akzeptiert, nur eben mit Ohrstöpseln. Wenn du etwas wegen der Schockwirkung machen willst, nimm etwas anderes, aber vielleicht nicht gerade Musik. Es ist nur ein anderes Segment der Unterhaltung. Wir leben in einer anderen Ära speziell der elektronischen Musik, es gibt hunderte von unterschiedlichen Genres heutzutage. Industrial gilt allgemein als einer der Väter alldessen, aber es ist nicht relevant für die meisten der elektronischen Musikproduzenten heute, es ist Teil der Geschichte, aber es wird nicht mitreflektiert. Klar gibt es immer noch Leute, die Industrial-Musik spielen, aber für die Welt da draußen ist das nicht sehr wichtig.
Ich dachte letztens, dass eines der Schlüsselelemente der Bands oder Projekte, in denen du eine wichtige Rolle spielst, ein gewisses rituelles Element ist. Siehst du das auch so?
In den meisten, ja. Vielleicht nicht in allen, ich hatte ein paar Rockprojekte mit Leuten hauptsächlich in Australien, die das vielleicht nicht so hatten, aber das meiste aus dem experimentellen Bereich hat sehr viel Ritualismus in sich. Ich kann dir nicht sagen, warum das so ist, es ergibt sich einfach. Ich hatte nie viel mit EBM und vergleichbarem im Sinn, ich bin mehr im freien Fluss, so wie in einer Free Jazz-Band, weißt du, bei der eine dritte Stimme durch dich spricht. Es ist etwas, das einfach passiert.
Du planst und komponierst nicht so viel im Vorfeld..
Ja, manchmal vielleicht, aber es hängt davon ab, welches Projekt es ist, ich gehe nicht alles auf die gleiche Art an. Ob ich zum Beispiel aufnehme oder live spiele, davon hängt das ab. Mit wem ich arbeite ist von großer Wichtigkeit.
Fasziniert dich die technische Seite der Musik, oder ist das mehr etwas notwendiges, das man eben beherrschen muss?
Nun, ich hab es nie wirklich beherrscht… Ich finde es nicht so faszinierend und ich glaube auch nicht, dass es absolut notwendig ist, aber ich denke, es ist sehr hilfreich. Hängt davon ab, was du machst, nicht wahr. Wenn du hauptsächlich akustisches oder Jazz spielst, ist es nicht so wichtig, einen Laptop zu benutzen. Ich hab keine Abneigung gegen Computer oder elektronisches Equipment, ich arbeite gerne damit, aber ich bin kein leidenschaftlicher Enthusiast, was das angeht. Ich glaube, viele Leute haben eine solche Herangehensweise an die Musik, und ich denke vielen von denen sind autistisch, zumindest ist das meine Beobachtung des Charakters vieler Leute. Das sind offensichtlich Leute, die früher niemals in einer Band gespielt hätten, weil sie nicht wissen, wie man mit anderen Menschen interagiert. So hilft ihnen dann ein Laptop oder irgend eine andere Art von Computer-Technologie, ihre Erfahrungen zu machen und ihre Ziele zu verwirklichen. Ich hab keine Abneigung dagegen, Computer-Technologie zusammen mit anderen Dingen zu benutzen, meine einzige Abneigung richtet sich gegen Shows, wo man jemanden hinter einem Laptop sitzen sieht. Oft haben sie dann eine interessante Lichtshow, aber alles was sie machen, ist ein Midi-Keyboard zu spielen und ein paar Knöpfe zu drücken.
Wie in einem Büro.
Ja, irgendwie reizt mich das nicht. Für mich sind es Leute, die vor zwanzig Jahren, in der Zeit vor dem Internet, nicht einmal davon geträumt hätte, live auf einer Bühne zu spielen. Nun können sie das, es ist gut und schlecht zugleich.
Du lebst jetzt schon eine ganze Weile in Berlin. Was macht diese Stadt zu einem so guten Ort für Künstler?
Das Preiswerte, nicht wahr? Eine nette Atmosphäre, ja, und es ist relativ sicher. Und generell gibt es relativ gute kreative Vibes. Und ich habe eine Community hier, mit der ich ziemlich gut klar komme und arbeiten kann. Das hilft. London ist ebenfalls ein guter Ort mit guten Vibes, nur dass es eben ziemlich teuer ist. Berlin ist vielleicht die preiswerteste Stadt in Europa, und für jemanden mit einem begrenzten Einkommen wie ich ist es ein Geschenk Gottes, auf jeden Fall. Ich wollte zum Beispiel nicht in Kopenhagen leben wollen.
Auch in London ist es wohl schon schwieriger, Konzerte zu organisieren.
Nun, das ist noch mal eine andere Sache, es war früher nicht so. In den späten 90ern und den frühen 2000ern war es nicht so schwierig, aber nun wird es immer schwieriger, es gibt tausende von historischen Orten des alternativen Londons, die gentrifiziert und geschlossen werden, die Konzerträume existieren zum Teil nicht mehr. Deshalb benutzen sie heute Lagerräume, aber es ist immer noch schwierig.
