Irgendwann in Jahr 1973 rammte ein betrunkener Lastwagenfaher einen Baum in der Region Ténéré im südlich der Sahara gelegenen Staat Niger. Sicher ist am gleichen Tag in China der eine oder andere Sack Reis umgefallen, aber mit dem Baum starb – beinahe – ein regionaler Mythos. Die Akazie, die der Trucker zu Fall brachte, stand dort einige Jahrhunderte und war der Überlieferung nach der einzige Baum im Umkreis von vierhundert Kilometern, diente lange als Wegweiser für Karawanen und galt in der Folklore der Einheimischen als einsamster Baum der Welt. Zahlreiche Legenden rankten sich um ihn. Vor einigen Jahren wurde dem Baum von Ténéré an seiner ursprünglichen Stelle durch eine Metallskulptur ein Denkmal gesetzt.
Arbre du Ténéré ist ebenfalls der Name eines italienisches Experimental-Duos, und obwohl Maurizio Abate und Giovanni Donadini gleich ihre ganze Band nach dem Baum benannt haben, unternehmen sie nach eigener Angabe erst auf ihrem zweiten Album, das gerade auf hundert Tapes chicen erschienen ist, den Versuch, die Geschichte des Baumes in abstrakten Klanggebilden nachzuzeichnen – in improvisierten, psychedelischen Drones und dunkler Elektronik soll der Einsamkeit, dem langen, und doch vergeblichen Trotzen der Vergänglichkeit, dem banalen Ende großartiger Erzählungen und dem in Metall gegossenen Nachleben quasi ein weiteres Denkmal gesetzt werden.
Ein solches Konzept wäre lächerlich, würde man sich an einer konkreten Umsetzung dieses ohnehin recht abstrakten Stoffes versuchen, doch der Bezug ist dankenswerterweise primär konnotierende Beigabe, so dass jeder Hörer für sich entscheiden kann, inwieweit die Stimmung der Musik eventuell zum Hintergrund passen mag. Das erste der drei Stücke beginnt mit minimalen Pickings auf der elektrischen Gitarre, die von Beginn an von dezent eingesetzten schleifenden Geräuschen aus dem Repertoire des Industrial umgeben sind. Im Laufe der Zeit steigert sich die Dichte und Eindringlichkeit der Musik, spaciges analoges Blubbern kommt hinzu, und durch metallisch prasselnde Perkussion – man meint hier channelt jemand Hunting Lodge – entwickelt sich das ganze tatsächlich zu einem atmosphärischen Kracher.
In den beiden Tracks der zweiten Seite werden diese Motive im wesentlichen vaiiert, “Codice notturno” ist insgesamt elektronischer und betont – durch Hochtönendes, durch hintergründiges Glühen, durch viele fein ziselierte Beigaben – eher den Droneaspekt. Weitaus entpannter, fast schon in seiner Gesamtheit ein harmonischer Ausklang ist das von hallunterlegtem Saitenanschlag geprägte “Nuda e la via”, das streckenweise wie ein langes, dekonstruiertes Rocksolo anmutet. Natürlich kann man den narrativen Bezug an den Haaren herbeigezogen finden – begreift man die Musik aber als Score und stellt sich dazu den einsamen Schauplatz und Fragmente der Geschichte vor, mag das ganze an Atmosphärik durchaus gewinnen.
Label: Yerevan Tapes