VIRTUAL FOREST: Unconscious Cognition is the Processing of Perception

Beim langen Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenleben spielt in unserer Alltagssprache der Begriff der Initiation kaum eine Rolle. Lediglich die Literaturwissenschaft hat den Begriff der Initiationsgeschichte geprägt für einen Typ Erzählung, in der ein junger Mensch durch eine einschneidende, meist desillusionierende Erfahrung und mit Hilfe einer Mentorfigur einen neuen – erwachseneren – Blick auf die Welt bekommt. In tribalen Gesellschaften von überschaubarer Größe wurde der Übergang viel bewusster und aktiver angegangen.

In einigen indigenen Kulturen Nordamerikas wurde der “Jugendliche” für einen längeren Zeitraum von der übrigen Gemeinschaft getrennt, um Abstand zu gewinnen von Alltag und Normalität, deren Strukturen dabei an Selbstverständlichkeit verlieren. Diese Schwellenphase gipfelt in einer durch Fasten und Schlafentzug hervorgerufenen Trance, in der mithilfe eines Schamanen das neue Selbst geboren wird. Als neuer Mensch mit einem neuen Namen erfährt der Initiierte nun die Wiederaufnahme in die Gemeinschaft.

Virtual Forest alias Marco Bernacchia alias Above the Tree ist nicht der erste, der den Versuch unternimmt, solche Übergängeriten musikalisch zu dokumentieren, und sein Ansatz scheint ethnographischer Natur zu sein. „River to Back Side“, das die erste Tapeseite ausfüllt, evoziert nach einem leisen Auftakt die Vorstellung eines solchen Rituals mit hintergründigem Dröhnen und mantraartigem Schamanengesang, bis irgendwann dezente Rhythmen anklingen, die am Ende in einem ekstatischen, perkussiven Tamtam kulminieren.

„Spiritual Communication“ dagegen soll die Zeit nach dem Ritual einfangen, und ist laut Label so etwas wie „der perfekte Soundtrack zum Erwachen am Tag danach“. Minuten fast völliger Stille demonstrieren den Bruch zwischen den beiden so unterschiedlichen Zuständen. Allerhand Fremdartiges lauert hier noch unter der Oberfläche des weitaus vielschichtigeren Klangbildes, Stimmen quaken Unverständliches und der Rhythmus ist ein anderer, modernerer.

Insgesamt hat die halbe Stunde Ritualsound einen ebenso dokumentarischen wie exotisierenden Anstrich, doch wer das als Kolorit abtut, der sollte sich fragen, ob er derartige Kulturpraktiken lieber in den ethnologischen Fakultäten verstauben lassen will, die viel zu sehr damit beschäftigt sind, sich und der Welt zu beweisen, dass sie weder eine Völkerschau planen, noch romantische Träumer sind und bei all dem Gefahr laufen, dass ihnen ihr Gegenstand abhanden kommt.

Zu haben ist das Ganze auf hundert aquamarinblauen Tapes. (U.S.)

Label: Yerevan Tapes