Auch das Publikum ist etwas überschaubarer als hier.
Ich war länger nicht da für eine Show, ich war letztens Jahr mal kurz da. Es war eine ziemlich enthusiastische Crowd, aber ja, so viele Leute waren es nicht.
Du hast über die Jahre in verschiedenen großen Städten gelebt. Hättest du deine Musik auch außerhalb eines urbanen Umfeldes machen können? Nicht nur wegen der fehlenden Auftrittsmöglichkeiten und Netzwerkstrukturen etc., sondern auch im etwas allgemeineren Sinne wegen der Atmosphäre.
Nun, das hängt von der Zeit ab und auch generell wo das wäre. Ich hätte wahrscheinlich nicht viel machen können, wenn ich in Australien in einer Kleinstadt gelebt hätte. Heute ist das vielleicht möglich mit Laptops und dem ganzen Zeug. Aber dann wäre es auch wieder sinnlos, du könntest es machen und würdest dich dann über die anderen Leute ärgern. Vor zwanzig Jahren, vor dem Internet, konntest du in eine Plattenladen gehen um Samples u.s.w. zu bekommen, aber grundsätzlich war da einiges schwieriger, and das hätte sowieso eine Menge Leute abgeschreckt. Als ich aufwuchs, und Jon Evans und Julian von Last Dominion Lost können das bestätigen, lebten wir in etwas, das man „cultural gringe“ nannte und was Europäern etwas schwer zu erklären ist. Grundsätzlich gibt es da die Annahme, dass alles, was kulturell aus Europa kommt all unseren lokalen Errungenschaften gegenüber haushoch überlegen ist, ganz egal, was es sein mag, Kunst, Film, Musik. In einigen Jahren mag das vorbei sein und zurückkommen als eine Art Arroganz. Aber auch mit dem Internet ist es immer noch irgendwo im Hintergrund vorhanden, die Leute glauben nach wie vor nicht wirklich an das, was sie machen. Einige tun das heute, weil sie mit Gleichgesinnten vernetzt sind, aber du wärst überascht, wie viele Leute einfach nicht glauben würden, wenn du ihnen sagst „sieh mal, du bist ein fantastischer Musiker, warum kontaktierst du nicht diese oder jene Person im Ausland oder diese oder jene Websites.“ Sie denken das, weil sie Australier sind, es ist eine Art Minderwertigkeitskomplex, vielleicht kommt es daher, dass wir von Sträflingen abstammen, wer weiß. Wir haben uns oft gefragt, warum diese Mentalität existiert und weshalb sie nicht weggeht, oder zumindest nur ein bisschen mit dem Aufkommen des Internet.
Hat es vielleicht auch mit der Quantität der Sachen zu tun, die vergleichsweise aus Europa kommen? Viele Sachen passierten auch früher in England zum Beispiel, als damals Industrial und Punk aufkamen.
Ja, auch das stimmt. Es kam alles von dort. Aber manchmal entwickeln sich Dinge recht schnell. Es gab eine Industrial-Szene in Australien 78/89, SPK waren die wichtigste Band, und es gab die Band, in der ich spielte, Whirleywirld, die klangen ein bisschen wie Tuxedomoon meets Cabaret Voltaire, aber auch mit Bowie-Einflüssen. Wir hatten ziemlich früh kapiert, dass wir damit nicht weit kommen würden, einfach wegen der Voraussetzungen und wegen der Kulturindustrie und speziell der Musikindustrie. Du musstest nach Übersee gehen oder du fällst hin und gibst auf. Viele der Leute gingen nicht ins Ausland und endeten beim Drogenmissbrauch, es wurde sehr negativ, Drogen und Alkohol, jede Menge davon. Aber das Punk-Ding ging weiter, und das war sehr wichtig. Dank der kulturellen Verbindungen mit Großbritannien entwickelte sich Punk sehr schnell immerhalb einer Minderheit. Die Szene in Melbourne war ziemlich verschieden von der in Sydney. Das ist noch eine andere Geschichte, diese beiden Großstädte interagierten nicht sehr miteinander, wenn es um Musik und Underground-Sachen ging. Sie waren ziemlich separiert, nicht viele Bands tourten von Sydney nach Melbourne und umgekehrt.
Es wurde gar nicht groß getourt innerhalb Australiens?
Nun, sie hätten das gerne, aber nicht in einem Maß wie heute, wo jeder gut herum kommt, damals war es rarer. Die Szene in Sydney war viel mehr hardcore, britisch beeinflusster 77er Punk traf auf Avantgarde, auf die Industrial-Seite des ganzen im Sinne von Throbbing Gristle oder SPK. Es gab da eine ziemlich große Szene in den Siebzigern, viel größer als in Melbourne, die Szene in Melbourne war auch generell mehr arty. The Birthday Party an der Spitze und prinzipiell mehr das Mittelklasse Post Punk-Ding, nur wenige Hardcore Punk-Bands. Ich kann dir da einen Sampler vorspielen, der die Trennung zwischen beiden Orten wiederspiegelt, wir hatten Bands wie Birthday Party, die sich damals noch Boys Next Door nannten, und es gab eine Menge Bands, die versucht hatten, sie zu imitieren, die Boys waren viel mehr arty, sagen wir Siouxsie and the Banshees meets The Pop Group, längst nicht so aggressiv, wie sie später wurden. Die waren wirklich gut, sie waren keine exzellente Gruppe, hatten mehr ein starkes Image, aber es war nie Hardcore Punk. Eher ein bisschen wie Bands wie Magazine oder frühe Joy Division, die auch vom Punk kamen, aber irgendwann nicht mehr nach den Regeln spielten und ihre eigene Stimme fanden, bevor sie nach London kamen. Dann gab es Brisbane, die andere Stadt, die auch wieder komplett anders war, die waren da stark beeinflusst von Handcore-Sachen wie The Saints, die waren eine fantastische Gruppe und hatten einen enormen Einfluss auf ihre lokale Szene, richtig aggressiver Aussie Punk mit einem abgewetzten Look. Aber die Musik ging weiter. Adelaide hatte mehr ein Faible für Powerpop, sie hatten aber auch Punkgruppen, viele Hardcore-Sachen in den mittleren Achtzigern, als ich wieder in Australien war. So war es in den verschienenen Städten, aber sie interagierten nicht stark miteinander, weil es eben so weit war, zu reisen. Um von Melbourne nach Sydney zu kommen, was ich mit einer Punkband manchmal gemacht hatte 1978, musstest du hunderte von Kilometern in einem Transporter zubringen.
Welche Band war das?
Die Band nannte sich The News, sie brachten ein paar Singles heraus, die heute Sammlerstücke unter Punks weltweit sind. Zwei Wochen, bevor ich mitmachte, hatten sie eine Single Ende 77 in einer Papierhülle, auf dem Frontcover war ein Foto einer Abtreibung, der Song hieß „Nobody wants me“. Es klang wie die Mischung einer melodische Choirboy-Kapelle und den Ramones, aber sie änderten ihren Namen eine Woche bevor ich beigetreten bin im September 77.
Wenn du an neuen Aufnahmen arbeitest, welche alltäglichen Erfahrungen spielen da mit rein? Was inspiriert dich?
Nun, das hängt ganz davon ab, wie man sich in einer bestimmten Situation fühlt, und was du gerade zur Hand hast. Wie es dir geht und welches Equipment du besitzt und wo du etwas machst, die ganze Umgebung. Wenn du an einem Ort bist, an dem du dich unwohl fühlst…
Das macht sich dann schon bemerkbar…
Ja, das kann dann ganz anders klingen, aber du bist auch vielleicht noch viel motivierter und am Ende kommt vielleicht etwas heraus, womit du mehr als zufrienden bist. Aber das ist sicher bei jedem Komponisten noch mal anders.
Siehst du dich eigentlich mehr als Komponist oder eher als Improvisierer? Oder arbeitest du auf eine Art, bei der diese Unterscheidung keine große Rolle spielt?
Nun, es ist wahrscheinlich eine Kombination aus beidem, ich habe nie darüber nachgedacht. Bei Last Dominion Lost spielt Improvisation eine wichtige Rolle, aber wir improvisieren jetzt auch nicht übermäßig stark, sonst wäre es schnell ein chaotisches Jam, wir komponieren auch. Es gibt Raum für Improvisation, und das prägt das ganze Konzept, wenn Jon, Julian und ich zusammenarbeiten.
Last Dominion Lost hat mit einigen losen Studiosessions begonnen, aus deren Material dann “The Tyranny of Distance“ hervorgegangen ist. Damals existierte der Name nicht mal, wenn ich mich recht erinnere..
Das stimmt, ja, Jon und ich und Dominic Guerin waren zusammen in SPK, sie waren da letztlich noch mehr involviert als ich, und wir nahmen eine Menge Tracks auf in Dominics Heimstudio 1991 und 92. Auf diesen Aufnahmen basiert „The Tyranny of Distance“. Es war nie dafür bestimmt, unter den Namen Last Dominion Lost herauszukommen, ursprünglich sollte das Projekt Merge heißen, was meiner Meinung nach ein ziemlich mittelmäßiger Name war. Letztlich war es Klaus von Tesco, der dieses legendäre verschollene Post-SPK-Tape hören wollte, denn er ist ein großer SPK-Fanatiker. Ich erzählte ihm davon und sagte, dass man da viel Arbeit hineinstecken müsste, einige Tracks waren nicht zu gebrauchen. Ich hatte die einzige Kopie, eine Kassette, und ich dachte die ganze Zeit, wie schade es ist, dass nie etwas damit passierte. Wie auch immer, ich zahlte für all das Remastering 2003, was über 400 Euro kostete. Wir bekamen all den ungewollten Lärm weg, der sich in den Aufnahmen fand, denn es wurde auf ein wirklich schlechtes Tape aufgenommen. Ich packte die brauchbaren Tracks drauf, Jon war damit sehr zufrieden und hielt das für eine gute Idee, aber Dominic war nicht zufrieden, er dachte, ich wollte ihn abzocken, was ich keineswegs wollte. Als Klaus mir die Royalties auszahlte und durch drei teilte, hatte ich auch das Geld nicht genommen, dass ich für das Remastering investierte.
Worauf bezieht sich der Titel?
Der Titel stammt aus dem gleichnamigen Buch des australischen Historikers Geoffrey Blainey und beschreibt, wie die “Tyrannei der Entfernung” von Europa die Mentalität Australiens und Neuseelands geprägt hat, als abgeschnittene europäische Länder sozusagen – im Hinblick auf so ziemlich alles, was sie waren und immer noch sind, deshalb kaufte ich all das Artwork, Postkarten und verschiedenes Bildmaterial, Ägyptische und Sumerische Motive, vom British Museum und überblendete es mit einer Hand, wo die Adern herauskommen. Mein Freund Paul Roster hat das montiert, es kostete ebenfalls noch mal 200 Euro. Ich habe nichts davon zurück bekommen, aber es war meine Idee, das herauszubringen, denn ich kann es nicht leiden, wenn Sachen so in der Schublade herumliegen. Und dafür war es einfach zu gut, aber Dominic war nicht so dafür.
Weil er fand, dass das ein abgeschlossenes Kapitel sei?
Nein, erhielt einfach nichts von der Idee, es zu veröffentlichen. Ich weiß nicht, du müsstest ihn fragen, aber er dachte wohl, ich würde irgendwie beanspruchen, dass das meins ist, und dachte wohl auch, dass ich heimlich ordentlich Gewinn damit machen würde.
Ok, ein eher persönliches Misverständnis…
Ja, ich meine, wir sind immer noch Freunde und so weiter, aber er hat da was falsch verstanden, er hat so wenig Bezug heute zu mir, zu Jon in einem gewissen Grad und überhaupt zu Leuten, die immer noch solche Sachen machen. Irgendwann unternahm er einen halbherzigen Versuch, ein Kassetten-Label in Amerika zu kontaktieren, das er kannte, aber dann existierte das Label nicht mehr und er kümmerte sich nicht weiter, und mit der Zeit hatte er kein Interesse mehr. Und ich wollte nur, dass es herauskommt, denn ich mag es nicht, wenn sehr gute Sachen verloren gehen, und das passiert vor allem in Australien viel zu oft. Vielleicht ist es so ein „Mañana“-Ding…
Was ist das?
Mañana ist das spanische Konzept, alles morgen zu machen, so eine mit der Hitze zusammen hängende Faulheit. Was ziemlich typisch ist für Australien, wir sind ein sehr faules Land. Klaus Hilger von Tesco war interessiert, ohne ihn wäre das wahrscheinlich nie überhaupt herausgekommen. Und er blieb hartnäckig, wollte nur dieses Tape hören. Ich spielte es ihm vor und er wollte es veröffentlichen. Dominic hat davon in Wirklichkeit profitiert, einige seiner alten Sachen mit Twin Vision, also dem Video-Arm von SPK, wurden von Tesco wiederveröffentlicht, was ohne „Tyranny of Distance“ wahrscheinlich nicht passiert wäre. Es war kein guter Verkaufsschlager, eher einer der größten Flops auf Tesco, aber ich bin froh, dass es herauskam. Ich wollte es als historisches Dokument verfrügbar machen.
In den letzten Jahren ist Last Dominion Lost dann quasi zu einer “richtigen” Band geworden. Wie hat sich das auf den Entstehungsprozess eures exzellenten Albums ausgewirkt? Wie schreibt ihr Stücke und nehmt zusammen auf?
Das hat sich alles über die letzten Jahre hinweg ergeben, wir haben täglich geprobt, oft waren wir die ganze Nacht im NK und nahmen bis 6 Uhr morgens auf, alles live, und ich liebe Aufnahmen, die gut funktionieren. Wir haben eine Menge aufgenommen, das meiste ist aus den zwei Jahren vor der Veröffentlichung, Stücke, die wir in unterschiedlicher improvisierter Form ausgearbeitet haben. Wir spielten live im Studio, ich hab mit dem Sampling und mit Drums und Loops gearbeitet, Jon mit seinem Laptop und dem MS-20 und Julian benutzte immer verschiedene neue Saiteninstrumente. Es war tatsächlich wie halb-live, manche der Tracks kamen einfach so zustande, als wären sie vom Himmel gefallen, und wir mussten sie nur noch aufpolieren mit diversen Overdubs. Die Basis war manchmal recht viel Arbeit, aber manchmal kam es auch überraschend schnell zusammen, in nur 10-20 Minuten oder so.
Die Stücke auf “Towers of Silence“ beziehen sich auf Religion (alte Begräbnisstätten, Buddhistische Rituale), aber auch auf aktuelle Phänomene wie Killer. Was kannst du uns über einige der Konzepte hinter “Towers of Silence“ erzählen?
Ich war nicht komplett involviert in all das, wir mochten die Bilder religiöser Phänomene, die Jon und Julian anbrachten, ich habe meine eigene Spiritualität, eine Art Buddhistischen Gnostizismus, aber wir schauten uns verschiedene Bücher und Bilder an. Was ich singe, ist recht einfach, denn ich kann nicht gut zugleich singen und Schlagzeug spielen, aber die Worte kamen zusammen, als seien sie aus dem Äther gefallen, und beziehen sich auf Zoroastrische Begräbnisse, Tibetische Begräbnisse und ähnliches mehr, aber es gibt da kein übergreifendes Konzept, es gab nur diesen Einfluss von Ritualismus aus unterschiedlichen Religionen. Es ist ein Stück enthalten, was wir sehr mochten und was sich auf die südostasiatische Version der NATO, genannt S.E.A.T.O., bezieht. Das kam zustande, weil wir in Julians Zimmer waren und spät nachts noch aufnahmen, Jon recherchierte im Internet über die Geschichte der S.E.A.T.O. und sagte irgendwann “warum nehmen wir nicht die albernsten Worte, die jemals in einem Industrial Noise-Stück verwurstet worden sind, sinnloses Zeug?“ Wir verwendeten nur ein paar Phrasen aus Wikipedia, denke ich, du musst Jon fragen. Ich wiederholte nur die ganze Zeit “S.E.A.T.O.” und Jon warf Worte über diese Organisation ein, die direkt nach dem Vietnamkrieg zusammenbrach, in Gegensatz zur NATO, also im Grunde die Schlagzeilen von gestern. Das Lächrlichste, worüber wir singen konnte, obwohl das Thema interessant ist.
Ein weiteres eurer jüngeren Projekte ist The Grimsel Path, das auf ein Stück auf dem Last Dominion Lost-Debüt anspielt…
Ja, da kommt der Name her. Leute fragen immer wieder, woher der Name kommt.
Gibt es nicht eine Straße in London, die so heißt?
Ja, die Proben waren in Südlondon, in dem Studio von KnifeLadder, direkt um die Ecke einer kleinen Gasse namens The Grimsel Path. Ich dachte, das ist ein witziger Name.
Ich weiß nicht, was „Grimsel“ genau heißt..
Grimsel geht Jahrhunderte zurück, es bedeutet vielleicht „scary path“. Ich mochte es schon immer als Name, und als Jon mit diesem Projekt ankam, als Julian einen Monat lang zurück in Australien war, nahmen wir ihn. Wir hatten eine Grimsel Path-Performance vor ein paar Jahren in Lichtenberg, die ziemlich gut war, ich wollte das auch immer mal wiederholen, wir hatten einen recht anderen Sound als mit Last Dominion Lost.
Ist The Grimsel Path nur als Projekt für Liveauftritte gedacht, oder gibt es – neben dem Live-Mitschnitt auf Tape – auch Pläne für Aufnahmen?
Wir würden auf jeden Fall was aufnehmen, wir hatten auch ein paar Angebote. Ich kann nichts machen, bevor ich wieder gesund bin, aber ich würde sehr gerne.
Was denkst du ist der Hauptunterschied zwischen Last Dominion Lost und The Grimsel Path?
Ich finde, es gibt einen Unterschied im Sound, einen ganz bedeutenden, bei beiden ist der Sound grundsätzlich elektronisch, beides ziemlich heftig, gegen die Wand, aber sehr unterschiedlich. Sie sind auch als etwas sehr unterschiedliches gedacht. Ich verwende mehr Laptop-Akustik in Last Dominion Lost. Grimsel Path verwenden Boxen. Ich war im NK irgendwann letztes Jahr, und da war dieser Typ aus Norwegen, der auf den Kanarischen Inseln lebt, der hat Boxen hergestellt, in denen er kleine Gegenstände installiert, mit denen man Lärm erzeugen kann. Kontaktmikros und sowas. Wenn du es verstärkst, wird es richtig laut. Ohrenbetäubend!
Krank (in all seinen Schreibweisen und Inkarnationen) existiert, wie du schon andeutest, seit langem. Wie kam es dazu, dass du es wiederbelebt hattest, und welche Rolle spielen die anderen Leute, die dazu beitragen?
Krank nannte sich ursprünglich Krang, aber irgendwann in den 90s in Australien fing ich an, mit dem Namen herumzuspielen. Es gab eine Danceband, die sich Krang nannte, deshalb nannte ich es erst mal Krang Music. Ich brachte 1981 eine Kassette unter diesem Namen heraus, die sich ziemlich gut verkaufte. Alles extremer White Noise, der wie “Metal Machine Music” in drei verschiedenen Tracks klang. Ich hatte noch andere Krang Music-Tracks für diverse Compilations bis Ende 1983. Währenddessen spielte ich in SPK. Ich hatte nur ein bisschen die Nase voll, mich zu wiederholen in puncto Genre u.s.w., und als ich dann eine Live-Performance in Sydney hatte, gab es da eine Menge ritualistischer Elemente, Tibetische Knochen u.s.w., deshalb änderte ich den Namen wieder, ich glaube, ich setzte das “G” an den Anfang. Irgendwann veröffentlichte ich das und ich muss mir das Tape mal wieder besorgen.
In welche anderen Sachen warst du damals involviert?
Ich hatte eine Menge Sachen gemacht zu dieser Zeit, viele kommerzielle Sachen, ich arbeitete als Session-Drummer. Aber ich hatte diese Band mit Ollie Olsen, Orchestra of Skin and Bone. Wir hatten verschiedene Inkanationen in der Zeit, als ich gerade zum Industrial zurückkehrte. In einer Konzertreview in einer australischen Zeitung sagte jemand, es sei ein bisschen wie SPK, bloß etwas ritueller und ursprünglicher, was irgendwie stimmte. Ein etwas schizophrener Sound zwischen verdrehtem EBM und diesen langen schrägen Drones und Metallzeugs. Wenn wir gut waren, waren wir sehr gut. Als das Album herauskam, klangen wir etwas anders als am Anfang, wir hatten viele Tapeloops, die ich gemacht hatte und zu Ollie nach Australien schickte. Er beendete es 1986, er wollte nicht weitermachen. Ich hatte ein Krank-Release in Amerika um die selbe Zeit, ich machte einen Soundtrack für „Lines of Least Resistance“, das war ein Video von einem Typen namens Andrew Hickinbotham, und es erschien auf dem Videolabel von SPK. Es gab einen Originalsoundtrack, der anders war. Ohne mein Wissen hatte ich Krank-Material auf diesem Soundtrack, der von diesem Australier Roger Richards, der Extreme Records übernommen und an ein Label namens Silent Records verkauft hatte, zusammen gestellt wurde. Es gab eine Menge Acts damals in Melbourne, dieses eine Video, das Stefan auf Youtube gefunden hatte, war Ophiolatria. Stefan fragte, ob ich das beim nächsten Epicurean aufführen kann.
Ich erinnere mich, dass auch mal von einem kompletten Shining Vril-Album die Rede war. Gibt es diesen Plan immer noch?
Nun, nicht im Moment, aber prinzipell schon, das hängt alles von der Gesundheit ab. Ich hab da keine große Eile, vielleicht werde ich alle Tracks, die einmal auf Compilations erschienen sind, zusammenstellen und das herausbringen.
Kannst du sagen, was aus Knifeladder geworden ist?
Das ist eine Geschichte für sich. Es ist technisch gesehen eine Art work in progress, aber eben unterbrochen, im stand-by. Wir haben darüber geredet, irgendwann wieder mehr aufzunehmen. Andrews Hauptprojekt ist nun Black Light Ascension, aber er wäre bereit. Hunter will definitiv Stücke herausbringen, die wir aufgenommen haben, und die noch nicht das Licht der Welt erblickt haben. Es gibt da viel, was ich gerne herausbringen würde, und wenn es nur auf Soundcloud ist, denn es ist zu gut, um nur irgendwo herum zu liegen. Aber Andrew ist da wohl etwas hin und hergerissen. Manchmal ist er wirklich enthusiastisch, aber manchmal will er auch einfach nicht, dass diese Stücke von vielen Leuten gehört werden. Ich weiß nicht, wir haben nie miteinander gebrochen, es ist bloß irgendwie zum Abschluss gekommen. Einige der Ideen, die ich hatte, sind in Last Dominion Lost eingeflossen.
Ein weiteres Kapitel bei dir ist dein Livedrumming für verschiedene Dark Folk-Bands, eine Kollaboration, die ich sehr schätze ist die mit Andrew King. Siehst du diese Arbeiten als etwas von deinen Aufnahmen getrenntes?
Auch das hängt wieder davon ab, wer es ist. Andrew zahlt gut. Ich sehe diese Sachen nicht als etwas komplett getrenntes. Ich habe Andrew zum Beispiel dazu gebracht, bei meinen eigenen Sachen mitzuwirken, Vocals beizusteuern, er wird vielleicht auf einer späteren Last Dominion Lost-Veröffentlichung mitwirken, eigentlich wollte er schon bei dem letzten Album dabei sein. Er wartet ab, ob wir irgendwo den passenden Raum für seine Stimme haben, er selbst hat auch eine Aufnahme mit seiner Stimme drüber, die er wahrscheinlich bei einem amerikanischen Label herausbringen will, uns ist das recht, aber er kommt erst dazu, wenn er seinen PHD fertig hat. So gesehen betrachte ich diese Dinge nicht als eigene Kapitel, in der Vergangenheit war das ganz ähnlich mit Foresta di Ferro. Ich hatte gerne mit Marco gearbeitet, ich brachte ihm ein paar Aufnahmen mit und überließ ihm den Rest. Das meiste passierte in einem Aufnahmestudio in London 2002, als Marco da in der Gegend lebte. Ich vertickte ihm meine Sounds auf einem altmodischen Tape und sagte “mach damit, was du willst, verändere es, mach was komplett anderes draus, sieh nur zu, dass mein Name drunter steht”. So hat er es dann gemacht, das war mein Beitrag, wir lebten in der selben Stadt und hatten einen Nachmittag um aufzunehmen. Es war genauso mit diesem anderen Australier, Richard Leviathan. Marco war einmal mit ihm im Studio, er nahm ein bisschen Gitarre auf und Marco baute sein eigenes Zeug drum herum.
Vor einigen Jahren sagtest du mal in einem Interview, wie wichtig deutsche elektronische Musik für deine eigene musikalische Entwicklung war. Es scheint, als würden sich viel mehr Musiker aus dem englischsprachigen Raum auf solche Einflüsse beziehen als deutsche (es heißt ja, dass der Prophet nicht in seinem eigenen Land gewürdigt wird). Kannst du uns sagen, was für dich das besondere an dieser Musik war?
Was die Gruppen aus der Prä Punk-Ära angeht, die frühen Cluster, Tangerine Dream, Faust, Can, Magma aus Frankreich, nun, sie hatten einen weltweiten Einfluss, und ich bin nicht sicher, ob Deutsche das wirklich sehen.
Es wird nicht angemessen gewürdigt.
Es wird weitaus mehr in der englischsprachigen Welt gewürdigt, wo diese Bands sehr populär wurden. Tangerine Dream beispielsweise tourten 1975 in Australia, wo sie ein Publikum hatten, ich ging nicht hin, weil ich zur Schule musste, ich lernte diese Musik über einen Plattenladen bei uns kennen, der von einem verrückten Sudentendeutschen betrieben wurde. Du gingst dahin, um was zu kaufen und kamst drei Stunden später wieder raus mit all diesen Krautrock-Platten, die er dir verkaufte, ein berüchtigter Kerl namens Daniel. Und Graham von SPK flog von Neuseeland, wo er ursprünglich herkam, zu uns, um dort Platten zu kaufen. Sie hatten eine große Abteilung für alles aus Deutschland und Österreich, viel Schund, aber auch großartige Sachen. Furchtbares Metalzeug wie diese Band Jane. Sie hatten auch eine Menge Platten, die du sonst nirgendwo bekommen kannst, nicht nur deutsches, sondern auch amerikanisches, europäisches, italienische Progplatten, Goblin und ähnliches. Nirgendwo konntest du „White Light, White Heat“ von den Velvets bekommen, aber da bekamst du es in der Originalpressung. Ich hörte dort die ganzen Kraut- und Kosmischen Sachen, ich kann mich erinnern, dass ich nicht sofort damit warm geworden bin, aber letztlich hatte ich noch nie zuvor irgendwas Vergleichbares gehört wie Ash Ra Temple, wunderbares Zeug. Ich hatte bis dahin noch nie so etwas wie Faust gehört, es hat mich umgehauen. All diese Bands, Can beispielsweise, waren in Großbritannien viel größer.
Faust waren z.B. auf Virgin..
Ja, ich hatte diese Platte, das war ein großer Einfluss.
Heutzutage gilt Kraftwerk mehr als Teil unseres kulturellen Erbes. Wie findest du es, wenn sie bei Performances in Museen und Galerien ihren Backcatalogue aufführen?
Weißt du, ich hab keine feste Meinung dazu, ob das jetzt gut oder schlecht ist, was sie heute machen, aber es ist auf jeden Fall gut, dass sie sich diese lange Zeit über gehalten haben. Ich schätze sie, aber ich bin jetzt auch kein Fan von allem, was sie so gemacht haben, ehrlich gesagt bevorzuge ich die ganz frühen Kraftwerk, als sie flexibler waren, haha, ich liebte „Man Machine“, zu deser Zeit waren ihre Sachen ausnahmslos großartig, ich sah sie live in London 1981, wo sie extrem gut waren. Ich liebe die Symbole und all das, aber ich war auch nie der totale Fan. Deutsche sollten stolz auf sie sein, ich schätzte immer ihre Musik und ihr Aussehen, sie waren ein Prototyp für vieles, das danach kam, wenn auch von oft nicht so guten Leuten. Eine großartige Show war das, die ich von ihnen sah, und sie hatten Humor. Vor allem am Ende der Show, als Wolfgang Flür, der jetzt nicht mehr in der Band ist, die ganzen Grimassen hinter dem Vorhang schnitt. Man muss nicht immer so toternst sein. Douglas von Death In June sah Kraftwerk vor ein paar Monaten, als sie fünf Tage hintereinander im Opernhaus Sydney auftraten, ich denke, er sah sich die meisten dieser Auftritte an, er mochte das alles, die Kulisse und das ganze Drumherum. Sie spielten sogar etwas von dem frühen Zeug, er sagte, es sei brilliant gewesen. Es könnte glaube ich keine amerikanische Band dieser Art geben.
Was denkst du macht sie so typisch für Deutschland?
Schwierig, ich denke Auswärtige sagen immer, ihr wäret humorlos und tendiert stark zur Tüchtigkeit, was nicht wirklich stimmt, zumindest nicht in dem Krankenhaus, in dem ich war, da war es eher das Gegenteil. Ich denke, Kraftwerk spielen damit, und einige der eher naiven Leute im englischsprachigen Raum nehmen das total ernst. Es gibt aber einen versteckten Humor in Kraftwerk, einige verstehen das nicht und wollen es auch nicht verstehen. Vor allem englischsprachige Bands, denn die wollen, dass Kraftwerk einem bestimmten deutschen Stereotyp entsprechen soll, wenn du verstehst, was ich meine..
Ich glaube schon..
Auf eine gewisse Weise sind sie doch nicht so humorvoll, die Leute in Großbritannien. Die Bands, die ich meine, wollen sie steif und wissenschaftlich haben, so wie sie sich natürlich auch selbst als musikalische Wissenschaftler sehen. Kraftwerk waren ein Geschenk des Himmels für diese Leute. Das ist alles, was ich dazu sagen kann, ich liebe sie, lange mögen sie herrschen!
Was steht als nächstes bei dir an?
Nun, zur Zeit arbeite ich an nichts, weil ich mich erst einmal erholen muss. Aber wir werden nach und nach das nächste Last Dominion Lost-Album machen, ich plane ein wenig für das nächste Krank-Album, wir wollen ein richtiges Album machen, auf Vinly, daneben denke ich an etwas mehr von Shining Vril und will das vielleicht ganz anders angehen. All das wird sehr langsam vonstatten gehen. Jeder der mich kennt, weiß, dass ich sehr krank bin und wenn sie wollen, dass ich irgendwo mitmache, dann muss sich das nach mir und meinen Möglichkeitne richten. Das gilt auch für Jason von The Walking Corpses. Ich sagte ihm, dass ich nicht mehr live bei ihm mitmachen kann. Aufnahmen ja, aber keine Konzerte. Eine Sache, über die Annie und ich gesprochen haben, betrifft Krank mit Vocals und anderen Instrumenten, ich müsste da etwas wiederbeleben, dass wir vor ein paar Jahren in Lichtenberg gemacht hatten, wo sie Perkussion spielte, Bongos in einem sehr einfachen Takt, aber ungemein effektiv. Ich sorgte nur für ein bisschen Delay auf meinem Khaos Pad. Eine weitere Idee betrifft meine jüngsten Erfahrungen im Krankenhaus, die inspirieren mich zu einem elektronischen Album, wobei mir Till von Gerechtigkeits Liga helfen will. Ich würde die Sounds der Atemmaschine mit dämonischen Stimmen verbinden. Ich habe auch schon einen Titel dafür, „The Abomination of Desolation“, das entspricht der Art, wie ich mich gefühlt hatte im Krankenhaus. Aber das bräuchte etwas Zeit, vielleicht werde ich es nie machen, aber es könnte eine gute Idee sein, ich könnte es als Beilage zu einer Krank-Veröffentlichung herausbringen. Es war eine enorme Herausforderung, diese Erfahrung im Krankenhaus. Ich hatte andauernd Halluszinationen, als ich in einem zwölftägigen Koma lag. Einiges davon mag in dem Projekt vorkommen, Annie erschien mir in luziden Träumen, wo ich sie hören konnte. Nikolas Schreck und ich werden wohl ebenfalls in der Zukunft häufiger zusammenarbeiten. Aber die Sache mit Annies Stimme, wir sollten das reproduzieren, Stefan hält das auch für eine sehr gute Idee. Für meine eigene Erinnerung letztlich, nichts womit ich an die Spitze von irgend etwas komme.
(M.G. & U.S.)
Fotos: Karolina Urbaniak, Laura Fusato & The Epicurean